28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
12.04.19 / Gefolgsmann des Führers bis in den Tod / In der Partei war Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß »der Puritaner«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-19 vom 12. April 2019

Gefolgsmann des Führers bis in den Tod
In der Partei war Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß »der Puritaner«
Klaus J. Groth

Warum machte Adolf Hitler ausgerechnet Rudolf Heß zu seinem Stellvertreter? Einen Mann, der in der öffentlichen Wahrnehmung blass und ungeschickt wirkte? Möglicherweise gerade wegen dieser Eigenschaften! Der vor 125 Jahren, am 26. April 1894, in Alexandria Geborene erwies sich als bedingungsloser Gefolgsmann Hitlers bis in den Tod. 

Die erste Begegnung mit Hitler hatte Heß 1920 während einer Versammlung der NSDAP-Vorläuferorganisation Deutsche Arbeiterpartei (DAP). Voller Bitterkeit über den verlorenen Krieg, in den er als Freiwilliger gezogen war, studierte er mittellos in München. Dort schloss er sich nationalgesinnten Kreisen an, beteiligte sich im Freikorps des Franz Ritter von Epp an der Niederschlagung der Räterepublik (siehe PAZ Nr. 14 vom 5. April) und lernte Ernst Röhm wie Heinrich Himmler kennen. Und eben auch Adolf Hitler. Von dem war Heß vom ersten Augenblick an fasziniert. Wenig später trat er der Partei bei und gründete den „1. Münchner NS-Studentensturm“. 

Heß’ früh erkennbare Ergebenheit gegenüber Hitler wurde vielfach aus seiner Kindheit gedeutet. Er habe in Hitler eine väterliche Ersatzfigur gesehen. Sein Verhältnis zu seinem dominanten Vater soll problematisch gewesen sein. Der Vater leitete Importunternehmen. Vom Sohn wurde erwartet, dass er in das Geschäft einsteigen werde. Dem entzog sich dieser, als er sich als Kriegsfreiwilliger meldete. 

Seine Bewunderung für Hitler wurde deutlich, als Heß für ein Preisausschreiben 1921 beschrieb, wie ein Mann beschaffen sein müsse, der Deutschland wieder in die Höhe führe. Er schilderte einen Diktator voller Selbstlosigkeit und Leidenschaft – und gewann den ersten Preis. 

Doch trotz dieser geistigen Nähe war Heß beim Sturm auf die Feldherrnhalle 1923 nicht mit dabei. Dennoch wurde er per Steckbrief gesucht. Verurteilt zu 18 Monaten Festungshaft in Landsberg, begegnete er dort Hitler wieder. Dessen Buch „Mein Kampf“ wurde zum gemeinsamen Projekt. Hitler las aus dem Manuskript vor, Heß redigierte den Text und tippte ihn ab. Auf den Inhalt nahm er keinen Einfluss.

Bei solcher gemeinsamen Arbeit kam man sich noch näher. Nach der Haftentlassung gab Heß das Studium auf und stellte sich als Sekretär ganz in den Dienst Hitlers. Dabei baute er den Vorläufer der späteren Parteikanzlei auf. 

Heß arbeitete weitgehend von der Öffentlichkeit unbemerkt. Das änderte sich, als er 1932 nach dem Sturz des Reichsorganisationsleiters Georg Strasser den Vorsitz der politischen Zentralkommission der NSDAP übernahm. Damit war er in der Parteihierarchie der mächtigste Mann nach Hitler. Im April 1933 ernannte Hitler Heß zu seinem Stellvertreter in der NSDAP. Als solcher nahm er an den Sitzungen des Kabinetts teil, dem er schließlich als Reichsminister ohne Geschäftsbereich angehörte. Sein Einfluss blieb gering, in der Partei galt er als „der Puritaner“, der wiederholt „protzenhaftes, überhebliches und undiszipliniertes Auftreten“ beklagte. In seiner Begeisterung für Hitler formulierte er: „Unser aller Nationalsozialismus ist verankert in kritikloser Gefolgschaft, in der Hingabe an den Führer …“

Das Tagesgeschäft überließ Heß seinem ehrgeizigen Mitarbeiter Martin Bormann, Chef des Stabes des Stellvertreters des Führers. Bormann verwaltete Hitlers Vermögen, eine Aufgabe, die zuvor Heß wahrgenommen hatte. Er organisierte den Ausbau des Führerdomizils am Obersalzberg. Gleichwohl wuchsen das Amt und mit ihm Heß. 1936 hatte seine Dienststelle 172 Mitarbeiter. Damit war allerdings auch der Höhepunkt erreicht. Hitler schaltete sich zunehmend in die Außenpolitik ein, Heß wurde weniger gebraucht. Darunter litt er. 

Am 10. Mai 1941 trat der stets Dienende aus dem Schatten seines Führers. Er flog mit einer Messerschmitt Bf 110 während eines der schwersten Angriffe auf London nach Schottland, stieg mit dem Fallschirm aus und ließ das Flugzeug abstürzen. Auch bei diesem von langer Hand geplanten Unternehmen wollte er dem Führer dienen. Hitler hatte schon seit längerer Zeit Friedensbotschaften nach London gesandt, die aber ohne Reaktion blieben. Heß wollte mit Douglas Douglas-Hamilton verhandeln. Den 14. Duke of Hamilton und 11. Duke of Brandon kannte er von den Olympischen Spielen in Berlin. Heß war nie zuvor an einem Fallschirm ausgestiegen. Ein Landarbeiter fand ihn mit verstauchtem Knöchel. Die Mission wurde zum Desaster. Die Briten nahmen Heß gefangen, der Herzog erklärte, den Gefangenen niemals zuvor gesehen zu haben. Hitler, durch ein Schreiben informiert, erklärte – verklausuliert – seinen Stellvertreter für geistig umnachtet. Umgehend änderte er die Verfügung von 1939, nach der er für den Fall seines Todes nach Hermann Göring Rudolf Heß zu seinem Nachfolger bestimmt hatte.

 Nach London verlegt, konnte Heß nur sagen, was man bereits von Hitler gehört hatte, es blieb bei Allgemeinplätzen. Daran änderte auch die ständige Überwachung durch den Geheimdienst MI6 nichts.

Erst nach dem Krieg kehrte der Gefangene nach Deutschland zurück. Er wurde in den Nürnberger Prozessen angeklagt und wegen der Planung eines Angriffskrieges und Verschwörung gegen den Weltfrieden zu lebenslanger Haft verurteilt. Die verbüßte er im alliierten Militärgefängnis Berlin-Spandau. Das von den vier Siegermächten gemeinsam betriebene Gefängnis hatte ab 1966 nur noch einen Insassen: Rudolf Heß. Albert Speer und Baldur von Schirach waren entlassen worden. Mehrfach setzten sich Politiker für die Freilassung des ranghöchsten bestraften Nationalsozialisten ein, scheiterten aber am „Njet“ der Sowjets. Ein Wachsoldat fand am 17. August 1987 Rudolf Heß tot. Der 93-jährige hatte sich nach Angaben der Gefängnisleitung mit einem Verlängerungskabel an einem Fensterkreuz erhängt. Es gibt Stimmen, die Zweifel an der offiziellen Todesursache vorbringen.

Vorfahren von Rudolf Heß hatten in Wunsiedel gelebt, dort wollte er begraben sein. Sein Grab wurde zur Kultstätte, an der es regelmäßig zu Gedenkaufmärschen kam. 24 Jahre nach der Beisetzung kündigte die Kirchengemeinde die Grabstätte. Die verbrannten Überreste wurden auf See beigesetzt. Die Aufzüge aber fanden weiter statt.