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19.04.19 / Auf dem Marsch nach Tripolis / Die Teile Libyens, die General Haftar noch nicht beherrscht, will er nun auch noch unterwerfen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-19 vom 19. April 2019

Auf dem Marsch nach Tripolis
Die Teile Libyens, die General Haftar noch nicht beherrscht, will er nun auch noch unterwerfen
Florian Stumfall

Seit dem Umsturz im Jahre 2011 und der Tötung des Machthabers Muammar Gaddafi ist Libyen gekennzeichnet vom Streit der Stämme und insbesondere der Rivalität zwischen dem vom Westen eingesetzten, weitgehend machtlosen Präsidenten Fayez al-Sarradj und dem General Khalifa Belqasim Haftar, der einen Großteil des Landes beherrscht. Jetzt hat er sich aufgemacht, auch noch den Rest einschließlich der Hauptstadt Tripolis zu unterwerfen.

Die Nachrichten lauten unterschiedlich und widersprechen einander immer wieder. Es geht am Ende der ersten Woche von Haftars Zug gegen Tripolis um die Frage, ob er den Flughafen oder vielleicht gar Teile der Metropole selbst erobert hat oder doch noch nicht. Einhellig ist die Rede von andauernden Kämpfen, wobei die Regierungsseite auch Kampfflugzeuge einsetzt. Dennoch scheint Haftar mit seiner Libyschen Nationalarmee (LNA) im Vormarsch begriffen. Die strategische Generalrichtung von Ost nach West entspricht den ethnischen wie politischen Gegebenheiten des Landes. Der Osten ist arabisch geprägt, der Westen zunehmend berberisch. Im Süden, der bereits unter Haftars Einfluss steht, leben nilosaharanische Völker, die mit ihren Landsleuten wenig gemeinsam haben.

Haftars persönliche Rolle im Geflecht der Stämme ist ein wenig delikat. Er und einige seiner führenden Leute in der LNA gehören zu den arabischen Farjan, die im Westen leben. Dennoch wird er von dem mächtigen Stamm der Awaqir gestützt, der in der Gegend Bengasi lebt, von der aus auch die Erhebung gegen Gaddafi ihren Anfang genommen hat. Allerdings haben die Awaqir bereits angedeutet, dass ein solches Arrangement eine Ausnahme darstelle und sie keinen weiteren Farjani mehr in einer Spitzenposition dulden würden. Auch Haftars Werdegang ist nicht ohne Widersprüche. Er war unter Gaddafi Oberbefehlshaber im Krieg gegen den Tschad, wurde gefangen genommen und von der CIA in die USA gebracht. Dort arbeitete er einige Jahre für den Geheimdienst. 2011 beteiligte er sich am Sturz Gaddafis, der wesentlich von der CIA organisiert worden war. Im Anschluss war es seine Aufgabe, die Streitkräfte des Landes neu zu organisieren. Dabei bekam er es alsbald mit radikal-islamischen Tendenzen zu tun, die er mit seinen Sintan-Brigaden bekämpfte. Die Regierung in Tripolis warf ihm einen Putschversuch vor, und so war das Zerwürfnis vorgegeben.

Unabhängig von seiner politischen Wendigkeit scheint heute General Haftar der einzige Mann in Libyen zu sein, der im Stande ist, das Land zu befrieden. Der „international anerkannte“ al-Sarradj jedenfalls ist eine kraftlose Figur, und die Tatsache, dass er von der UN eingesetzt worden ist, dürfte ihm eher zur Belastung als zum Vorteil gereichen. Vor allem sind die Beteuerungen der G7-Länder, für Libyen könne es keine militärische Lösung geben, wenig hilfreich. 

Denn sie waren es gewesen, die im Jahr 2001 Libyen ins Mittelalter gebombt und so den derzeitigen Konflikt verschuldet haben. UN-Generalsekretär António Guterres hat sich dieser Tage nach Libyen gewagt und dort weise Worte gesprochen: „Ich bin zutiefst beunruhigt über die in Libyen stattfindende Militärbewegung und die Gefahr einer Konfrontation. Es gibt keine militärische Lösung.“ Sein Vorgänger Ban Ki-moon hatte eine derartige Beunruhigung beim NATO-Überfall 2011 nicht empfunden.

In Libyen wirken verschiedene Interessen. Italien bemüht sich darum, seine Beziehungen aus der Kolonialzeit wiederzubeleben. Dabei stößt Rom auf den Widerstand von Paris. Denn Frankreich pflegt seit Längerem enge Beziehungen zu Haftar. Die Franzosen haben offenbar die Entwicklung des Generals zum nächsten unumschränkten Machthaber kommen sehen und sind frühzeitig auf den Zug aufgesprungen. Es geht schließlich um sehr viel Erdöl, und gegebenenfalls auch um die Wiederbelebung eines Programms von Gaddafi, in dessen Rahmen er Tiefenwasser aus der Sahara in die Küstenregion gepumpt hatte. Die NATO hat das mit Bomben unterbunden, aber eine Wiederaufnahme stellte einen ebensolchen finanziellen Wert dar wie das Erdöl. 

Die Spannungen zwischen Rom und Paris, die in der EU ausgetragen werden, finden nun ihre Fortsetzung in Libyen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron besuchte kürzlich Ägypten, das als wichtiger Helfer Haftars gilt. Gleichzeitig bombardierte die französische Luftwaffe Rebellen aus dem Tschad, die nach Libyen eindringen wollten, wo sie den Einflussbereich Haftars bedroht hätten. So nutzt Paris sein regionales Anti-Terror-Mandat „G5 Sahel“, um in Libyen mitzupokern. 

Der US-amerikanische und in Russland lehrende Politologe Andrew Korybko stellt die Lage so dar: „Die historische italienisch-französische Konkurrenz tauchte nach dem NATO-Krieg gegen Libyen 2011 wieder auf, als es gelang, die Republik unter Gaddafi zu zerstören. Beide europäischen Länder kämpfen um die Kontrolle der libyschen Ressourcen, wobei Paris eif­rig versucht, die Oberhand über die dort verankerten Interessen Roms zu gewinnen. Italien erbte einen Großteil seines Einflusses aus der Kolonialzeit und seiner geographischen Nähe zu Nordafrika.“

In einer untypischen Lage befinden sich in Bezug auf Libyen die USA. Sie ziehen ihre Truppen aus dem Land ab. Der Befehlshaber des United States Africa Command, General Thomas D. Waldhauser, gab zu bedenken: „Die Sicherheitslage in Libyen wird immer komplizierter und unkalkulierbarer. Wir werden die Situation verfolgen und die Möglichkeit der Wiederherstellung der US-Militärpräsenz erwägen.“ Gleichzeitig warf er Russland vor, seinen Einfluss in Libyen zu verstärken. Doch dieser besteht im Wesentlichen darin, dass es Kontakte zwischen General Haftar und Mos­kau gibt.