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19.04.19 / Folgen des Zweiten Weltkrieges / 70 Jahre ostdeutsche Landsmannschaften in Schleswig-Holstein

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-19 vom 19. April 2019

Folgen des Zweiten Weltkrieges
70 Jahre ostdeutsche Landsmannschaften in Schleswig-Holstein

Die 70. Jahrestage der Vertriebenengruppen in Schleswig-Holstein häufen sich in diesen Tagen. Zeit also für einen Rückblick.


Durch ein striktes Verbot unterbanden die Besatzungsmächte bis zum Jahre 1949 jegliche Vereinigung von Deutschen, die im Osten ihre Heimat verloren hatten. Dennoch fanden sich auch in dieser Zeit Frauen und Männer aus allen Ostgebieten, die – vorrangig aus Heimatliebe folgend – auf zunächst örtlicher Ebene begangen, ihre Schicksalsgefährten zu sammeln


Marine


Viele Ostdeutsche und andere Heimatvertriebene kamen 1945 über die Ostsee nach Schleswig-Holstein. Für die Rettung über See ist heute noch der Marine Dank zu sagen, denn sie hat vielen Menschen das Leben gerettet. Dennoch darf nicht vergessen werden: Bei dieser unvergleichbaren Rettungsaktion über See sanken 

245 Handelsschiffe durch Torpedotreffer, Minen oder Bomben. 33000 Menschen fanden dabei den Tod in den Fluten. Die großen Katastrophen der Ostseeflucht waren sicher die Torpedierung der MS Wilhelm Gustloff, des Dampfers Steuben, des Frachters Goya und die Versenkung des Fahrgastschiffes Kap Arkona. Aber, bei dieser größten Rettungsaktion in der Geschichte der Seefahrt mit dem Namen „Unternehmen Hannibal“ wurden mehr als 2,5 Millionen Menschen aus Ost- und Westpreußen sowie Pommern, dem Memelland und Danzig über die Ostsee evakuiert und gerettet. 

Eine andere große Anzahl von ostdeutschen Vertriebenen kam auf dem Landweg nach Schleswig-Holstein und hat Not, Elend, Leid und vielfach auch Grausames auf dem Treck erleben müssen. 


Zwölf Millionen Flüchtlinge und Vertriebene


Zur Geschichtsschreibung der Bundesrepublik Deutschland gehört also auch das Kapitel Flüchtlinge, Vertriebene und ihre Organisationen, die Landsmannschaften, der Landesverband vertriebener Deutscher (LvD) beziehungsweise der Bund der Vertriebenen (BdV). Infolge der Kriegsereignisse kamen zwölf Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in die Bundesrepublik Deutschland. Davon alleine schon 1,2 Millionen nach Schleswig-Holstein, eine enorm hohe Zahl, zumal die Bevölkerungszahl in diesem Bundesland damals nur 1,6 Millionen betrug. 


Suchdienste


Suchdienste gehörten zu den 

ersten Aktionen. Vor Ort schlossen sich Landsleute zu Gruppen zusammen. Diese Gruppenbildung trug viel zur psychischen Stabilisierung der Vertriebenen bei. Offiziell wurde es erst durch Anordnung des britischen Militärgouverneurs von Schleswig-Holstein vom 19. Juni 1948 möglich, Flüchtlingsgruppen auf Ortsebene zu gründen, was einige Gruppen sogar noch 1948 taten. Die 

meisten Gruppen gründeten sich jedoch erst 1949 und 1950. 


Landesverband vertriebener Deutscher (LvD)


Die Arbeitsgemeinschaft der Vereinigung der Heimatvertriebenen in Schleswig-Holstein – so nannte sich der LvD in der Anfangszeit – wurde am 6. April 1949 gegründet. Erster Vorsitzender wurde Regierungsrat a. D. Paul Stech. Später folgten Alfred Gille und Josef Domabyl sowie Günter Petersdorf und Dieter Schwarz auf Landesebene. Heute ist es Fedor Mrozek. Es war den Menschen wichtig, sich für ihre Heimat zu engagieren, doch nicht jeder kann in diesem Rückblick genannt werden.

Die soziale Betreuung der Mitglieder, Erhaltung der Pflege des ost- und mitteldeutschen Kulturgutes sowie die heimatpolitischen Aufgaben standen dann im Mittelpunkt des LvD und seiner Mitgliedsorganisation der Landsmannschaften. 

Seit 1952 war der LvD ein Verband, der für die Angelegenheiten der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten eine beratende Funktion ausüben durfte. Hierauf beruhten auch die 15 Beratungsstellen in den Stadt- und Landkreisen, die vom LvD mit maßgeblich finanzieller Unterstützung des Landes unterhalten wurden. Diese Beratungsstellen für Angelegenheiten der Vertriebenen, Flüchtlingen und Kriegsgeschädigten, zu denen auch kulturelle Aufgaben gehörten, haben in den vergangenen Jahrzehnten Hervorragendes geleistet und hatten sich auch dem verstärkten Zustrom von Aussiedlern und Übersiedlern gewachsen gezeigt. 


Große Not


Hunger, Kälte und katastrophale Wohnverhältnisse herrschten im Lande. Die Heimatvertriebenen besaßen oft nur das, was sie auf dem Leibe trugen, es mangelte an den notwendigsten Dingen des täglichen Lebens. Auch Arbeitsplätze waren kaum vorhanden. Rund 228000 Menschen lebten zunächst in Baracken oder anderen Notunterkünften. In sieben von insgesamt 17 Landkreisen gab es weit mehr Flüchtlinge als Einheimische. Heute gibt es in Schleswig-Holstein nur noch 15 Kreise. Der Chronist wird bezeugen, dass dies auch zu Unzuträglichkeiten untereinander führte. Wer will schon freiwillig Wohnraum abgeben und sich einschränken? 

Das Flüchtlingslager Pöppendorf vor den Toren Lübecks 

war Durchgangslager für rund 600000 Menschen. Die Hansestadt Lübeck zum Beispiel hatte mit zeitweise 100000 Heimatvertriebenen und Flüchtlingen den größten Anteil im Lande. Nach der großen Umsiedelungsaktion, vor allen Dingen in die Länder Nord-rhein-Westfalen und Hessen, blieben zum Beispiel immer noch 250000 Ostpreußen in Schleswig-Holstein. Dieses Bundesland war zweifelsohne Flüchtlingsland Nummer Eins, gemessen an der Zahl der Einheimischen. Erst durch die Umsiedlung 1952 änderten sich die Verhältnisse grundlegend. Die ersten Ansätze zur Gründung von Selbsthilfeorganisationen der Vertriebenen wurden allerdings schon unmittelbar nach Kriegsende gemacht. Bis dahin bestand ein Koalitionsverbot für Flüchtlinge und Vertriebene. Zu erwähnen ist, dass Nebenerwerbssiedlungen für ehemalige Bauern entstanden. Der Wohnungsbau wurde durch diese Selbsthilfeorganisationen gefördert. Es entstand der Verband der heimatvertriebenen Wirtschaft.


Frauenarbeit und Bruderhilfe


Hervorzuheben ist ferner die Frauenarbeit, insbesondere auf sozialem Gebiet, und in diesem Zusammenhang entstand auch die Bruderhilfe für die verbliebenen Landsleute in Ostpreußen. Über Jahrzehnte wurden mit sehr vielen Hilfstransporten zunächst Sachspenden und dann bis heute finanzielle Zuwendungen für hilfsbedürftige Landsleute mithilfe der Büros der deutschen Minderheit in Allenstein und Ortelsburg verteilt. Diese Hilfstransporte wurden von Anfang an fast ausschließlich von Mitgliedern der verschiedenen Ortsverbände organisiert. Es werden heute noch etliche Familien in der Heimat unterstützt. 


Charta der deutschen 

Heimatvertriebenen


Trotz aller seelischen und materiellen Not hatten die Heimatvertriebenen bereits im Jahre 1950 die innere Kraft, auf jede Anwendung von Gewalt für immer zu verzichten und dieses in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen vom 5. August 1950 feierlich im „Bewußtsein ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen, im Bewußtsein ihrer Zugehörigkeit zum christlich-abendländischen Kulturkreis“ zu verkünden (siehe Kasten).

Der 5. August 1950 ist also für alle Heimatvertriebenen ein geschichtsträchtiger Tag. Vor 69 Jahren gab es Demonstrationen vor den Ruinen des zerstörten Stuttgarter Schlosses für eine friedfertige Auseinandersetzung ohne Rache und Gewalt mit den Staaten, aus denen 15 Millionen Deutsche vertrieben wurden und 2,2 Millionen Deutsche den Tod fanden. Das war fünf Jahre gleich nach dem Krieg ein außerordentlicher christlicher und mutiger Akt der Vergebung für alles Leid der durch furchtbare Verluste an Leben und Heimat Betroffenen. 

Bei der Würdigung der nach dem Krieg im freien Teil Deutschlands erbrachten Leistungen kann und darf die Würdigung der Aufbauleistung der Vertriebenen nicht fehlen. Ohne die zwölf Millionen Vertriebenen in der Bundesrepublik wäre die Stellung, die Deutschland heute in der Welt einnimmt, undenkbar. Vertriebene und Flüchtlinge in Schleswig-Holstein haben ebenfalls maßgeblichen Anteil am Wiederaufbau unseres Landes und haben es mitgestalten können. 


Patenschaften und Kultur


Im Laufe der Jahre entstanden rund 90 kommunale Patenschaften. Düsseldorf übernahm die Patenschaft für die Danziger. Der Freistaat Bayern wurde ein guter Pate für die Ostpreußen. 

Was die ostpreußischen Kultureinrichtungen angeht, muss das einmalige Ostpreußische Landesmuseum in Lüneburg erwähnt werden, das am 25. August 2018 nach einer umfangreichen Erweiterung unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und der Politik wiedereröffnet wurde. Aber auch das Kulturzentrum Ostpreußen im Deutschordensschloss in Ellingen mit dem wichtigen Archivmaterial strahlt weit über Bayern hinaus. Nicht zu vergessen werden darf die Stiftung Ostpreußen mit Sitz in Hamburg und natürlich die Preußische Allgemeine Zeitung.

Das Land Schleswig-Holstein übernahm 1954 die Patenschaft für Pommern und 1963 für Meck-lenburg. Zudem entstand 1966 die Stiftung Pommern in Kiel und die Stiftung Mecklenburg in Ratzeburg. Die Westpreußen erhielten für ihre Kulturschätze in Münster ein Museum, heute ist es in Wahrendorf (Westfalen-Lippe) in einem Kloster untergebracht. Der ehemalige Minister Günter Jansen hat beim Tag der Stettiner am 6. August 1989 in Lübeck ganz klare Stellung bezogen zu dem Wesen und dem Begriff von Patenschaften und Partnerschaften und hierzu erklärt, dass die Patenschaft eine Beziehung darstellt, die prinzipiell nicht lösbar ist. 

Die Gedenkstätte in St. Marien in Lübeck, die Pommernkapelle in Kiel und die örtlichen ostdeutschen Gedenkstätten sowie die Albatros-Gedenkstätte in Damp für die Rettung über See sind ebenfalls wichtige Orte für die Vertriebenen in Schleswig-Holstein. 

Nicht unerwähnt bleiben sollten auch die ostdeutschen Heimatstuben und die Häuser der Heimat in Kiel, Itzehoe, Schleswig, Burg/Fehmarn, Eckernförde, Pinneberg, Neumünster und noch in anderen Städten. 

Ein Rückblick auf das 70-jährige Bestehen zeigt auf, welche Leistungen in den Jahren des Wiederaufbaus erbracht wurden. Wie sieht das heute mit den historischen Kenntnissen unserer jungen Leute aus? Die jüngeren Mitbürgerinnen und Mitbürger sollten wissen, was Flucht und Vertreibung, der Verlust von Angehörigen, der Verlust der Heimat und das Auseinanderreißen von Familien bedeuten. Denn es lassen sich Umfang und Bedeutung der Aufbauarbeiten nicht abschließend bewerten, ohne die Situation der ersten Nachkriegsjahre, die ideellen und materiellen Ver-luste der Vertriebenen und ihre dadurch bedingte seelische Verfassung zu kennen. 

Es gab lange Zeiten tiefe Gegensätze zwischen Deutschen und Polen sowie Deutschen und Tschechen. Aber es gab auch Jahrhunderte enger Zusammen- und Aufbauarbeit. Daran haben die vertriebenen Deutschen angeknüpft. Freiheit, Menschenrechte und Selbstbestimmung bilden den Kern ihrer Arbeit. Diese angestrebten Ziele setzen sich heute auch dort durch, wo sie gestern noch unterdrückt wurden. 


Arbeit der Landsmannschaften


Für die Landsmannschaften gab es vor rund 70 Jahren drei große Aufgabengebiete, und zwar Soziales, Kulturelles und Heimatpolitisches. Diese Aufgaben bestanden über vier Jahrzehnte mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Wenn zur damaligen Zeit das Soziale im Vordergrund stand, so ist dieses gottlob durch wirtschaftliche Hilfen die Ansiedlung durch Bauern-, Nebenerwerbssiedlungen, Lastenausgleich und letzten Endes durch den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung in der Bundesrepublik weitestgehend in den Hintergrund getreten. Heute steht zweifelsohne das große kulturelle Erbe Ostdeutschlands im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Wünschenswert wäre die Fertigstellung der Gedenkstätte „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ nach der Idee von Erika Steinbach in Berlin. 

Der ehemalige Bundespräsident Karl Carstens hat über die Kulturleistungen im deutschen Osten Folgendes gesagt: ,,Die großen kulturellen Leistungen im deutschen Osten sind unvergänglich. Es ist unsere Aufgabe, sie im Bewusstsein der Menschen lebendig zu erhalten. Wenn wir die Erinnerung an diese großen Leistungen lebendig erhalten, dann hat dies nichts mit Revanchismus zu tun, sondern es ist der Ausdruck geschichtlichen Bewusstseins eines Volkes, das sich mit seiner Vergangenheit identifiziert.“ 


Geistesgrößen


Aus Pommern stammen: der Freiheitsdichter Ernst Moritz Arndt, der Maler Philipp Otto Runge, der Arzt Rudolph Wirchow, der Begründer des Weltpostvereins Heinrich von Stephan, der Ingenieur, der erste Segelflieger Otto Lilienthal. 

Aus Westpreußen und Danzig stammen: Emil von Behring, der Arzt und Entdecker des Diphtherie-Serums, dann Georg Forster, der Naturhistoriker und Reiseschriftsteller, der Bildhauer und Baumeister Andreas Schlüter, der Philosoph Arthur Schopenhauer und die Schriftsteller Max Halbe und Günter Grass. 

Aus Ostpreußen stammen: Immanuel Kant, der größte deutsche Philosoph, der Dichter Johann Gottfried Herder, der Dichter, Maler und Musiker E. T. A. Hoffmann, Lovis Corinth, der Maler, Käthe Kollwitz, die Grafikerin, Ernst Wiechert und Agnes Miegel, die großen Dichter. 

Aus Schlesien stammen: der Grafiker und Maler Adolf von Menzel, der Theologe und Philosoph Friedrich Schleiermacher, der Naturphilosoph Jakob Böhme, der Verfasser historischer Romane Gustav Freytag, der Dichter der Romantik Joseph Freiherr von Eichendorff und schließlich der große Dichter und Dramatiker Gerhard Hauptmann. 

Diese Aufzählung kann zwei-

felsohne nur lückenhaft sein. Dennoch ist sie recht eindrucksvoll. Wer könnte nicht besser die Begriffe Heimat und Vaterland erklären als der Dichter Ernst Moritz Arndt mit seinem gleichnamigen Gedicht?Edmund Ferner