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12.04.19 / Ein »zutiefst beschämendes Ereignis« / Beim Massaker von Amritsar erschossen britische Truppen vor 100 Jahren wehrlose Männer, Frauen und Kinder

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-19 vom 12. April 2019

Ein »zutiefst beschämendes Ereignis«
Beim Massaker von Amritsar erschossen britische Truppen vor 100 Jahren wehrlose Männer, Frauen und Kinder
Wolfgang Kaufmann

Während die Bundesrepublik über eine Entschuldigung hinaus sogar bereit ist, wegen der Niederschlagung von gewaltsamen Aufständen in ehemaligen deutschen Kolonien Entschädigungen zu zahlen, hat Großbritannien sich noch nicht einmal für das Massaker von Amritsar entschuldigt, dessen Opfer wehrlose Zivilisten waren.

Anfang April 1919 herrschte in der Provinz Punjab im Nordwesten der Kolonie Britisch-Indien eine höchst explosive Situation. Verantwortlich hierfür war zum Ersten der im Vormonat in Kraft getretene Rowlatt Act. Dieses Gesetz erlaubte es den Briten, jede des „Terrorismus“ verdächtige Person auf indischem Boden ohne Gerichtsverfahren zu inhaftieren. Was dann im Falle von Saifuddin Kitchlew und Satya Pal auch geschah. Die beiden Anführer der Nationalbewegung im Punjab beziehungsweise der Stadt Amritsar, dem spirituellen Zentrum der Religionsgemeinschaft der Sikhs, verschwanden am 10. April hinter Gittern, was zu großen Protestdemonstrationen und Massenstreiks führte. 

Zum Zweiten drohte ein Einmarsch von Truppen aus dem westlich angrenzenden unabhängigen Emirat Afghanistan, der dann tatsächlich auch am 6. Mai 1919 begann. 

Und zum Dritten kam es immer wieder zu Anschlägen auf Behörden, Banken, Bahnlinien und Telegrafenstationen. Hierbei gab es auch Verletzte und Tote unter britischen Zivilisten und Soldaten. Daher befürchteten viele Militärs, dass ein ähnlich großer Aufstand wie 1857 bevorstehe, in dessen Verlauf rund 6000 Europäer getötet worden waren.

Vor diesem Hintergrund verhängte der britische Vizegouverneur des Punjab, Michael 

O’Dwyer, am Morgen des 13. April 1919 das Kriegsrecht über die Unruheprovinz und beauftragte Brigadegeneral Reginald Dyer, im besonders rebellischen Amritsar für Ruhe und Ordnung zu sorgen: „Es werden keine Provokationen oder Menschenaufläufe erlaubt. Alle Versammlungen sind zu beschießen.“ Nun hatten Anhänger von Kitchlew und Pal aber wenige Stunden zuvor zu einer großen Protestdemonstration im Jallianwala-Bagh-Park aufgerufen, die um 16.30 Uhr beginnen sollte. Das wurde Dyer auch alsbald durch seine Spitzel im Volke zugetragen. Daraufhin beschloss er, ein Exempel zu statuieren.

Währenddessen strömten mehrere tausend Sikhs, Muslims und Hindus in die Gartenanlage, die rund 200 mal 200 Meter groß und von sechs Meter hohen Mauern mit einigen relativ schmalen Eingängen an den Seiten umgeben war. Die Menschen hatten das indische Neujahrsfest Vaisakhi gefeiert und befanden sich nun teilweise auf dem Weg zu der angekündigten Demonstration, viele wollten aber auch einfach nur durch den Park nach Hause gehen.

Dyer entsandte ein Flugzeug, um die Lage im Jallianwala Bagh zu sondieren und setzte dann ein kleines Truppenkontingent in Marsch. Dieses bestand aus 90 Angehörigen der 8. Jalandhar-Brigade, sämtlich Inder oder Nepalesen, die in der britischen Kolonialarmee dienten. Dazu kamen zwei Lastwagen mit aufmontierten Maschinengewehren, die jedoch nicht durch die Tore des Parks passten, so eng waren diese. Nachdem Dyer den Hauptzugang hatte blockieren lassen, erteilte er gegen 17.30 Uhr den Befehl, ohne vorherige Warnung in die Menge zu feuern, wo sie am dichtesten war. Anschließend gaben seine Untergebenen innerhalb von zehn Minuten 1650 Schüsse ab – bis ihre Munition komplett verbraucht war.

Nach offiziellen Angaben wurden bei der Aktion 379 Menschen getötet und 1500 verletzt, darunter zahlreiche Frauen und Kinder, eines davon nur sieben Monate alt. Tatsächlich kamen aber wohl eher 1000 oder noch mehr Inder ums Leben. Viele wurden auch in der einsetzenden Massenpanik zertrampelt oder starben an ihren Verletzungen, weil sie wegen der nachfolgend verhängten Ausgangssperre nicht medizinisch behandelt werden konnten.

Im Anschluss an das Massaker behauptete Dyer gegenüber seinen Vorgesetzten, er sei im Jallianwala Bagh mit einer „revolutionären Armee“ konfrontiert gewesen. Daraufhin erhielt er von Generalmajor William Beynon folgendes Telegramm: „Ihre Aktion war korrekt und der Gouverneur bestätigt dies.“ Trotzdem gab es verbreitet heftige Kritik am Vorgehen des Offiziers, und ein Untersuchungsausschuss unter der Leitung von Lord William Hunter kam zu dem Ergebnis, dass Dyers Versuch, die Moral der Punjabis durch den Militäreinsatz gegen unbewaffnete Zivilisten zu brechen, definitiv zu verurteilen sei. Der inzwischen seines Kommandos Enthobene hatte zuvor ausgesagt: „Ich halte es für durchaus möglich, dass ich die Versammlung hätte auflösen können, ohne zu schießen.“ Allerdings wäre er dann wohl zum Gespött der indischen Massen geworden.

Das brutale Gemetzel von Amritsar beflügelte die Unabhängigkeitsbewegung nicht nur im Punjab, sondern in der gesamten Kolonie und verschaffte Mohandas Karamchand Gandhis späteren Aktionen des zivilen Ungehorsams enormen Zulauf. Insofern leitete es den Anfang vom Ende der britischen Herrschaft in Indien ein.

O’Dwyer wurde gut zwei Jahrzehnte nach dem Massaker, am 13. März 1940, von den Ereignissen eingeholt. An jenem Tag gab der Sikh Udham Singh, ein Augenzeuge des Massakers, während einer Zusammenkunft der Ostindischen und Zentralasiatischen Gesellschaft in der Londoner Caxton Hall zwei Herzschüsse auf den Mann ab, den er als den eigentlichen Drahtzieher des Massenmordes bezeichnete. Singh, der für seine Tat zum Tode verurteilt und am 31. Juli 1940 im Pentonville-Gefängnis gehängt wurde, gilt heute als Nationalheld Indiens und „König der Märtyrer“.

Zu einer Entschuldigung für das Massaker hat sich das einstige Mutterland Indiens bis heute nicht durchgerungen. Zwar legte Königin Elizabeth II. am 14. Oktober 1997 einen Kranz am Mahnmal im Jallianwala Bagh nieder, äußerte dabei aber lediglich, dass sie damit „einer schwierigen Episode“ in der britischen Geschichte gedenken wolle. Und Premierminister David Cameron ging bei seinem Staatsbesuch im Februar 2013 auch nur so weit, von einem „zutiefst beschämenden Ereignis“ zu sprechen. Aber vielleicht führt die gegenwärtig stattfindende Debatte im Londoner House of Lords über das Massaker von Amritsar ja nun, 100 Jahre nach dem Verbrechen, schließlich doch noch zu einer Entschudigung.