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05.04.19 / Der mit dem Schuh haut / Nikita Chruschtschow entlarvte Josef Stalins Verbrechen – und löste fast einen Weltkrieg aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-19 vom 05. April 2019

Der mit dem Schuh haut
Nikita Chruschtschow entlarvte Josef Stalins Verbrechen – und löste fast einen Weltkrieg aus
Klaus J. Groth

Für die einen war er ein ungehobelter Bauerntölpel, der die Sowjetunion vor der Welt blamierte, für die anderen war er der Befreier von der blutigen Zwangsherrschaft des Stalinismus: Nikita Sergejewitsch Chruschtschow. Vor 125 Jahren, am 17. April 1894, wurde der Ukrainer in Kalinowka geboren.

Der Name des Parteichefs der KPdSU von 1953 bis 1964 und Regierungschefs der Sowjetunion von 1958 bis 1964 ist eng verbunden mit weltpolitischen Krisen während des Kalten Krieges. Dazu zählen die Niederschlagung des Arbeiteraufstandes in Posen und des Volksaufstandes in Ungarn 1956, die zweite Berlin-Krise 1958, der pöbelnde Auftritt vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen 1960, der Bau der Berliner Mauer 1961 und die Kubakrise 1962.

Dabei gab es durchaus Anlass zu Hoffnungen. Im Februar 1956 brach Parteichef Chruschtschow auf einer Geheimsitzung des XX. Parteitages der KPdSU erstmals das Schweigen über die Verbrechen Josef Stalins. Ausgerechnet Stalin, der sein Entdecker und Förderer gewesen war. Während des Studiums hatte Chruschtschow Stalins Ehefrau Nadjeschda Allilujewa kennengelernt. Durch sie bekam er Kontakt zu Stalin, der ihn zum Essen einlud. Chruschtschow nannte die Allilujewa sein „Lotterielos“.

Chruschtschows Vater arbeitete als Bergmann im Donezbecken in der Ukraine. Den gleichen Beruf ergriff der Sohn. 1918 trat er in die Kommunistische Partei ein, kämpfte in der Roten Armee. Ganz auf der politischen Linie Stalins, stieg er in der Partei auf. Bereits 1933 war er Chef des Moskauer Gebietsparteikomitees, 1934 saß er im Zentralkomitee (ZK), 1939 war er Mitglied im Politbüro. Er überlebte nicht nur die blutigen Säuberungen Stalins, den sogenannten Großen Terror, er unterstützte ihn als einer der engsten Vertrauten des Diktators. Während andere hohe Parteikader reihenweiße liquidiert wurden, machte Chruschtschow Karriere. Er verstand es, sich bei den Machtkämpfen wegzuducken, den ungefährlichen Tölpel zu spielen. Seine Konkurrenten übersahen ihn schlicht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Chruschtschow ZK-Sekretär. In diesem Amt war er, als Stalin im März 1953 starb. Der gefürchtete Chef des Geheimdienstes, Lawrentij Berjia, galt als besonders aus­sichtsreicher Nachfolgekandidat. Chruscht­schow gehörte zu dessen Gegnern. Drei Monate nach Stalins Tod wurde Berija verhaftet und erschossen. Als „kollektive Führung“ teilten sich Chruschtschow als Erster Sekretär des ZK und damit Parteichef sowie Malenkow als Ministerpräsident und damit Regierungschef die Macht. Dieses Kollektiv hielt nicht lange. 1955 kritisierte Chruschtschow Malenkow öffentlich, wenig später erklärte Malenkow seinen Rücktritt. Nikolaij Bulganin folgte als Regierungschef. Chruschtschow bestimmte nun zunehmend. Noch im Sommer des Jahres schrieb er die Teilung Deutschlands in zwei Teile fest.

Nach dem XX. Parteitag 1956, dem ersten nach dem Tod seines Förderers Stalin, lud der Erste Parteisekretär ausgewählte Delegierte zu einer geheimen Sondersitzung. Notizen wie Tonbandmitschnitte waren nicht erlaubt. Chruschtschow behauptete zwar später, spontan gesprochen zu haben, doch las er die Rede Wort für Wort vom Blatt ab. Er sagte, Stalin sei als Übermensch mit gottähnlichen Eigenschaften stilisiert worden und habe absolute Unterwerfung verlangt. Wer sich widersetzte, sei moralisch und physisch vernichtet worden. Der Tyrann habe seine Macht missbraucht, habe ganze Kader liquidieren lassen. 

Eine knappe Mehrheit im Politbüro, darunter Bulganin, versuchte 1957 als Reaktion auf diese Rede Chruschtschow auszubooten, scheiterte aber. Der Parteisekretär übernahm im Folgejahr Bulganins Amt als Ministerpräsident. Damit vereinte Chruschtschow die Ämter des Partei- und des Regierungschefs wieder in einer Person.

Außenpolitisch löste Chruschtschow 1958 die zweite Berlin-Krise aus, als er den Abzug der westlichen Alliierten aus West-Berlin verlangte bei gleichzeitiger Umwandlung in eine entmilitarisierte freie Stadt. Der Westen unter Führung des US-Präsidenten John F. Kennedy lehnte ab. In dieser Situation schossen die Sowjets ein US-amerikanisches Spionageflugzeug ab, ein geplantes Gipfeltreffen in Paris platzte daraufhin. 

Die Lage war extrem angespannt, als Chruschtschow 1960 an der UN-Vollversammlung in New York teilnahm. Zur Debatte stand die Entkolonialisierung. Ein Delegierter der Philippinnen hatte die Sowjetunion beschuldigt, die Grundrechte zerstört zu haben. Chruschtschow hämmerte mit seinem Schuh auf den Tisch und schäumte: „Warum darf dieser Nichtsnutz, dieser Speichellecker, dieser Fatzke, dieser Imperialistenknecht und Dummkopf – warum darf dieser Lakai der amerikanischen Imperialisten hier Fragen behandeln, die nicht zur Sache gehören?“

Die Welt belächelte den peinlichen Auftritt. Aber nicht lange. Die Sowjetunion beschloss 1962, Fidel Castro mit Waffen und militärischen Ausbildern zu unterstützen. Chruschtschow drohte, ein Eingreifen der USA werde einen Dritten Weltkrieg zur Folge haben. Kennedy konterte „notfalls mit Waffengewalt“ zu antworten, sollte versucht werden, von Kuba den Kommunismus auf andere Länder zu übertragen. Den Einsatz von Kernwaffen schloss er nicht aus. Inzwischen waren sowjetische Mittelstreckenraketen auf Kuba stationiert. Die US-Amerikaner verhängten eine Seeblockade. Castro ließ mobil machen. Chruschtschow gab letztendlich nach, die Raketen wurden abgezogen. Die Sowjet­union sah wie ein Verlierer aus. 

Die Kubakrise war nur einer der Anlässe, die zur Entmachtung Chruschtschows führten. Seine vorsichtige Annäherung an die Bundesrepublik, das gestörte Verhältnis zur KP Chinas und Misserfolge bei der Reform der Landwirtschaft gehörten ebenfalls dazu. Am 14. Oktober 1964 verlor Chruschtschow seine Ämter als Parteichef und Ministerpräsident. Die „Prawda“ meldete erst zwei Tage später, Chruschtschow sei „wegen seines vorgerückten Alters in Rente gegangen“. Der Rentner zog sich auf seine Datscha zurück. Dort starb er am 11. September 1971 an Herzversagen.