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12.04.19 / Warum der Erste Weltkrieg so lange dauerte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-19 vom 12. April 2019

Warum der Erste Weltkrieg so lange dauerte
F.-W. Schlomann

Holger Afflerbach beschäftigt sich in dem Buch „Auf Messers Schneide“ mit der   Frage von 1914, ob Österreich-Ungarn die Serben für das Attentat in Sarajewo durch einen Krieg zur Verantwortung ziehen dürfte, was Paris und Moskau verneinten. Deutschland hingegen wollte seinen Bundesgenossen vor einem politischen Zerfall retten und erachtete einen Verteidigungskrieg leichtfertig als unvermeidlich. In seiner Siegesgewissheit und seinem Überlegenheitsgefühl glaubte es, Frankreich sehr schnell schlagen und dann Russland besiegen zu können. Durch seinen Einmarsch ins neutrale Belgien setzte es sich indes ins Unrecht, worauf im Ausland die Vorstellung vom „preußischen Militarismus“ entstand. Berlins Bestreben, den großen Krieg zu vermeiden, wurde hinfällig durch Englands Kriegseintritt, das sich von jeher als Schutzmacht jenes Königsreichs sah. 

Wären bei der Marneschlacht die siegreichen deutschen Truppen weiter vorgedrungen, wäre der Westfeldzug gewonnen gewesen,  doch sie waren erschöpft und den Entente-Streitkräften zahlenmäßig un­terlegen. Schon Ende 1914 glaubten Kreise im deutschen Generalstab, ein militärischer Sieg sei unerreichbar. Ziel war nunmehr, die Gegner zu zermürben, um sie auf diesem Wege zum Einlenken  zu zwingen. Diese aber lehnten einen Separatfrieden ab, sie wollten den deutschen Angreifer strafen, während Deutschland den Krieg nicht ohne einen Siegespreis beenden wollte. Folgenschwerer als die Schlacht von Tannenberg war die um Gorlice-Tarnow, die für das Zarenreich den Anfang vom Ende bedeutete. Dennoch lehnte der Zar  einen Separatfrieden ab, da er sich seinen Verbündeten verpflichtet fühlte. Bald erklärte England die Nordsee zum Kriegsgebiet, womit London gegen bestehendes Recht verstieß. Die deutsche Offensive gegen Verdun sollte „Frankreich zum Weißbluten“ bringen, sie wurde zur Prestigefrage. Im Juli 1916 begann die mit großer Erbitterung geführte Sommeschlacht. 

Der Allfrontenangriff der Entente wurde gestoppt, sodass man an der Themse den Krieg bereits als verloren ansah, doch London und  Paris wollten bis zum Sieg weiterkämpfen. Berlin strebte einen Verhandlungsfrieden an, der Generalstab hingegen wollte die Durchhaltefähigkeit erhöhen. 

Es gab damals Gespräche über einen Frieden, doch durch Berlins Weigerung, seine Kriegsziele zu nennen, führten sie zu keinem Ergebnis. Ein Friede wäre durch einen klaren Annexionsverzicht Deutschlands möglich gewesen, denn eine Ablehnung eines Friedens ohne Annexionen hätte die Alliierten unter Rechtfertigungsdruck ge­setzt. US-Präsident Wilson trat für „Frieden ohne Sieg“ ein, der indes von der Entente als „Ka-

tastrophe“ abgelehnt wurde. Eine Chance, Anfang 1917 den Krieg zu beenden, wurde damit vertan. Das Angebot der deutschen Politik, seine Bedingungen zu nennen, erübrigte sich taktisch durch Eröffnung des U-Boot-Krieges, was Afflerbach als „chaotischen Mechanismus“ bezeichnet. Den Friedensaufruf Papst Benedikts XV. lehnte Washington ab, die Westmächte bezeichneten deutsche Friedensangebote als „Heuchelei“. Nach den Worten des Autors, ein auf diesem Gebiet anerkannter britischer Universitätsprofessor, hatte die Entente erneut die Gelegenheit zum Frieden ausgeschlagen. Sie „wollten die klare Niederlage Deutschlands“, obwohl es Ende 1917 alle Gewinne im Osten gegen einen Frieden einzutauschen bereit war. Die bisher bessere Kampfkraft deutscher Soldaten ließ nach, hinzu kam die feindliche Überlegenheit: Zwischen März und Juni 1918 verloren die Deutschen 973000 Soldaten,  zugleich landeten 956000 US-Soldaten in Frankreich. 

Der Waffenstillstand im November 1918 sei praktisch als eine Kapitulation mit Bedingungen zu werten: Deutschland entwaffnete sich auf Zusagen der Ententemächte, welche indes nicht eingehalten oder uminterpretiert wurden. Es war kein Friede der Gerechtigkeit, die Notwendigkeit von Nachbesserungen sahen sogar die Siegermächte ein. Eine historische Tra­gödie sei indes, dass viele zu spät erfolgten und nicht der demokra­tischen Weimarer Republik zugute kamen, sondern deren Totengräber Hitler. Dabei sei es gerade das Ziel der Alliierten gewesen, „die Wie-derkehr eines Krieges unmöglich zu machen.“

Aus der Sicht des Verfassers war dennoch der Ausgang des Ersten Weltkrieges sehr viel länger offen als gemeinhin angenommen: „Der Krieg wurde so lange und so verbittert geführt, weil er lange auf des Messers Schneide stand, und hätte auch anders ausgehen können.“ Worte, die bereits die britischen Premiers Lloyd George und Winston Churchill benutzten. Die lange Dauer machte einen guten Frieden unmöglich, wobei dem Autor zufolge „die Alliierten die größere Verantwortung tragen für seine Verlängerung über den Punkt hinaus, an dem er Europa in die Katastrophe des 20. Jahrhunderts stürzte“.

Holger Afflerbach: „Auf Messers Schneide. Wie das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg verlor“, C.H. Beck-Verlag, München 2018, gebunden, 664 Seiten, 29,95 Euro