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12.04.19 / Müllers Lust / Schaulaufen mit dem Ex – Eine Kulturgeschichte des Wanderns

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-19 vom 12. April 2019

Müllers Lust
Schaulaufen mit dem Ex – Eine Kulturgeschichte des Wanderns
Veit-Mario Thiede

Als „typisch deutsch“ beurteilt Claudia Selheim das Wandern. Sie kuratiert im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg die erste kulturhistorische Schau über die von 40 Millionen Deutschen geteilte Wanderleidenschaft. Von der erzählen rund 400 Kunstwerke, Wanderbücher und -karten, Wegweiser, Filmausschnitte und Gesangsdarbietungen aus den vergangenen 200 Jahren.

Wandern stärkt Körper und Seele, vermittelt Naturerlebnisse und führt zu Sehenswürdigkeiten. Aber: „Wandern ist immer auch Geschäft“, wie Selheim angesichts von touristischen Werbeplakaten und kostspieliger Wanderausstattung anmerkt. Mit dem Wandertourismus sind 144000 Arbeitsplätze verbunden. Auf ihren Touren geben die Wanderer pro Jahr 7,5 Milliarden Euro aus und wenden obendrein für ihre Ausrüstung 3,7 Milliarden Euro auf. Anderes ist unbezahlbar: Wegzeichen und Ruhebänke weisen auf den großen ehrenamtlichen Einsatz des 600000 Mitglieder zählenden Deutschen Wanderverbandes bei der Erschließung der Landschaft durch ein 200000 Kilometer langes Netz von Wanderwegen hin.

Wiederholt treffen wir auf Ausrüstungsgegenstände prominenter Wanderfreunde. Da stehen zum Beispiel die Wanderschuhe des Bundespräsidenten Karl Carstens, der zwischen 1979 und 1981 an 60 Tagen in Begleitung der Mitglieder örtlicher Wandervereine Deutschland von der Ostsee bis zu den Alpen durchquerte – und sich damit große Popularität erwarb. 

Das „Schaulaufen“ hat eine lange Tradition. Eine Druckgrafik zeigt die Wanderung der preußischen Königsfamilie am 15. Juni 1830 auf die Schneekoppe im Riesengebirge. Das war ein öffentliches Ereignis. Tausende von Schaulustigen hatten sich vor Schloss Fischbach versammelt, um den Aufbruch der hohen Herrschaften zu beobachten.

Der kulturhistorische Rückblick setzt der Deutschen Wanderlust mit Heimatverbundenheit und Vaterlandsliebe in Beziehung, die in schlimmen Fällen in groben Nationalismus ausarteten. Tiefpunkt des auf ideologische Abwege geratenen Wanderns war die Zeit des Nationalsozialismus. Die Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ warb 1936 mit einem Foto Adolf Hitlers für Wanderreisen. Bildunterschrift: „Auch der Führer wandert.“ Daniel Hess, der künftige Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums, kommentiert: „Es graust einen zuweilen, in welche Abgründe man blickt.“

Zu den Höhepunkten der Ausstellung zählen künstlerische Beiträge. Caspar David Friedrichs Aquarell „Feldstein bei Rathen“ (1828) hält ein Stück unberührter Natur in der Sächsischen Schweiz fest. Stolz ragt in der Ferne die zerklüftete Felsformation gen Himmel. Später erhielt der 50 Meter hohe „Feldstein“ den Namen „Jungfernstein“, weil es unmöglich schien, ihn zu erklettern. Heute heißt die 1874 erstmals bestiegene Formation „Talwächter“ und ist einer der beliebtesten Kletterfelsen im Elbsandsteingebirge.


Bis 28. April im Germanischen Nationalmuseum, Kartäusergasse 1, Nürnberg, geöffnet von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 21 Uhr, Eintritt: 8 Euro: www.gnm.de