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03.05.19 / Wie aus Frankensteins Versuchsküche / Tierschützer wollen Wildtieren die Kugel geben – Verhütungspillen sollen die Bestände vermindern, Nebenwirkungen inklusive

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-19 vom 03. Mai 2019

Wie aus Frankensteins Versuchsküche
Tierschützer wollen Wildtieren die Kugel geben – Verhütungspillen sollen die Bestände vermindern, Nebenwirkungen inklusive
Stephanie Sieckmann

Beide sind rund, und beide sollen helfen, die enorm große Anzahl der Wildtiere einzudämmen. Pille und Kugel unterscheiden sich aber nicht nur in der Größe, sondern vor allem in der Wirkung. Das eine erledigt das Problem schneller, das andere zeigt seine Wirkung erst nach einiger Zeit. 

Während sich Rotwild und Wildschweine, Mader und Waschbären kräftig vermehren, sehen sich Jäger immer häufiger Anfeindungen ausgesetzt, weil sie Tiere bei der Jagd töten. Dass bei der Jagd- und Forstwirtschaft nicht nur der Schutz des Lebens, sondern auch Hege und Pflege im Sinne von Bestandskontrolle im Fokus stehen, scheinen viele Menschen, die sich als Tierschützer verstehen, nicht sehen zu wollen. Immer öfter fordern daher Tierschützer Bestandskontrollen mittels Alternativen zur Jagd. 

Eine Möglichkeit, die Sache mit den zu großen Wildbeständen leise zu regeln, ist die Empfängnisverhütung. Mit der Pille für die Wildtiere wäre den Jagd-Gegnern der Wind aus den Segeln genommen. Bis diese Maßnahme greift, dauert es jedoch vergleichsweise lange. Und sie hat keineswegs nur Befürworter.

Ein schönes Beispiel für das Problem ist das Wildschwein. Insgesamt 836865 Wildschweine sind in der Saison 2017/18 in Deutschland von Jägern geschossen worden. Die Bestandszahlen nehmen trotz der starken Bejagung Jahr für Jahr zu. Der Bestand explodiert. Vor allem durch den Maisanbau finden die Schwarzkittel einen reich gedeckten Tisch. Jäger können ausschließlich bei guter Sicht auf Wildschweinjagd gehen, im Dämmerlicht des frühen Morgens, des späten Abends oder bei Vollmond. Doch das gemeine Wildschwein ist schlau und versteckt sich gerne im Maisfeld. Eine Idee der Jägerschaft sind daher Bejagungsschneisen in den Maisfeldern, die ihnen die Arbeit erleichtern könnten.

Wenn die Bejagung allein nicht ausreicht, um den Bestand auf dem gewünschten Niveau zu halten, könnte die Pille für Wildtiere eine Ergänzung zur Bestandsregulierung darstellen. Wird der Fortpflanzung ein Riegel vorgeschoben, können sich die Bestandszahlen nicht weiter erhöhen. So lautet zumindest die Theorie. Bis durch das Sterben altersschwacher Tiere die Anzahl der lebenden Population sinkt, braucht es jedoch lange. Forscher geben zu bedenken, dass Populationen, die nicht durch ständige Trächtigkeiten strapaziert sind, länger leben. Das kann die Bestände und damit die Probleme zunächst einmal vergrößern.

Die Empfängnisverhütung für Tiere ist nicht neu. Auf Hormonen basierende Mittel bergen bei Wildtieren aber einige Gefahren, da die Verabreichung nicht zuverlässig kontrolliert werden kann. Legt man Köder aus, die vor allem von den Bachen aufgenommen werden sollen, besteht die Gefahr, dass auch die Frischlinge sie fressen. Dies könnte zu vorzeitiger Geschlechtsreife und bei unregelmäßiger Aufnahme sogar zu gesteigerter Fruchtbarkeit führen, meinen einige Experten – und lehnen dieses Vorgehen ab. 

Auch empfängnisverhütende Mittel, die auf Immunreaktionen basieren, werden bereits seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts erforscht. Auslöser für die ersten Studien waren Zoos, die sich plötzlich mit großen Nachwuchs-Zahlen konfrontiert sahen. Das Töten von Zootieren ist jedoch in einigen Ländern, unter anderem auch in Deutschland, verboten. Die Methode der Verhütung für die Wildtiere ist daher nicht neu und wird in einigen Teilen der Welt bereits angewendet. 

Diejenigen, die aus Tierschutz-Gründen die Jagd ablehnen und für die Pille fürs Wild plädieren, lassen einen wichtigen Aspekt außer Acht: Der Instinkt zur arterhaltenden Fortpflanzung ist bei jedem Tier vorrangig. Einige Forscher warnen davor, dass Empfängnisverhütung bei wildlebenden Tieren zu negativen Folgen wie Inzucht bei der abnehmenden, fruchtbaren Population führen kann. Außerdem müsste der Zuzug unbehandelter Tiere verhindert werden. Diese könnten sich sonst ungehemmt und umso besser vermehren. 

Alternativ zur Hormon-Pille gibt es die Möglichkeit der Verabreichung von Immunokontrazeptiva. Hierbei scheint die Frage noch nicht vollständig geklärt zu sein, ob Immunokontrazeption unabhängig von der Stärke des Immunsystems wirkt oder ob ein schwaches Immunsystem kaum auf die Gabe reagiert. Dann würden sich vor allem die schwachen und kränkelnden Tiere vermehren. Das hätte Folgen für den Genpool, die nicht abzusehen sind. 

Festgestellt wurde auch, dass sich beim Einsatz von Immunokontrazeption Änderungen im Verhalten der Tiere zeigen. So wurde bei Weißwedelhirschen beobachtet, dass sich die Brunftzeit verlängert, wenn die weiblichen Tiere nicht tragen. Eine deutliche Verlängerung der Brunftzeit auf mehrere Monate zehrt die männlichen Tiere stark aus. Ebenfalls wurde beobachtet, dass die Geweihe der betroffenen Tiere ein verzögertes Wachstum aufwiesen. Das lässt eher an Frankensteins Versuchsküche als an Tierschutz denken.

Ein Problem bei den Immunkontrazeptiva waren zu Beginn der Forschung die Auffrischungsimpfungen. Heutige Mittel wirken nach der Verabreichung bis zu zwölf Monate und kommen ohne kurzfristige Auffrischung aus. 

Bleibt noch die Frage: Wie be­komme ich die Pille ins Tier hinein? Die Idee, Köderfallen aufzustellen, in denen die Tiere gefangen werden können, anschließend geimpft und mit einem Chip versehen werden, wird nur schwer umzusetzen sein. Flächendeckend einen großen Anteil an Bachen und Frischlingen und Überläufern so wie ausgewachsenen Keilern mehrfach einzufangen und zu impfen, ist bei der großen Menge an Schwarzwild kaum zu leisten. Denkbar wäre ein solches Vorgehen eher in Ballungsräumen wie der Umgebung von Großstädten wie Berlin. Doch auch hier wird es schwierig sein, die Wanderungen von Einzeltieren, Herden und Rotten vollständig auszuschließen. 

Angesichts der Bemühungen Luxemburgs, Bewegungsjagden, zu denen auch die bei Wildschweinen übliche Drückjagd gehört, zu verbieten, rückt die Empfängnisverhütung als Alternative trotz allem verstärkt in den Blickpunkt. Die stetig lauter werdenden Proteste von Tierschützern könnten durch eine derartige Entscheidung eines – wenn auch kleinen – Landes neuen Nährstoff bekommen und auch in Deutschland für Diskussionen sorgen.