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19.04.19 / »DNA des vereinten Europa« / Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen – Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt Festrede

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-19 vom 19. April 2019

»DNA des vereinten Europa«
Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen – Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt Festrede

Auf große Resonanz stieß der Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen (BdV) am Dienstag vergangener Woche in Berlin. So waren der Einladung von BdV-Präsident Bernd Fabritius, der zugleich Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ist, neben Bundesinnenminister Horst Seehofer die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, über 50 Bundestagsabgeordnete, Landtagsabgeordnete, Staatssekretäre und Vertreter der Bundes- und Landesministerien, Diplomaten, Kirchenvertreter, mehrere Landesbeauftragte für Vertriebene und Spätaussiedler sowie Vertreter aus dem Heimatregionen der deutschen Vertriebenen und Spätaussiedler gefolgt. Hinzu kamen viele Vertreter von Verbänden und Organisationen. Das volle Haus dürfte nicht zuletzt daran gelegen haben, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel wie schon seit Jahren als Rednerin auftrat.

Zu Beginn seiner Begrüßungsrede ließ Fabritius keinen Zweifel daran, dass der BdV „entschlossen zukunftsorientiert“ sei. Seine Arbeit umfasse „weit mehr als das Engagement für die klassische Zielgruppe der deutschen Vertriebenen und Flüchtlinge, der Aussiedler und Spätaussiedler“. Sie sei gesellschaftlich relevant, „weil wir über unsere Verbände und deren Akteure in der Mitte der Vereine, der Kommunen, der Kirchengemeinden und der wohltätigen Organisationen im Sinne und im Dienste der Zivilgesellschaft wirken“. Der BdV gehöre zur DNA des vereinten Europa, weil seine Mitglieder „Deutschland und Europa um einen kulturellen Teil bereichern.“

Besonders erfreut zeigte sich Fabritius über die vielen Gäste aus den Parlamenten. Dabei konnte sich der CSU-Politiker einen Seitenhieb gegen die AfD nicht verkneifen, indem er anmerkte, der BdV werbe um die Unterstützung der Parteien, er brauche aber „Freunde, keine Alternativen“. Aber eines gelte auch: „Wir Vertriebene bewerten politische Zuverlässigkeit danach, ob und wie viel von dem, was an klaren Zusagen in Wahlprogrammen steht, nach der Wahl noch umgesetzt oder zumindest angestrebt wird. Darauf achten wir.“

Als zentrales Thema, das dem BdV und den Landsmannschaften „schon viel zu lange unter den Nägeln brennt“, nannte Fabritius die Beseitigung der personenkreisspezifischen Benachteiligungen von Spätaussiedlern im Rentenrecht. „Wir nennen es schlicht Rentenungerechtigkeit“, so Fabritius. Systembedingte Altersarmut bei Spätaussiedlern sei ein drängendes Thema, der BdV dürfe und werde nicht tatenlos zusehen, „wie die Politik das Problem zerredet und verwässert und immer wieder neue Ausreden sucht“. Spätaussiedler seien ein Gewinn für die deutschen Rentenkassen. Die Altersstruktur in diesem Personenkreis stütze die auf einem Generationenvertrag aufbauende Solidargemeinschaft Rentenversicherung. Rund 33 Prozent der Spätaussiedler seien jünger als 18 Jahre, die meisten anderen im Alter zwischen 18 und 45, rechnete Fabritus vor. Sie alle arbeiteten und zahlten Beiträge. Lediglich 6,8 Prozent seien bei Aufnahme älter als 65.

Dennoch werde diese Gruppe im Generationenvertrag seit 1996 weitgehend ausgeschlossen, da die vielen erwerbstätigen Spätaussiedler voll einzahlten, der Rentenbezug der älteren Generation allerdings um mehr als die Hälfte gekürzt worden sei. Bei den fast fünf Millionen in Deutschland aufgenommen Aussiedlern und Spätaussiedlern, hier geborene Nachkommen noch nicht mitgerechnet, sei das Thema von großer und bleibender Relevanz. Fabritius forderte an diesem Punkt „schlicht Gerechtigkeit“.

Zum Abschluss seiner Rede wies Fabritius auf die Agenda des BdV hin. Auf dieser stehe die kodifizierte Verankerung eines weltweiten Vertreibungsverbots und damit die Sanktionierbarkeit von Vertreibungen, der stete verständigungspolitische Dialog mit den Nachbarn im Osten, die Sicherung des kulturellen Erbes der Heimatvertriebenen und das Bestreben, „Wahrhaftigkeit als conditio sine qua non einer ehrlichen und empathischen Erinnerungskultur“ durchzusetzen.

Merkel stellte den Anteil der deutschen Heimatvertriebenen an der Schaffung eines „vereinten Europa“ in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Dabei knüpfte sie an den 70. Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland an. So gäbe es „politische Stabilität, wirtschaftlicher Erfolg und sozialer Frieden“ zu feiern. Die Heimatvertriebenen hätten an dieser Entwicklung einen großen Anteil, so die Kanzlerin. Das sei alles andere als selbstverständlich nach all dem Schrecklichen. Es bleibe unvergessen, was die Heimatvertriebenen für den Wiederaufbau Deutschlands geleistet hätten: „Sie haben mitgeholfen, dass Deutschland, das so viel Leid und Elend über Europa und die Welt gebracht hatte, seinen Platz als anerkannter Partner in der Staatengemeinschaft wiederfinden konnte.“

Europa sei 80 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs „ein weltweit einzigartiger Raum des Friedens, der Sicherheit und des Wohlstands“. Das sei nicht immer so gewesen. Gerade die Familiengeschichten der Vertriebenen und Spätaussiedler „erzählen von Leid und Entbehrung zu einer Zeit, in der eine europäische Einigung reine Utopie zu sein schien“. Die Antwort auf den Krieg und seine Folgen sei „Europa als Friedensgemeinschaft“. Niemand könne besser als die Heimatvertriebenen davon erzählen, „was wir an Europa haben“. Merkels Appell: „Jenen, die an Europa zweifeln und sich lieber ins Nationale zurückziehen wollen, glaubhaft vermitteln, was Europa bedeutet und bedeuten kann.“

Aus dem Schicksal der Vertriebenen und aus ihrem Selbstverständnis als Brückenbauer in Europa erwachse auch politische Verantwortung, welche die Bundesregierung „sehr ernst“ nehme, versicherte die Bundeskanzlerin. Als Beispiel nannte sie die im Bundesvertriebenengesetz festgelegte Aufgabe, das Kulturerbe zu erforschen und zu bewahren. Dieses Erbe sei durch Wechselwirkungen mit Kulturen anderer Völker „Teil einer europäischen Beziehungsgeschichte“. Diese zu vermitteln, helfe, das Bewusstsein für die gemeinsamen Wurzeln, „die wir in Europa haben“, zu schärfen und so die Versöhnung mit den östlichen Nachbarn zu festigen. In diesem Sinne wirke auch die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Hinsichtlich des Eröffnungstermins des Dokumentationszentrums nannte Merkel den Februar 2020. Dann könne die Stiftung „als deutschlandweit einzigartiger, gesamteuropäisch verankerter und international sichtbarer Lern- und Erinnerungsort endlich seiner Bestimmung zugeführt werden“. Es würde sie „unendlich freuen, wenn wir endlich einmal einfach die Türen öffnen und Menschen hineinbringen könnten“.

Zum Abschluss ihrer Rede stellte sie fest, dass es viele Anknüpfungspunkte für die Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und dem BdV gäbe. Das Spektrum reiche von einer umfassenden Pflege der Erinnerungskultur bis hin zu gesetzlicher Detailarbeit. Deshalb freue sie sich „auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit“.J.H.