16.04.2024

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03.05.19 / Friedhofs-spaziergänge

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-19 vom 03. Mai 2019

Friedhofs-spaziergänge
Vera Lengsfeld

Berlins Friedhöfe sind Oasen im Großstadttrubel. Manchmal sind sie von stark befahrenen Straßen begrenzt, und doch taucht man in einen Ort der Stille ein, sobald man nur zehn Meter hineingegangen ist. Sie sind geöffnete Geschichtsbücher. Man kann die Grabmalkunst und die preußische Sepulkralarchitektur aus dem frühen 18. Jahrhundert bewundern und immer neue Überraschungen entdecken, wer hier begraben ist. Ein Gang über die Friedhöfe vermittelt einen Überblick über die Stadtgeschichte. 

Der Dorotheenstädtische Friedhof ist sicher der meistbesuchte der Stadt. Hier liegen neben Bert Brecht, Helene Weigel, Heinrich Mann, Herbert Marcuse, John Heartfield und anderen linken Geistesgrößen auch Georg Wilhelm Hegel, Johann Gottlieb Fichte, Christoph Wilhelm Hufeland und Carl Friedrich Schinkel. Die Liste ließe sich fortsetzten. Inzwischen ist aus diesem Friedhof ein Ort der Eitelkeiten geworden. Wer sich für wichtig hält, versucht sich eine Grabstätte zu sichern. 

Deshalb liegt der ehemalige Chef der SED-PDS, Lothar Bisky, hier und nicht auf dem Friedhof der Sozialisten in Friedrichsfelde. Als Kontrapunkt hat es die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley geschafft. Auch Christa Wolf hat es vorgezogen, hier bestattet zu werden, statt auf dem Friedhof an der Schönholzer Heide in Pankow, wo sie zum Schluss wohnte und auf dem viele ihrer Schriftstellerkollegen begraben sind. Dabei ist dieser Friedhof etwas Besonderes. Zu DDR-Zeiten lag er dicht an der Mauer. Wenn man an seiner Westseite entlangging, konnte man die S-Bahnen in West-Berlin fahren sehen. Nachdem die Mauer gefallen war, profitierte der etwas verwilderte Bestattungsort von dem Geschenk Japans an das vereinigte Deutschland. An die 30 der Kirschbäume, die Nippon für die Begrünung des ehemaligen Todesstreifens spendete, wurden hier gepflanzt. Mittlerweile sind sie stattlich herangewachsen. Gerade jetzt stehen sie in voller Blüte, und rosa Blütenwolken bezaubern die Betrachter. 

Auf der Ostseite des Friedhofs begann das Pankower Prominentenviertel, in dem viele Künstler wohnten. Der Sänger Ernst Busch war einer von ihnen. Sein Grab liegt etwas versteckt an der Seite. Er war zum Schluss von der DDR sehr ernüchtert, auch wenn er das nicht öffentlich äußerte. Deshalb hat er es wohl vorgezogen, getrennt von seinen Genossen, die so viel von seiner Kunst profitiert haben, zur letzten Ruhe gebettet zu werden. Nicht weit von ihm befindet sich das Grab der Dichterin Inge Müller, der ersten Frau des Dramatikers Heiner Müller, die Selbstmord beging und heute trotz ihrer wunderbaren Gedichte fast vergessen ist. Nicht von mir, deshalb lege ich an ihrem Grab einen Kirschzweig nieder.