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05.04.19 / »Karneval des Wahnsinns« / Vor 100 Jahren wurde Bayern eine Räterepublik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-19 vom 05. April 2019

»Karneval des Wahnsinns«
Vor 100 Jahren wurde Bayern eine Räterepublik
Wolfgang Kaufmann

Wie im Oktober 1917 in Russland und im März 1919 in Ungarn trat im April 1919 in Bayern ein weiteres Mal eine Räterepublik an die Stelle einer jungen bürgerlichen, parlamentarischen Republik, die ihrerseits einer Monarchie gefolgt war. Zwischen den dicht aufeinanderfolgenden Räterepublik-Proklamationen in Ungarn und Bayern besteht durchaus ein kausaler Zusammenhang. Die Nachricht von der Ausrufung der Föderativen Ungarischen Sozialistischen Räterepublik am 21. März 1919 (siehe PAZ Nr. 11 vom 15. März) gab den Protagonisten des Rätesystems in Bayern Auftrieb. Die Schaffung einer roten Achse Bayern–Österreich–Ungarn–Russland erschien möglich. Am 4. April 1919 trat die Augsburger Arbeiterschaft in den Generalstreik, um die Ausrufung einer Räterepublik auf bayerischem Boden zu erzwingen. Zwei Tage später, am Abend des 6. April, gründeten der Zentralrat der bayerischen Republik und der Revolutionäre Arbeiterrat in München auf einer von Ernst Niekisch geleiteten Sitzung im Wittelsbacher Palais die Räterepublik Baiern. Neben der Staatsgründung mit Wirkung vom 7. April mittags wurde die Bildung eines neben dem Zentralrat agierenden Rates der Volksbeauftragten beschlossen.

Damit trat die Räterepublik Baiern in ihre erste Phase, die durch das Wirken anarchistischer Intellektueller geprägt war, bei denen es sich zum Teil um Abenteurer und manchmal sogar um pathologische Charaktere handelte wie im Falle des Volksbeauftragten für Äußeres Franz Lipp von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD), einer linken Abspaltung der SPD. Deshalb war der Zentralrat unter der Führung des Schriftstellers Ernst Toller (USPD) auch unfähig, seine vollmundig angekündigten Maßnahmen, darunter die Sozialisierung der Wirtschaft, umzusetzen. Angesichts dessen sprach die Führung 

der Kommunistischen Partei Deutsch­lands (KPD) frustriert von einer „Scheinräterepublik“. Da sich außerdem bereits ab dem 9. April 1919 vielerorts lokaler Widerstand gegen die Räteherrschaft regte, blieb deren Einfluss auf den Raum Augsburg-München-Rosenheim beschränkt.

Am 12. April verlangte Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) die „Wiederherstellung des früheren Zustandes“ in Bayern und bot dem nach Bamberg geflüchteten Kabinett des Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann, der vor der Ausrufung der Räterepublik, am 17. März 1919, vom bayerischen Landtag zum Nachfolger Kurt Eisners (siehe PAZ Nr. 7 vom 15. Februar)  gewählt worden war, Militärhilfe an. Die Regierung Hoffmann setzte jedoch zunächst auf die von Alfred Seyffertitz geführte und im Dezember 1918 aus gedienten Frontsoldaten gebildete Republikanische Schutztruppe, die der Räteherrschaft in München ein Ende bereiten sollte. Doch der hierzu initiierte Palmsonntagsputsch vom 13. April 1919 misslang aufgrund der heftigen Gegenwehr von Rotgardisten unter dem Kommando von Rudolf Egelhofer (KPD). 

Daraufhin übernahmen KPD-Kader die Kontrolle über die Räterepublik, was deren zweite Phase einläutete. Die Betriebs- und Soldatenräte riefen im Hofbräuhaus eine Kommunistische Räterepublik aus, erklärten den Zentralrat für aufgelöst und etablierten einen 15-köpfigen Aktionsausschuss, der sowohl die gesetzgebende als auch die vollziehende Gewalt innehaben sollte und von dem aus Russland stammenden Berufsrevolutionär Eugen Leviné geleitet wurde.

Unmittelbar darauf versuchten Freikorps, nach München vorzudringen, was die eiligst neu aufgestellte Rote Armee Egelhofers aber zunächst verhindern konnte. Daraufhin setzte Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) auch 35000 Mann reguläre Truppen unter dem früheren preußischen Generalleutnant Ernst von Oven in Marsch, um dem „Karneval des Wahnsinns“, wie Noske die Räteregierung nannte, ein Ende zu setzen. Das Vorrücken der Truppen führte zu Spannungen innerhalb des Aktionsausschusses, der schließlich nach einem Miss­trauensvotum der Betriebs- und Soldatenräte am 27. April 1919 zurücktrat. Damit waren die kommunistisch geprägte Phase der Räterepublik und deren Ausrichtung an Moskau beendet. 

Dem am nächsten Tag neu konstituierten 20-köpfigen Aktionsausschuss unter der Leitung von Toller gehörten keine KPD-Leute mehr an. Toller drängte angesichts der katastrophalen Ernährungslage in München auf Verhandlungen mit der Regierung Hoffmann, die jedoch auf bedingungsloser Kapitulation bestand.

Am 30. April 1919 erschossen Rotarmisten im Luitpold-Gymnasium zehn bürgerliche Geiseln, wahrscheinlich auf Befehl Egelhofers, der in den letzten Tagen der Räterepublik Baiern als deren eigentlicher Machthaber fungierte. Dieser Geiselmord führte auf Seiten der regulären Truppen Noskes und der Freikorpsverbände zu massiven Rachegelüsten. Das bekamen deren Gegner in den Tagen vom 1. bis zum 3. Mai zu spüren, als die Verbände der sogenannten Weißen München und weitere von den Anhängern der Räterepublik gehaltene Orte außerhalb der Landeshauptstadt erstürmten. Hierbei gab es Hunderte von Toten aufseiten der Verlierer. Analog zu Ungarn wird in diesem Zusammenhang vom „weißen Terror“, der den „roten Terror“ abgelöst habe, gesprochen. 

So endete die Räteherrschaft in Bayern. Ähnlich wie in Ungarn schlug auch in Bayern nach der Herrschaft der Räte das Pendel heftig in die andere Richtung aus. So mutierte Bayern nach der Zeit der Räterepublik zur konservativen „Ordnungszelle“ innerhalb der Weimarer Republik.