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03.05.19 / Illusion vom Paradies / Die Zuwandererwelle von 2015 hat das Fernsehen erreicht – Ernüchterndes Fazit in der Produktion »Eden«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-19 vom 03. Mai 2019

Illusion vom Paradies
Die Zuwandererwelle von 2015 hat das Fernsehen erreicht – Ernüchterndes Fazit in der Produktion »Eden«
Anne Martin

Knapp vier Jahre liegt der Höhepunkt des Immigrantenansturms auf Deutschland zurück – jetzt zeigen ARD und Arte in einem fiktionalen Mehrteiler einige der Menschen hinter den Zahlen.

Wenn „Eden“ das Paradies ist, dann ist der Weg dahin die Hölle. Den jungen Nigerianer Amare verschlägt es aus einem griechischen Aufnahmelager nach Athen, dann über Irrwege nach Paris. Er wird von Schleppern in einem verschlossenen Lieferwagen an der Grenze zu Nordmazedonien ausgesetzt, seiner wenigen Habseligkeiten beraubt, von ei­nem Lastwagenfahrer sexuell be­drängt, und immer wieder taucht auf dem Display seines Smartphones die ferne Mutter auf, die ihren Sohn auf dem Weg ins gelobte Land wähnt.

Vier Jahre nach der „Flüchtlings“-Welle auf Deutschland das Thema Migration fürs Fernsehen zu inszenieren, ist ein Wagnis. Zu tief hat die Massenimmigration das Land gespalten, unlösbar scheint das Dilemma zwischen den Menschen, die ein besseres Leben suchen, und den überforderten Aufnahmeländern zu sein. 

Die internationale Co-Produktion von Arte und ARD, zunächst als Serie geplant, nun an jeweils zwei Abenden ausgestrahlt 

(9. Mai Arte, 8. und 15. Mai, jeweils 20.15 Uhr, Das Erste), versucht gar nicht erst, einen Königsweg aufzuzeigen. Der Mehrteiler beleuchtet unterschiedliche Schicksale, vor allem zeigt er eindrucksvoll, wie die Immigranten auf Geschäftemacher treffen oder die Auswanderer selber zu Dealern werden. Dabei sind es nicht nur die skrupellose Schlepper, die von den Menschenströmen profitieren. 

Neu und überraschend ist der Einblick in die Management-Ebene. Da ist die ehrgeizige Helene, die in Griechenland ein privates Aufnahmelager betreibt und mit ihrem fast steril wirkenden Containerdorf EU-Gelder abgreifen will. Die französische Schauspielerin Sylvie Testud, 1996 mit dem deutschen Taubstummen-Drama „Jenseits der Stille“ bekannt geworden, spielt diese Helene als Unternehmerin, die nervös zwischen Altruismus und Gewinnstreben jongliert. Dass die Zuwandererwelle auch Finanzhaie anlockt, ist der aktuellste Aspekt des Themen-Tableaus.

Die Wohlmeinenden, die in einer Mischung aus Blauäugigkeit und moralischem Rigorismus lange die hiesige Willkommenskultur bestimmten, finden sich in einem Mannheimer Lehrerehepaar wieder. Während ihres Spanienurlaubs werden sie zufällig Zeuge eines anlandenden Bootes, nehmen später einen jungen Syrer bei sich auf und machen – so der Co-Produzent Felix von Boehm – „alles falsch, was man nur falsch machen kann“. Im Souterrain des Reihenhauses be­kommt der schweigsame Bassam das Jugendzimmer des Sohnes und sitzt fortan in sich gekehrt mit am Abendbrottisch. 

Während die Mutter (Juliane Köhler) dem fremden Gast ihr Mitgefühl aufdrängt, lässt der eifersüchtige Sohn keine Möglichkeit aus, um den Untermieter zu schikanieren. Bei den Eltern steht Mildtätigkeit auf dem Stundenplan. „Darf ich dich mal in den Arm nehmen“, fragt die Mutter von sich selbst ergriffen und merkt gar nicht, dass der junge Mann in ihrem Arm erstarrt. Erst als Sohn und Untermieter sich im Keller die Zähne ausschlagen, beginnt diese Integration nach Lehrbuch zu bröckeln. Bassam packt seinen Rucksack und reist überstürzt nach Paris, zu Tante und Onkel. 

Die französische Hauptstadt ist neben Griechenland, Brüssel und Mannheim der vierte Standort des Mammut-Projektes. Hierher hat sich das syrische Ehepaar Meryem und Hamid mit der kleinen Tochter vor den Schergen des Assad-Regimes in Sicherheit gebracht. Hier schürzt sich auch das dunkle Geheimnis, das der Vater mit sich trägt. 

Was all diese Menschen verbindet, ist das unbedingte Bemühen, Konflikte und Traumata zu deckeln. Darin verweist der Mehrteiler sehr realistisch auf die anfängliche Situation in Deutschland. Spannend ist der Prozess, wenn die Fassaden beginnen zu bröckeln. Die beiden griechischen Wärter im Aufnahmelager, die den jungen Amare und seinen Bruder verfolgen und dabei den Tod des Älteren riskieren, geraten als erste in einen verhängnisvollen Strudel von Lügen. 

Und auch bei dem syrischen Arzt, der in einer Redaktion Arbeit gefunden hat, liegen die Nerven blank. Damit seine Frau keine Nachforschungen anstellt, wird sie in der Hochhaus-Wohnung eingeschlossen.

„Eden“ ist der Versuch, ein europaweites Problem in Einzelschicksale aufzulösen und dabei verschiedene Blickwinkel einzunehmen. Zwölf Autoren arbeiteten an dem Projekt, das der bisher nur in Frankreich erprobte Regisseur Dominik Moll schließlich in 70 Drehtagen mit Schauspielern unterschiedlicher Nationen stemmte. Auch er gehört zum Autorenteam: „Als ich anfing, gab es erst drei Folgen.“ 

Um authentisch zu sein, gelang es Moll sogar, in dem Lager Skaramagas bei Athen zu drehen. Manchmal geraten die Schnitte hart, manchmal hört man die Synchronisation heraus. Überzeugend ist vor allem die gemeinsame Klammer all dieser Einzelschicksale: Beschönigen und Verschweigen verstärkt nur das Dilemma – bei den Immigranten ebenso wie bei den Helfern. Selbst die vor Ehrgeiz brennende Helene, die den Fluchtversuch in ihrem Camp mit einem Schweigegeld an die Wärter unter den Tisch kehren will, stellt sich schließlich der Wahrheit: „Nicht alles steht in unserer Macht“, bekennt sie vor der EU-Kommission.

Wenn der Zuschauer an einem der vielen Protagonisten hängenbleibt, dann an dem Jungen Amare, den es wie Treibholz von Küste zu Küste treibt, der entwurzelt sein wird, wo immer er auch landet. Der junge Darsteller Jo­shua Edoze wurde in Griechenland besetzt, ein Grieche mit afrikanischen Wurzeln. In der letzten Szene treibt das voll besetzte Schlauchboot von Calais aus in die See hinaus. England ist das Ziel. Warum England? „Weil es da so gute Fußballspieler gibt“, sagt Amare.

Fazit dieser bemerkenswerten Produktion: Die Migrationsbewegungen des 21. Jahrhunderts versanden allzu oft im trostlosen Wartestand, enden in Lagern oder auf schaukelnden Booten, dem drohenden Untergang preisgegeben. Das Paradies entpuppt sich für die meisten als grausamer Irrtum, als unerreichbare Illusion.