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05.04.19 / Frühe Sittenverderberin / Vor 50 Jahren starb die Nackttänzerin Celly de Rheidt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-19 vom 05. April 2019

Frühe Sittenverderberin
Vor 50 Jahren starb die Nackttänzerin Celly de Rheidt
Bettina Müller

Berlin, 12. Januar 1922, Theater am Zoo: Tusch, Vorhang auf, Auftritt Celly de Rheidt. Es ist jedoch keine reguläre Aufführung, sondern eine Son­dervorführung im Rahmen eines Strafprozesses gegen die Dame mit der Kleiderphobie. Die um­strittene Tänzerin und ihre Elevinnen lassen bei ihren „naturalistischen Tanzschöpfungen“ nämlich gerne mal die Hüllen fallen, und so soll nun ein illustres Publikum über Celly & Co. urteilen: Ist das nun Kunst oder verwerflich? 

So kommt es, dass an diesem Tag hohe juristische Würdenträger sowie zahlreiche bekannte Persönlichkeiten aus Kunst und Literatur mit entschlossenen Mi­nen zwecks „Inaugenscheinnahme“ im Kampf gegen die Unmoral angerückt sind und kollektiv die Stirn runzeln. Eine seltsame Vorstellung. „Frau Celly tanzt. Lasst sie doch ruhig tanzen, wo alle Welt sich heute im Tanze wiegt.“

Schon der „Ulk“-Redakteur Jo­sef Wiener-Braunsberg hat die Posse um die mutige Hamburgerin in seinem Gedicht anlässlich des Prozesses entlarvt, ebenso Kurt Tucholsky als Ignaz Wrobel, dem es gleichfalls dämmerte: „Daß auch nur ein einziger Mensch etwa deshalb frommer würde, weil sich Celly de Rheidt an diesem Abend nicht die Hosen auszieht, ist nicht anzunehmen.“ Das Ende vom Tanzlied: Celly wird zu einer Geldstrafe verurteilt. Doch das stört sie nur wenig, im Ge­genteil: Sie ist sich sicher, dass sich ihre Abendkasse da­durch in Zukunft noch mehr füllt.

Über Cellys Vorleben ist wenig bekannt. Als Tochter eines Altonaer Schiffskapitäns kam sie am 25. März 1889 als Anna Cäcilie Marie Funk zur Welt, der Vater erhängte sich, als sie 15 Jahre alt war. 1914 heiratete sie in erster Ehe den zwielichtigen Alfred Seweloh, der später in Berlin wegen Kuppelei verurteilt wurde. Celly hatte schon früh ernsthafte künstlerische Ambitionen, war zudem auch geschäftstüchtig. Die Aufhebung der Zensur nach Ende des Ersten Weltkriegs trieb nun wahrhaft seltsame Blüten in der noch jungfräulichen Republik: Es wurde sich im Namen der Kunst öffentlich entblättert. 

Celly und Lola Bach gehörten zu den ersten Nackttänzerinnen der frühen Weimarer Republik, die natürlich sofort die einschlägigen Sittenwächter auf den Plan brachten, das Publikum aber in Massen anlockte. Doch nach einer gewissen Zeit stellte sich ein Gewöhnungseffekt ein. Das Publikum blieb zunehmend fern, zu­mal für den Eintritt nicht gerade moderate Preise verlangt wurden. 

Mitte der 1920er Jahre siedelte Celly nach Wien über. Nach einem gescheiterten Comeback und ihrer zweiten Hochzeit beendete sie ihre kurze Karriere als eine der ersten Nackttänzerinnen Deutschlands und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück.

Am 8. April 1969 ist Celly de Rheidt in Hamburg gestorben.