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10.05.19 / Lise Meitner – Pionierin in Physik und Mathematik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-19 vom 10. Mai 2019

Lise Meitner – Pionierin in Physik und Mathematik
Dirk Klose

Auf dem Campus der Freien Universität Berlin in Dahlem steht der große Bau des früheren Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie, in dem 1938 die epochale Kernspaltung gelang. Jahrzehntelang stand über dem Portal in großen Lettern „Otto-Hahn-Bau der Freien Universität“. Vor ein paar Jahren verschwand diese Inschrift urplötzlich und wurde durch „Hahn-Meitner-Bau“ ersetzt. Eine große Gedenktafel, die allein an Otto Hahns Arbeit erinnerte, wurde ergänzt um eine zweite, die Lise Meitners Anteil an der Uranspaltung würdigt. 

Auf dem Campus wurden diese Veränderungen mit Genugtuung wahrgenommen. Lise Meitner war längst in die Ahnengalerie großer Geister der Berliner Wissenschaft eingereiht. Gerade in jüngster Zeit wurde an sie mit Nachdruck erinnert, denn im vergangenen Jahr war ihr 140. Geburtstag und ihr 50. Todestag. Zu den zahlreichen Würdigungen zählt die Biografie der österreichischen Wissenschaftsjournalisten David Rennert und Tanja Traxler, in der das persönliche Leben und die wissenschaftliche Laufbahn Meitners mit der allgemeinen Entwicklung in Deutschland und Europa verwoben werden.

Das Buch ist für interessierte Laien geschrieben. Die epochale Entdeckung der Kernspaltung im Herbst 1938 ist zwar so etwas wie der Fixpunkt in der Darstellung, doch die beiden Autoren sehen diese Entdeckung nur als einen Teil der großen wissenschaftlichen Arbeit Meitners über mehr als 40 Jahre. Eine eigentlich kritische Biografie ist es nicht. Erkennbar ist die Absicht, die große Physikerin als ebenso liebenswerten wie hochbegabten Menschen zu zeigen, der Höhen und Tiefen des Daseins nur allzu deutlich erfahren hat.

Mit Widerständen hatte die als Tochter einer wohlhabenden jüdischen Juristenfamilie in Wien geborene Meitner von Anfang an zu kämpfen – als Jüdin gegen versteckten Antisemitismus, als junge Frau, die zunächst um die Zulassung zum Abitur (Matura), dann zum Studium kämpfen 

musste. Zu ungewöhnlich war es, dass eine junge Frau Physik und Mathematik studieren wollte. Ungeachtet aller Skepsis reüssierte sie in der Wissenschaft, ab 1907 in Berlin, wo sie den zunächst zögernden Max Planck von ihrem Talent überzeugte und am Dahlemer Institut mit Otto Hahn für Jahrzehnte zusammenarbeitete. Anfang der 1930er Jahre ist sie als ordentliche Professorin und Mitdirektorin im Zenit ihrer Laufbahn.

Aber 1938 endete diese erfolgreiche Karriere jäh. Nach dem „Anschluss“ Österreichs nun Deutsche geworden, konnte sie als Jüdin nicht mehr bleiben. Bei Nacht und Nebel gelang die Flucht über Holland nach Schweden, von wo sie in einem intensiven Briefwechsel mit Otto Hahn diesem die Augen für seine revolutionäre Entdeckung öffnete. Aber eine zweite große Karriere war ihr nicht mehr beschieden, auch der Nobelpreis blieb ihr verwehrt. Weltweit hochgeachtet, von vielen auch wirklich geliebt, verlebte sie ihre letzten Lebensjahre in Cambridge.

Beide Autoren haben für ihre warmherzige Darstellung, die gleichwohl nie eine bloße Eloge ist, viele Briefe und persönliche Texte auswerten können. Am Ende diskutieren sie kurz die Verantwortung der heutigen Wissenschaftler angesichts ihrer umwälzenden Entdeckungen und können sich dabei auf Lise Meitner selbst berufen, dass Wissenschaft heute nicht mehr im Elfenbeinturm verharren kann. Das genaue Literaturverzeichnis animiert zu intensiverem Weiterstudium. 

David Rennert/Tanja Traxler: „Lise Meitner. Pionierin des Atomzeitalters“, Residenz Verlag, Salzburg und Wien 2018, gebunden, 224 Seiten, 24 Euro