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26.04.19 / Katastrophe mit historischer Parallele / Der Brand von Notre-Dame erinnert an den der Kathedrale von Metz – Wiederaufbau bot die Chance zur baulichen Perfektion

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-19 vom 26. April 2019

Katastrophe mit historischer Parallele
Der Brand von Notre-Dame erinnert an den der Kathedrale von Metz – Wiederaufbau bot die Chance zur baulichen Perfektion
Bodo Bost

Der Brand in der gotischen Kathedrale Notre-Dame in Paris erinnert in Vielem an den Brand des Daches der Kathedrale von Metz im Jahre 1877, ausgelöst durch ein Feuerwerk aus Anlass des Besuchs von Kaiser Wilhelm I.

Die dem Heiligen Stephanus geweihte Kathedrale Saint-Étienne in Metz wurde zwischen 1220 und 1520 im gotischen Stil erbaut und ist eine der größten gotischen Kirchen Frankreichs. Am 7. Mai 1877 besuchte Kaiser Wilhelm I. erstmals Metz, sechs Jahre nach der Annexion Elsass-Lothringens durch Deutschland. Der deutsche Kaiser war gegen die Annexion des Moseldepartements, das er anders als das Elsass für französisch hielt. Um seine Ankunft zu feiern, hatten sich städtische Angestellte, allesamt Deutsche, auf dem Dach der Kathedrale eingefunden, um ein Feuerwerk abzufeuern. Um 4 Uhr morgens brach auf dem Dachboden des Stephansdoms ein Feuer aus, das wie bei Notre-Dame de Paris einen Turm und die hölzerne Dachkonstruktion vollständig verschlang. Raketen aus einem Feuerwerk, waren für den Brand verantwortlich.

Wilhelm I., der bereits erlebt hatte, dass bei seinem Besuch in Frankfurt/Main 1867 der dortige Kaiserdom abbrannte, fühlte sich für die Katastrophe persönlich verantwortlich. Er versprach, die gesamte Restaurierung des Doms aus seiner persönlichen Schatulle zu bezahlen. Dennoch wurde gleichzeitig auch zu Spenden aufgerufen. Die Arbeiten dauerten fast 30 Jahre, auch sein Enkel, Kaiser Wilhelm II, stand zum Wort seines Großvaters. Die Beseitigung der Brandschäden führte zur Renovierung des gesamten Doms, der seit dem Mittelalter nicht mehr umgebaut worden war und aus mehreren nur schlecht zusammengefügten Kirchen und Bauteilen bestand. Beauftragt wurde der Deutsche Paul Tornow, der seit 1874 Staatsarchitekt des Reichslandes Elsass-Lothringen in Metz war. Er errichtete innerhalb weniger Wochen ein Notdach, dann unternahm er eine architektonische Studienreise zu den Kathedralen Frankreichs, um sich für die Neugestaltung des Liebfrauenportals inspirieren zu lassen. Seine dabei gefertigten Entwürfe dienten ab 1880 als Vorbild der Restaurierung.

Tornow nutzte die Renovierung, um ganz neue architektonische Aspekte mit dem Umbau zu verbinden, die den Metzer Dom bis heute prägen. Für die Architekten des 19. Jahrhunderts waren Restaurierungen eine Möglichkeit, ein Gebäude zu verbessern, um es in einem perfekten Zustand wiederherzustellen. So errichtete Tornow nach gotischem Muster einen neuen, steileren Dachstuhl mit Hilfe einer Metallkonstruktion, was dazu führte, dass die Kirche höher wirkte, aber die noch vorhandenen Türme gegenüber der Zeit vor dem Brand kleiner wirkten. Das größte Werk Tornows war die Wiederherstellung des gotischen Liebfrauenportals, ein Projekt, das bereits vor der deutschen Annexion geplant worden war. Dazu mussten zunächst die Umbauungen des Domes aus der Zeit des 18. Jahrhunderts abgebrochen werden. In den Jahren 1897 bis 1903 ersetzte er den klassizistischen Portikus des Liebfrauenprotals des Franzosen Jacques-François Blondel, der durch den Brand gar nicht zu Schaden gekommen war, durch ein neogotisches Marienportal mit gotischem Skulpturenschmuck. So kommt es, dass das heute verschlossene Westportal auf den Besucher den Eindruck macht, als stamme es aus dem Mittelalter, dabei ist es nur gut 100 Jahre alt.

Im jungen Kaiserreich verstand man irrtümlich die Gotik als original deutsche Baukunst. In den gotischen Kathedralen des Mittelalters sah man ein Sinnbild urdeutscher Schaffenskraft im Heiligen Römischen Reich unter den Staufer-Kaisern. An dieses mittelalterliche Kaiserreich wollte das 1871 begründete neue Kaiserreich anschließen, und die Rufe nach Vollendung der seinerzeit noch unfertigen gotischen Kathedralen, wie beispielsweise des Ulmer Münsters, mehrten sich. Dem deutschen Architekten Tornow ist es zu verdanken, dass der gotische, eigentlich französische, Stil der Metzer Kathedrale wieder mehr zur Geltung kommt.

(siehe auch S. 2 und S. 24)