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05.04.19 / Rettungsversuch für den Rechtsstaat / Überlastete Justiz: Bund verspricht Abhilfe, doch Länder wittern eine Mogelpackung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-19 vom 05. April 2019

Rettungsversuch für den Rechtsstaat
Überlastete Justiz: Bund verspricht Abhilfe, doch Länder wittern eine Mogelpackung
Norman Hanert

Deutschlandweit sorgte Rene Wilke, der Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder, im vergangenen Jahr für Aufsehen. Nach einem brutalen Überfall auf die Besucher eines Musikklubs kündigte der Linkspartei-Politiker die Ausweisung von ausländischen Straftätern an. Nun hat der Fall eine überraschende Wende genommen. 

Wegen einer überlangen Verfahrensdauer hat das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg noch im März die Freilassung von Tatverdächtigen aus der Untersuchungshaft angeordnet. Die vier syrischen Männer im Alter zwischen 21 und 40 Jahren stehen unter dringendem Verdacht, im August vergangenen Jahres die Gäste eines Musikklubs mit Messern, Steinen und Eisenstangen angegriffen zu haben. Vorgeworfen wird den Freigelassenen besonders schwerer Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung, Nötigung, Bedrohung und in einem Fall sogar versuchter Totschlag.

Die vier Syrer hatten bereits seit dem vergangenen Sommer in Untersuchungshaft gesessen. Nach Angaben der zuständigen Kammer des Landgerichts Frankfurt an der Oder kann der Prozess wegen anderer Verfahren allerdings erst im kommenden Juni eröffnet werden. Wie eine Gerichtssprecherin mitteilte, wird der Prozess  wegen der Urlaubszeit auch sofort wieder unterbrochen werden. Für das Oberlandesgericht waren dies Gründe, trotz des weiterbestehenden Tatverdachts die Freilassung aus der Untersuchungshaft anzuordnen.

Brandenburgs Justizminister Stefan Ludwig (Linkspartei) musste sich in den vergangenen Monaten bereits mehrmals im Rechtsausschuss des märkischen Landtages Kritik anhören, weil Tatverdächtige wegen überlanger Verfahren aus der Untersuchungshaft entlassen wurden. Erst im Januar hatte das OLG der Haftbeschwerde eines ehemaligen NPD-Politikers wegen einer zu langen Verfahrensdauer stattgegeben.

Ludwig sprach bislang immer von Einzelfällen, räumte allerdings auch eine hohe Belastung der brandenburgischen Gerichte infolge von Personalabbau ein. In der Justiz des Bundeslandes sind in den vergangenen 20 Jahren 1850 Stellen gestrichen worden. 

Brandenburg ist mit seinem Problem kein Einzelfall. Laut einer Erhebung des Deutschen Richterbundes (DRB) haben in ganz Deutschland im vergangenen Jahr die OLG in mindestens       65 Fällen Haftbefehle gegen dringend Tatverdächtige wegen zu langer Strafverfahren wieder aufgehoben. Allein im Land Berlin sind im Jahr 2018 mindestens 13 Tatverdächtige auf freien Fuß gesetzt worden, weil sich die Bearbeitung der Verfahren zu lange hingezogen hatte. Aus Sicht des Richterbundes sind Strafgerichte und Staatsanwaltschaften so stark beansprucht, dass sie „am Anschlag“ arbeiteten. Zudem weist der DRB darauf hin, dass auch die Komplexität und damit der Aufwand bei den Verfahren gewachsen seien. 

In ihrem Koalitionsvertrag hatten CDU, CSU und SPD einen „Pakt für den Rechtsstaat“ angekündigt, der die Situation an den Gerichten verbessern soll. In dem Papier versprach die Große Koalition unter Angela Merkel: „Wir wollen den Rechtsstaat handlungsfähig erhalten.“

Dazu sollen bis Ende 2021 bundesweit 2000 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte geschaffen werden. Allein für das Land Brandenburg soll das Programm rund 60 neue Richterstellen bedeuten.  Im Kreis der Justizminister der Bundesländer ist dennoch von einer Mogelpackung die Rede. Für diesen Vorwurf lassen sich einige Gründe anführen. 

Umgerechnet auf die 16 Bundesländer verspricht der Plan zwar eine deutliche Verbesserung, es drohen langfristig aber auch erhebliche finanzielle Belastungen. Für die laufenden Kosten des Justizpersonals auf Länderebene bleiben weiterhin die Länder zuständig. Die Justizminister der Länder hatten gehofft, dass sich der Bund zumindest an den zusätzlichen Stellen dauerhaft beteiligt. Die Länder gehen von einer Zusatzbelastung von  400 Millionen Euro im Jahr aus. Der Bund will sich aber nur einmalig mit 220 Millionen Euro beteiligen. 

Vor diesem Hintergrund hat der „Pakt für den Rechtsstaat“ aus Sicht der Länder einen Beigeschmack: Der Bund präsentiert nämlich ein Projekt, das am Ende weitgehend von den Ländern bezahlt werden soll. Selbst um die Anschubfinanzierung, die der Bund übernehmen will, ist hart gerungen worden. Vereinbart ist nun, dass die Länder bei den Einstellungen im Justizbereich zunächst in eine Art von Vorleistung gehen und 1000 Stellen schaffen. Danach erhalten sie die erste Rate von 110 Millionen Euro vom Bund. Der Rest soll folgen, wenn die Länder alle 2000 Stellen besetzt haben.