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29.03.19 / »Spanien ist anders« / Millionen Deutsche kennen das Land im Süden Europas – Aber verstehen wir es auch?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-19 vom 29. März 2019

»Spanien ist anders«
Millionen Deutsche kennen das Land im Süden Europas – Aber verstehen wir es auch?
Markus Matthes

Es ist ein vielgeliebtes Reiseland der Deutschen, seit Jahrzehnten. Für viele ist es gar Sehnsuchtsort. Doch im Grunde wissen wir verblüffend wenig über Spanien. Über lange Zeit ein Inbegriff von Rückständigkeit, hat das Land in nur zwei Generationen kräftig aufgeholt.
Doch nun zeigen sich Schattenseiten der rasanten Entwick­lung: Niedrige Geburtenrate, Verfall von Traditionen, ideologische Raserei und sprießender Separatismus zerren an dem Land. Hat sich Spanien am Ende zu Tode modernisiert?

Seit dem endgültigen Untergang des eigenen Imperiums Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich Spanien eingeigelt und Nabelschau betrieben. Der Bür­gerkrieg 1936 bis ’39 und die zehnjährige außenpolitische Isolation nach dem Zweiten  Weltkrieg taten ihr Übriges. Der von 1962 bis ’69 für den Tourismus zuständige Minister Manuel Fraga Iribarne prägte aufgrund der von ausländischen Besuchern wahrgenommenen Eigenheiten den auch heute noch oft zitierten Satz „Spain is different“ („Spanien ist anders“).

Umso erstaunlicher sind daher die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen seit General Francisco Francos Tod am       20. November 1975, die sich deutlich schneller vollzogen als in West- und Nordeuropa. In einer einst konservativen, ländlich-katholisch geprägten Gesellschaft wohnt jetzt 80 Prozent der Bevölkerung in den Städten, sind die meisten Kirchenbesucher im Rentenalter, und jeden Monat schließt ein Kloster für immer seine Tore. Nach Holland und Belgien führte Spanien unter dem Sozialisten José Luis Zapatero 2005 die Homosexuellen-Ehe ein und seit 2010 gilt ein sehr liberales Abtreibungsrecht.

Bei einem Wachstum von durchschnittlich 3,5 Prozent stieg in den fetten Jahren zwischen 1995 und 2007 die Zahl der Einwanderer aus Lateinamerika, Marokko, Rumänien und China sprunghaft an. Dazu kommen zahlreiche Armutsflüchtlinge aus Afrika, die in unregelmäßigen Abständen die EU-Grenze der in Nordafrika gelegenen Enklaven Ceuta und Melilla erklimmen oder in „pateras“ genannten kleinen Booten auf spanisches Staatsgebiet vordringen. Viele dieser illegalen Einwanderer finden in den Touristengebieten ein bescheidenes Auskommen.

Zwar kehrten zirka 1,4 Millionen Latinos, indes mit einem spanischen Pass versehen, seit Beginn der schweren Wirtschaftskrise 2008 in die Heimat zurück. Doch gleichzeitig verschlug es bis 2017 fast 80000 Spanier auf der Suche nach Beschäftigung bis in die entlegensten Winkel der Welt. Die nachrückenden Chinesen investierten im Zeitraum von 2014 bis 2018 15,7 Milliarden Euro in Telekommunikation, Immobilien, Energie, Gastronomie sowie Groß- und Kleinhandel.

1978 war mit über 90 Prozent Zustimmung eine neue Verfassung angenommen worden, die den einzelnen Regionen weitreichende Autonomierechte gewährt. Trotzdem fordern radikale Separatisten den ehemals starken Zentralstaat offen heraus. Die Terrororganisation ETA („Baskenland und Freiheit“) mordete von 1960 bis 2011 mit Unterbrechungen für ein unabhängiges Euskadi (früher, und heute politisch inkorrekt „Provincias Vascongadas“), und ihre politischen Erben sitzen dort fest im Sattel.

Die um 1930 entstandene, heute die Autonomieregierung in Barcelona stellende linksradikale katalonische Unabhängigkeitsbewegung verlangte vor Kurzem in Verhandlungen mit Madrid ganz unverblümt nach einem zwi­schenstaatlichen Vermittler. In den Provinzen Castellón, Valencia und Alicante sowie auf den Balearen sind Kräfte an der Macht, die durch rigorose Sprachbarrieren den Zuzug von Personen aus anderen Teilen Spaniens erschweren. Fanatiker in Francos Heimat Galizien versuchen, die Erinnerung an ihn und seine gesamte Sippe zu tilgen, eine separate keltische Identität zu konstruieren oder sich der Gemeinschaft der portugiesischsprachigen Länder CPLP anzuschließen, wozu die Eigenstaatlichkeit eine Vorbedingung ist.

Gesamtspanische Folgen dieser Modernisierung sind die zweit­höchste Scheidungsrate Europas, nur noch 1,5 Geburten pro Frau, eine „Generation Nini“, die bei einer stetigen Jugendarbeitslosigkeit von fast 40 Prozent weder arbeitet noch lernt, und Schulklassen mit teilweise bis zu 50 Prozent Ausländern. Dazu kommen althergebrachte Probleme wie die überbordende Bürokratie und endemische Korruption, die auch vor dem Königshaus nicht Halt macht. Die heutige Steuerlast steht zudem in keinem Verhältnis zu den staatlichen Leistungen. Aber der Glaube, dass es sich in Spanien sehr gut leben lässt, ist unerschütterlich. Dies mag am vielgepriesenen mediterranen Klima, der angeblich besonders gesunden Küche, den 90 Weinanbaugebieten oder schlicht an der allgemeinen Lebenslust liegen. ¡Viva España!