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29.03.19 / Deutsche Sicherheitsbehörden haben versagt / Marokkaner warnten viermal erfolglos vor Anis Amri – »Gefährdungsbewertungen« des Bundeskriminalamtes waren unzutreffend

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-19 vom 29. März 2019

Deutsche Sicherheitsbehörden haben versagt
Marokkaner warnten viermal erfolglos vor Anis Amri – »Gefährdungsbewertungen« des Bundeskriminalamtes waren unzutreffend
J.H.

Je mehr Zeugen vor dem Untersuchungsausschusss zum Terroranschlag am Berliner Breit- scheidplatz im Dezember 2016 aussagen, umso mehr wird deutlich, dass die deutschen Sicherheitsbehörden die Tat wohl hätten verhindern können.

Das legt jetzt auch die Aussage des Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamtes (BKA) in der marokkanischen Hauptstadt nahe. Dem- nach hat der marokkanische Inlandsgeheimdienst DGST im Herbst 2016 in einem Zeitraum von vier Wochen viermal auf verdächtige Aktivitäten des späteren Attentäters Anis Amri hingewiesen. Die Mitteilungen über Amri seien zeitgleich auch dem Residenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Rabat zugeleitet worden, so der Zeuge.

Der erste Hinweis sei am 20. September, der letzte am 17. Oktober 2016 eingegangen. Die Marokkaner hätten von Amri als von einem „Islamonauten“ gesprochen, was in ihrer Terminologie die Bezeichnung für einen Islamfanatiker sei, der durch Aktivitäten im Internet auffällig werde. Die mitgelieferten Bilder Amris seien erkennbar dessen Facebook-Profil entnommen worden. Die Zusammenarbeit mit den marokkanischen Sicherheitsbehörden hat der Zeuge als „sehr gut“, sogar „herausragend“ und vertrauensvoll in Erinnerung. Fragen würden in kürzestmöglicher Frist beantwortet, wobei die Marokkaner „immer sehr werthaltige Informationen“ lieferten. Auch über Amri seien sie zum Teil recht genau unterrichtet gewesen.

Es gab also keinen Grund, die Mitteilung, dass Amri in nächster Zeit in Deutschland möglicherweise ein Verbrechen verüben würde, nicht ernst zu nehmen. Dennoch beschränkte man sich im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum der deutschen Polizeien und Nachrichtendienste (GTAZ) darauf, „die Plausibilität der Hinweise“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) überprüfen zu lassen. Diese Überprüfung  erschöpfte sich jedoch in einer Anfrage bei einem US-Nachrichtendienst. Der aber antworte nicht, und der Sache wurde nicht weiter nachgegangen.

Dazu passt die Aussage eines weiteren Zeugen, der von 2014 bis Mitte 2018 das BKA im GTAZ vertrat und in dieser Funktion zwischen Anfang Februar und Juni 2016 sechs Besprechungen leitete, in denen der Fall Amri erörtert wurde. Dabei sei die Rede von Anschlägen mit Schnellfeuerwaffen gewesen, die Amri angeblich plante. Entsprechende Erkenntnisse, die das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt (LKA) durch einen Informanten gewonnen hatte, habe das BfV ohne Nennung der Quelle in einem „Behördenzeugnis“ für die Berliner Polizei verarbeitet, so der Kriminal- direktor, der heute Referatsleiter im BKA ist. Ihm zufolge sei Amri im Februar 2016 „am nächsten an einer Anschlagsvorbereitung“ und der Februar 2016 in seiner Erinnerung ein Wendemoment in der Bewertung Amris durch deutsche Sicherheitsbehörden gewesen. Das BKA habe damals drei „explizite Gefährdungsbewertungen“ zu Amri abgegeben.
Auf Stufe eins der Skala im achtstufigen polizeilichen Prognosemodell ist mit dem Eintritt eines Schadensereignisses „zu rechnen“, auf Stufe zwei „mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen“, auf  Stufe acht ist er „auszuschließen“. In seiner ersten Gefährdungsbewertung setzte das BKA Amri auf Stufe sieben. Das bedeutet, dass „ein unmittelbar bevorstehender, durch ihn verursachter Schadensfall eher auszuschließen“ war. In der zweiten Bewertung stieg Amri in die Stufe fünf auf, womit ein von ihm ausgehender Schaden als „eher unwahrscheinlich“ anzusehen war. Bei dieser Beurteilung blieb das BKA auch in seinem dritten und letzten Gutachten zu der von Amri ausgehenden Gefahr.

Amris Höherstufung auf Stufe fünf habe durchaus bedeutet, dass er als Gefährder „ernst zu nehmen“ gewesen sei, betonte der Zeuge. Bekanntlich ist diese Einschätzung ohne Konsequenzen geblieben. „Nach Februar“ sei „die Brisanz der Lage ein Stück weit abgeebbt“. So sei es zumindest erschienen, erinnert sich der Zeuge. Eine fatale Fehleinschätzung, wie man wenige Monate später erfahren musste.