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19.04.19 / Der satirische Wochenrückblick mit Klaus J. Groth / Schwarze Löcher, überall / Die Briten am Rande des Strudels, ein dunkler Fleck ist kein Lichtblick, und wenn bunte Farben braun anlaufen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-19 vom 19. April 2019

Der satirische Wochenrückblick mit Klaus J. Groth
Schwarze Löcher, überall / Die Briten am Rande des Strudels, ein dunkler Fleck ist kein Lichtblick, und wenn bunte Farben braun anlaufen

Das kann doch kein Zufall sein! Da machen Astronomen erstmals ein Schwarzes Loch sichtbar und bejubeln das als Jahrhundertleistung. Als ob wir nicht täglich mit ganz anderen Schwarzen Löchern zu kämpfen hätten. Was ist die Trommel einer Waschmaschine, in der auf rätselhafte Weise immer wieder einzelne Socken verschwinden, denn anderes als ein Schwarzes Loch? Oder jene Schublade im Schreibtisch, in der allerlei Notizzettel liegen, aber der gesuchte sich niemals finden lässt? 

Zum Thema Schwarzes Loch fällt garantiert jedem etwas ein. Beispielsweise das Schwarze Loch, das uns seit Monaten quält. Auch wenn es niemand mehr hören mag, muss das Wort doch genannt werden: Brexit. Und was hat der mit dem Schwarzen Loch zu tun? Er ist das Schwarze Loch schlechthin!

Um das zu begründen, sollte man sich schlicht fragen, was ein Schwarzes Loch vom Brexit unterscheidet. Zunächst einmal gar nichts. Beides war nicht vorstellbar, bevor es auftauchte. Es gab Theorien, ja klar. In denen wurde schon mal das Versinken im Strudel des absoluten Nichts angedroht. Beim Brexit ist das nicht viel anders. So wie sichtbare Materie unaufhaltsam von einem Schwarzen Loch aufgesogen wird, so taumeln die Briten hilflos ins Chaos. Die Briten produzieren gegenwärtig Schwarze Löcher wie die Gase im holländischen Käse. Darum kann es kein Zufall sein, dass die Entdeckung der Astronomen in der Galaxie M87 und die rotierende Theresa May zur selben Zeit für Aufregung sorgen. Was die Astronomen sichtbar machten, war nur der Schatten eines Schwarzen Lochs. Was die Briten servieren, ist auch nur noch ein Schatten der einst so stolzen Demokratie des Empire. 

Nun haben sich Großbritanniens Premierministerin und die Regierungschefs der Rest-EU noch einmal darauf geeinigt, dass sie sich nicht einig sind. Das ist doch schon mal was. Die Verlängerung der Verlängerung der Verlängerung geht in die Verlängerung. Beim Fußball kürzt man eine trotz Verlängerung unentschiedene Partie durch Elfmeterschießen ab. Aber selbst dazu können sich Brexiteers vom Schlage eines Boris Johnson oder Jacob Rees-Mogg nicht entschließen. Stattdessen setzen sie das absurde Theater fort im Glauben, diese Art des britischen Humors finde noch Freunde. Und was machen die solchermaßen vorgeführten restlichen Europäer? Sie freuen sich! Ja, sie freuen sich, endlich etwas Zeit herausgeschunden zu haben, endlich ohne Zeitdruck verhandeln zu können (was haben sie eigentlich während der vorangegangenen drei Jahren gemacht??), endlich eine Atempause zu haben, endlich wieder Zeit zu haben, sich mit anderen, wichtigeren Dingen zu beschäftigen. Wer, bitte, hat nun einen Spleen? Da will eines der wichtigsten Mitglieder aus dem Verein ausscheren, und der Rest freut sich, endlich Zeit für andere, wichtigere Dinge zu haben? Was kann denn wichtiger sein, als dem Schwarzen Loch mit heiler Haut zu entkommen? 

Aber die Verlängerung der Verlängerung muss ja gar nicht voll genutzt werden. Schließlich droht die EU-Wahl, vielleicht gelingt es kurz zuvor die Notbremse zu ziehen. Das würde jeden Eintrag im inzwischen vollgekritzelten Terminkalender überflüssig machen. Absurder geht es nicht. Die Briten, nach dem ursprünglichen Fahrplan schon nicht mehr in der EU, sollen für das nächste Parlament Abgeordnete wählen. Welche Kandidaten? Hat sich da noch einer aufstellen lassen, obwohl der Zug längst abgefahren sein sollte? Und falls sich nun in aller Eile Kandidaten, die sonst nichts zu tun haben, zusammenklauben lassen sollten, gehen die voller Elan auf Abruf an Europas Zukunft heran? Versorgungstechnisch dürfte die Sache für die Notfall-Kandidaten allerdings einigermaßen interessant sein. Das ist schließlich auch eine Zukunftsfrage.

Doch man sollte sich hüten, die Schwarzen Löcher nur bei anderen zu sehen und die eigenen dunklen Flecken für Lichtblicke zu halten. Die wiederholt gescheiterte Wahl eines Kandidaten der AfD zum Vizepräsidenten des Bundestages ist solch ein finsterer Lichtblick, ein hausgemachtes Schwarzes Loch. Nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages stellt jede in ihm vertretene Fraktion mindestens einen Vertreter oder eine Vertreterin des Bundestagspräsidenten. Das ist schlicht formuliert und eigentlich verständlich. Es wird aber von der Mehrheit des Bundestages nicht verstanden. Stillschweigend, mit zusammengebissenen Zähnen, wird einem um den anderen Kandidaten der AfD die Zustimmung verweigert. Der Kandidat ist in seinem Verhalten ohne Tadel? Macht nichts, kann ja mal vorkommen, abgelehnt. Die Kandidatin hat sich niemals unkorrekt geäußert? Macht nichts, kann ja mal vorkommen, abgelehnt. Was heißt, die Bewerber um das hohe Amt wurden demokratisch gewählt und in der Demokratie ist der Wähler der Souverän, von dem alle Macht ausgeht? Aber bitte nicht in der Geschäftsordnung des Bundestages, die ist nicht mehr Sache des Souveräns. Darüber setzen sich Parteien souverän hinweg. In der Regel ohne Kommentar. Nur ganz selten sagt einer mal, was ihn umtreibt. Thomas Oppermann von der SPD, selbst Vizepräsident, hat gesagt, warum er niemand von der AfD neben sich sitzen haben möchte: Er wolle den Platz nicht dem Vertreter einer Partei überlassen, die „respektlos und demokratieverachtend“ auftritt. Es ist lange her, dass der linke Liedermacher Franz Josef Degenhardt sein Lied „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ sang. 1965 war das. Thomas Oppermann, Jahrgang 1954, ist damit aufgewachsen. Darum weiß er, wo dem Souverän Grenzen gesetzt werden müssen. Auch wenn das respektlos gegenüber dem Souverän sein sollte und letztendlich demokratieverachtend. Doch der Zweck heiligt die Mittel. Heißt es nicht, Freiheit ist immer die Freiheit der gleichförmig Denkenden? Nein? Das genaue Gegenteil wollte Rosa Luxemburg zum Ausdruck bringen? Macht nichts, wer nicht mit im Schwarm schwimmt, gehört nicht dazu. Selbst wenn gegen die zur Wahl stehende Person nichts anderes einzuwenden wäre, dann doch ihre Zugehörigkeit zu einer Partei. So einfach ist das im Parteienstaat. Erst kommt die Partei und dann noch einmal die Partei. Sie wissen doch: „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!“ Wie, Sie meinen, das sei die Lobeshymne auf die SED gewesen? Macht nichts, wer so ein schönes Lied singt, kann gewählt werden. Der wird niemals „respektlos und demokratieverachtend“ sein.

Emil Nolde, der farbenfrohe Maler von Seebüll, auch er versinkt gerade in einem Schwarzen Loch. Jahrzehnte dümpelte er als Verdachtsfall mit suspekter Vergangenheit vor sich hin. Jetzt wird er dingfest gemacht. In Berlin eröffnete die Ausstellung „Emil Nolde. Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“. Nolde war Mitglied der NSDAP, das ist lange bekannt. Nolde hat sich antisemitisch geäußert, auch das ist lange bekannt. Siegfried Lenz hat das thematisiert in seinem Roman „Deutschstunde“. Auch frühere Ausstelllungen beschäftigten sich mit der Rolle des Malers während der NS-Zeit. Er war Täter und Opfer zugleich, er folgte der NS-Ideologie und galt als entarteter Künstler. Nun aber wurde durch intensive Forschung klargestellt: Alle bunten Farben, und Nolde ist geradezu ein Farbenrausch, sind in Wahrheit braun. Es muss eine erschreckende Erkenntnis gewesen sein. Die Kanzlerin, die für die Ausstellung zwei Bilder Noldes verliehen hatte, reagierte geschockt. Sie hatte sich mit den Bildern „Brecher“ und „Blumengarten“ im Amt geschmückt, aber nun, nach diesen neuen Erkenntnissen, will sie die Bilder nach Ende der Ausstellung in keinem Fall zurückhaben. Die Wände im Kanzleramt könnten ziemlich kahl werden, wenn die Bilderstürmer erst einmal richtig loslegen. Auch Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein und Ernst Ludwig Kircher galten als entartet und biederten sich doch zeitweise bei den Nationalsozialisten an, um arbeiten zu können. Ab wann gelten auch sie als verseucht, wenn nicht entartet? Es gibt noch viel zu tun.