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03.05.19 / Stress und Unsicherheit als Ursache für Übergewicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-19 vom 03. Mai 2019

Stress und Unsicherheit als Ursache für Übergewicht
Dagmar Jestrzemski

Der Hirnforscher und Endo-krinologe Achim Peters hat ein neues Buch über sein langjähriges Forschungsthema, das „egoistische“ Gehirn („Selfish Brain“), geschrieben. Gemeint ist die entscheidend wichtige Rolle, die das menschliche Gehirn bei der Nahrungsverwertung spielt. Obwohl sein Gewicht nur zwei Prozent des Gesamtgewichts eines Menschen ausmacht, verschlingt das Gehirn gut die Hälfte der dem Körper zugeführten Energie, bei Stress sogar 90 Prozent. Mit Bezug auf dieses Phänomen nimmt der 1957 geborene Mediziner einen Gemütszustand in den Fokus, der für unsere heutige Zeit als nahezu typisch beschrieben wird, was im Buchtitel anklingt: „Unsicherheit. Das Gefühl unserer Zeit. Und was uns gegen Stress und gezielte Verunsicherung hilft“. Mit dem Untertitel spielt er auf Strategien an, welche Menschen in schwierigen Lebensumständen helfen können, die Kontrolle über das eigene Gefühlsleben zurückzugewinnen. 

Sehr ins Detail gehend, verbindet er in seinem vielschichten Werk medizinisches Fachwissen, komplexe Wissenschaftstheorien und diverse Studienergebnisse, um anhand der – wissenschaftlich abgesicherten – Selfish-Brain-Theorie nachzuweisen, dass Stress und Unsicherheit nicht nur krank machen, sondern auch Auslöser von Adipositas (Fettleibigkeit) und Diabetes Typ 2 sind. Somit liefert der renommierte Hirnforscher einen neuen Ansatz zum Verständnis von Adipositas.  

Anhand zahlreicher Beispiele erklärt er, warum Informationen über Stressfaktoren in sozialen 

Systemen überaus wichtig für Betroffene sind. Dasselbe gilt für die Vorgehensweise von Akteuren („dunkle Triaden“), die in Beruf und Privatleben anderen zusetzen. Doch genau diese Informationen würden uns meistens bewusst vorenthalten, angefangen bei den mehrfach gefilterten Nachrichten und Meldungen, die über die Medien in die Öffentlichkeit gelangen, so Peters. Dementsprechend lautet sein Befund, dass in unserer Gesellschaft Bedingungen herrschen, die Menschen, je nach individueller Lage und persönlicher Veranlagung, dick und krank machen können. 

Unser zentrales Denkorgan ist darauf ausgerichtet, unter allen Umständen die eigene Energieversorgung sicherzustellen. So benötigt und verlangt das „egoistische Gehirn“ mehr Energie, sobald das Stress-Hormon Cortisol und andere biochemische Botenstoffe Stress signalisieren. Um die Funktionsweise der „Energie auf Abfrage“ zu verstehen, braucht es beim Leser allerdings ein gerüttelt Maß an Willen und Durchhaltevermögen. Bereits in seinem Buch „Mythos Übergewicht – Warum dicke Menschen länger leben“ von 2013 trug der Autor seine Hypothese vor, dass Übergewicht ursächlich mit einer Fehlfunktion des Gehirns aufgrund von toxischem (andauerndem) Stress verknüpft sei. Mit seiner Forschergruppe an der Universität zu Lübeck konnte er nachweisen, dass Menschen, die sich an Stress gewöhnen („habituieren“), zwar weniger anfällig für Herz-Kreislaufkrankheiten sind als andere, die es nicht schaffen, dies jedoch um den Preis der Gewichtszunahme. 

Tatsächlich begnügt sich das „beruhigte Gehirn“ mit nur einem Viertel der zugeführten Glucose anstatt der Hälfte, was normal wäre, und überlässt die restlichen drei Viertel der zugeführten Nahrung dem Körper zur Verwertung. Studienergebnisse deuten darauf hin, dass ein solchermaßen als „Schutzschild“ angelegtes „dickes Fell“ auf Diäten nicht anspricht. Für Betroffene ist das sicherlich eine unwillkommene Botschaft, und auch von einigen Kritikern seiner Bücher erntete der Forscher energischen Widerspruch. Sie bemängeln, dass er unsere überreichliche und teilweise ungesunde Ernährung als Verursacher von Fettleibigkeit völlig außer Acht lasse. Die Wahrheit könnte, wie so oft, auch hier in der Mitte liegen.

Achim Peters mit Sebastian Junge: „Unsicherheit. Das Gefühl unserer Zeit. Und was uns gegen Stress und gezielte Verunsicherung hilft“, Bertelsmann Verlag, München 2018, gebunden, 432 Seiten, 20 Euro