Die Demokratie ist den Deutschen nicht in die Wiege gelegt; sie ist eine historische Errungenschaft, die auch wieder verloren gehen kann.“ So Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor mehreren Hundert Besuchern im Deutschen Historischen Museum (DHM), die zur Eröffnung der Ausstellung „Weimar. Vom Wesen und Wert der Demokratie“ ins frühere Zeughaus gekommen waren. Steinmeier plädierte in seiner Rede mit Nachdruck dafür, die Weimarer Republik nicht immer nur von ihrem Ende her zu erzählen. Dann zeige sich nur eine Geschichte grau in grau. Stimme es, so fragte er, dass Weimar eine Republik ohne Republikaner, eine Demokratie ohne Demokraten gewesen sei, um dann gleich selber die Antwort zu geben: „Nein, das stimmt nicht. Die Weimarer Republik war keine Republik ohne Demokraten!“ Vieles, was damals erstritten worden sei, gelte bis heute. Aus ihrer Demokratiegeschichte könne die Bundesrepublik Kraft und Zuversicht schöpfen: „Demokratie ist nicht, sie wird.“
Nach den Worten von DHM-Direktor Raphael Gross wurde der Titel der Ausstellung dem Buch des jüdischen Staatsrechtlers Hans Kelsen „Vom Wesen und Wert der Demokratie“ übernommen, der zur Gruppe der österreichischen Rechtspositivisten gehörte und als Architekt der österreichischen Bundesverfassung von 1920 gilt. In Erinnerung an die Gründung der ersten deutschen Republik vor 100 Jahren will das DHM seine Angebote im kommenden Halbjahr ganz auf das Thema „Demokratie“ konzentrieren. Dazu gehören neben dieser Ausstellung zur Weimarer Republik ein sogenanntes Demokratie-Labor mit zahlreichen Diskussionsforen, ferner Vorträge, Exkursionen innerhalb Berlins und besondere Filme im Zeughauskino.
Die Ausstellung ist im Ausstellungsbau des DHM untergebracht, dem seinerzeit von Helmut Kohl geförderten und vom chinesisch-amerikanischen Architekten Ieoh Ming Pei entworfenen Anbau ans Zeughaus, dessen himmelstürmende Treppe noch immer geradewegs in den Berliner Himmel zu führen scheint. Wie heutzutage oft bei solchen Ausstellungen ist auch diese sehr stark eine Ausstellung, bei der es viel zu lesen gibt. Böse Zungen sprechen in derartigen Fällen von Flachware. Allerdings gibt es auch etwa 250 Exponate. Dabei handelt es sich um Plakate, Zeitungen, Fotografien, Filme und Tonaufnahmen, Grafiken und Gemälde sowie Militaria, Kleidung und Gegenstände der Alltagskultur.
In vier Abschnitte wurde die Ausstellung von der Historikerin Simone Erpel gegliedert. Den Anfang macht das Thema „Wurzeln und Kern der Demokratie“. Die Wurzeln der Republik liegen in der Kriegsniederlage 1918. Das ausgestellte, extrem drastische Bild des Expressionisten Erich Drechsler „Nahkampf“ vermittelt einen Eindruck von der Heftigkeit der letzten Kämpfe. Zahlreiche ausgestellte Plakate, darunter eines mit der Parole „Die parlamentarische Richtung ist sozialistisch!“ veranschaulichen den Meinungsstreit während der Novemberrevolution, ob das neue Deutschland eine parlamentarische Republik nach westlichem oder aber eine Räterepublik nach sowjetischem Vorbild werden soll. In der Ausstellung zu sehen ist auch das berühmte Motiv von César Klein „Arbeiter, Bürger, Bauern, Soldaten alle Stämme Deutschlands vereinigt Euch zur Nationalversammlung“. Dem heutigen Zeitgeist entsprechend finden sich ergänzend dazu viele Aufrufe direkt an Frauen, die erstmals das aktive und passive Wahlrecht hatten. Vorkämpferinnen wie die SPD-Politikerinnen Helene Stöcker und Marie Juchacz sowie die Pazifistin Anita Augsburg werden mit ausführlichem Lebenslauf vorgestellt.
Die zweite Abteilung widmet sich den „Kontroversen und Kompromissen“. Die bürgerkriegsähnlichen Unruhen der Anfangszeit der Republik versinnbildlicht ein ausgestelltes schweres Maschinengewehr. Ganz im Sinne des aktuellen „Kampfes gegen Rechts“ ist die flammende Rede von Reichstagspräsident Paul Löbe „wider den Feind von rechts“ zu hören. Zahlreiche Zeitungsausschnitte zeigen das damalige Entsetzen über die von Angehörigen der nationalistisch ausgerichteten und antisemitisch gesinnten Organisation Consul ausgeübten Anschläge auf Finanzminister Matthias Erzberger und Außenminister Walter Rathenau. Von dem hochmodernen Panzerschiff „Deutschland“, dessen Bau 1928 in Deutschland Wahlkampfthema war, ist in der Ausstellung ein geradezu berückend schönes Modell zu sehen. Schaubilder verdeutlichen die zahlreichen Übereinkommen im sozialen Bereich, etwa die zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelte Regelung des Acht-Stunden-Tags oder die 1927 nach schwierigen Verhandlungen erreichte Einigung bei der Arbeitslosenversicherung. Wie sehr auch Kunst und Literatur gespalten waren, zeigt ein Büchertisch mit Werken von „Linken“ wie Thomas Mann, Kurt Tucholsky oder Erich Maria Remarque sowie „Rechten“ wie Will Vesper oder Erwin Guido Kolbenheyer.
Die beiden Abteilungen „Freiheit, Gleichkeit und Selbstbestimmung“ sowie „Visionen“ sollen den Besucher über das mit der Republik aufgekommene Neue informieren. In diesem Zusammenhang werden die Emanzipation der Frau, die Freikörperkultur, die von Magnus Hirschfeld angestoßene Sexualreform, die Reformpädagogik sowie das Bauhaus und andere Formen des Neuen Bauens thematisiert. Zu sehen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise der reich bebilderte heimliche Bestseller „Der Mensch und die Sonne“, der heute gänzlich altmodisch erscheint, damals aber in den Bücherschränken oft diskret in der zweiten Reihe stand. Das geistreiche Couplet des Kabarettisten Otto Reutter „Der Hirschfeld kommt“, eine gutmütige Verspottung, ist zum Vergnügen der Besucher über Kopfhörer zu hören. An typischen Bauten der Weimarer Zeit sind zu sehen Arbeiten des Frankfurter Stadtbaumeister Ernst May, die berühmte Weißenhofsiedlung in Stuttgart und die Berliner Großsiedlung Britz. Als Beispiel für die damalige Innenarchitektur wird eine höchst modern anmutende Küchenzeile gezeigt. Gerade im Wohnungsbau brachte die Weimarer Zeit viele Veränderungen, welche Deutschlands Städte ungeachtet der Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges bis heute stark prägen.
Die Ausstellung „Weimar. Vom Wesen und Wert der Demokratie“ ist noch bis zum 22. September zu sehen. Nähere Informationen erteilt das Deutsche Historische Museum, Unter den Linden 2, 10117 Berlin, Telefon (030) 20304-0, E-Mail: info@dhm.de