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17.05.19 / Keine Freiheit ohne gelebte Leitkultur / Die Ordnung des Grundgesetzes löst sich auf, wo »Multikulti« die gemeinsame nationale Überlieferung verdrängt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-19 vom 17. Mai 2019

Keine Freiheit ohne gelebte Leitkultur
Die Ordnung des Grundgesetzes löst sich auf, wo »Multikulti« die gemeinsame nationale Überlieferung verdrängt
Erik Lommatzsch

Dieser Tage ist das Grundgesetz seit 70 Jahren in Kraft. Die hier festgeschriebene Ordnung stand jedoch stets auf tönernen Füßen, denn das freiheitliche Zusammenleben beruht maßgeblich auf der Akzeptanz der Regelungen. Derzeit tut die Politik viel dafür, diese Voraussetzung immer weiter zu unterminieren.

Mit einem einzigen Satz ging der Rechtswissenschaftler Ernst-Wolfgang Böckenförde in die Geschichte ein. Böckenförde, der vergangenen Februar im Alter von 88 Jahren verstorben ist, war von 1983 bis 1996 Richter am Bundesverfassungsgericht. Den berühmten Satz hatte der prominente Jurist schon 1964 gesagt, er lautet: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“ 

Damit legte Böckenförde die verwundbarste Stelle einer Ordnung wie derjenigen der Bundesrepublik frei, welche im Grundgesetz festgeschrieben ist. Zumindest die große Mehrheit (idealerweise sogar die Gesamtheit) der Bürger muss den Staat von sich aus annehmen und akzeptieren, damit er funktioniert. Denn die Ordnung gewaltsam durchzusetzen hieße, ihrer Grundidee zuwiderzuhandeln, da man sonst in die Strukturen einer Diktatur verfiele. Die Mehrheit muss sich mit der Ordnung also von sich aus identifizieren, sonst funktioniert sie nicht, egal, was die Gesetz sagen.

Die inzwischen klassische Formulierung geht zwar auf Böckenförde zurück. Aber Gedanken, die in diese Richtung weisen, wurden auch schon früher geäußert. Fündig wird man bereits in der Antike, bei Aristoteles. Der schottische Aufklärer David Hume schrieb im 18. Jahrhundert, dass eine Regierung nur an der Macht bleiben könne, wenn die Regierten mit ihr einverstanden seien. Dies gilt auch für die Aufrechterhaltung der Verfassungsordnung eines freiheitlichen Staates. 

Konsequenz aus Humes Feststellung ist im Übrigen der berühmte Satz des aus Savoyen stammenden Staatsmannes und Schriftstellers Joseph de Maistre, der in einem Brief von 1811 äußerte: „Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient.“ Auch dies könnte man fortführen: Jedes Volk lebt in der Grundordnung, die es verdient. Max Weber setzte als Soziologe bis zu seinem Tod 1920 maßgebliche Akzente in seiner gerade im Entstehen begriffenen Wissenschaft. Er stellte bei seinen Überlegungen über die Frage, was eine Nation ausmache, unter anderem fest, dass diejenigen, die den Nationsbegriff gebrauchten, davon ausgingen, „dass gewissen Menschengruppen ein spezifisches Solidaritätsempfinden anderen gegenüber zuzumuten sei“. Was in der Wissenschaftssprache Webers etwas kompliziert klingt, läuft letztlich dennoch immer wieder auf die Voraussetzung der Ordnung, die allgemeine Akzeptanz hinaus.

Diese Akzeptanz ist eine unzweifelhaft notwendige, allerdings noch nicht hinreichende Voraussetzung für das Funktionieren der freiheitlichen Ordnung. Darauf verweist das sogenannte Diogenes-Paradoxon, welches Paul Kirchhof immer wieder zur Sprache brachte. Kirchhof war, wie Böckenförde, Bundesverfassungsrichter und als renommierter Steuerrechtler 2005 kurzzeitig als möglicher Bundesfinanzminister im Gespräch. Er wurde allerdings im Vorfeld der Wahl von der SPD massiv diffamiert und stand schließlich für eine Große Koalition nicht zur Verfügung. 

Das Diogenes-Paradoxon verweist auf den griechischen Philosophen Diogenes von Sinope, der völlig bedürfnislos in einer Tonne gelebt haben soll. Damit verstieß Diogenes gegen keinerlei Ordnung. Akzeptanz wäre also gegeben, dennoch wäre jedwede Staatlichkeit unmöglich, wenn sich alle ebenso verhielten, sich also in keiner Weise einbringen würden.

Aber das ist ja in gewisser Weise bereits die Fortführung des Böckenförde-Diktums. Die notwendige Voraussetzung, also der Zusammenhalt, die Akzeptanz der Rechtsordnung, über der das Grundgesetz steht. Diese Akzeptanz (die auch das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit, die Identifikation mit dem Gemeinwesen und der Nation und damit mitunter sogar einen gesunden Patriotismus mit einschloss) war bis vor gar nicht langer Zeit für viele selbstverständlich. Mit Abstrichen galt es sogar für jene, für die Begriffe wie Nation und Patriotismus immer Reizworte geblieben waren. Das scheint sich aber zu ändern. Will man den Umschwung datieren, so muss man wahrscheinlich kaum zehn Jahre zurückgehen.

Gegenwärtig wird die Rechtsordnung Deutschlands mit atemberaubender Geschwindigkeit aufgeweicht, womit die Grundlage ihrer Akzeptanz nicht mehr nur gefährdet ist, sondern nach und nach zu entfallen droht. Wie rasant die Stufen überwunden werden können, erfährt man nahezu pausenlos. Da gibt es eindeutig strafbares Verhalten, welches kaum geahndet wird. Stattdessen sorgt ein „Experte“ für dessen „Erklärung“, um die Öffentlichkeit schon einmal auf das demnächst bevorstehende „Einfügen“ in die Rechtsordnung vorzubereiten. Türkische beziehungsweise arabische Fahrzeugkorsos, die Straßen und Autobahnen blockieren und für andere lebensbedrohlich sind, erklärte Haci-Halil Uslucan, Professor für Moderne Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen, unlängst mit dem hohen Stellenwert der Hochzeit in diesen Gesellschaften. Die Frage nach den Regeln der hiesigen Gesellschaft scheint sich nicht zu stellen, man nimmt schon einmal ein „Recht“ in Anspruch. 

Einen Schritt weiter, auf der Ebene der Gesetze, ist man gegenwärtig bei der Mehrehe. Ursprünglich war in einem Gesetzentwurf ein Einbürgerungsverbot für entsprechende Personen vorgesehen, also von Männern mit mehreren Frauen. Nebenbei: Eine Frau mit mehreren Ehemännern, die in Deutschland eingebürgert werden wollte, wurde bisher noch nicht registriert. Der Passus, welcher eine Einbürgerung bei Mehr­ehe verhindern sollte, ist nun vorerst gestrichen, dem Vernehmen nach wurde das Ganze verschoben. Worin die Schwierigkeit dieser, wie man meinen sollte, Selbstverständlichkeit liegt, ist unklar. Es sei denn, man vermutet eine schrittweise Abschaffung der Rechtsordnung. 

Nach „Erklärung“ von Verhaltensweisen und „Verschiebung“ von Gesetzesvorhaben befindet man sich noch eine Stufe höher, auf der Ebene des Grundgesetzes, wenn Hans-Jürgen Papier, bis 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, vor nicht einmal einem Monat öffentlich erklärte, dass der Rechtsstaat erodiere. Es gebe eine „Diskrepanz zwischen Rechtslage und Staatspraxis“, geltendes Recht werde nicht (mehr) überall durchgesetzt. Klar wies er darauf hin, dass sich angesichts der Dublin-III-Regelungen, niemand auf das im Grundgesetz geregelte Asylrecht berufen könne, der über den Landweg nach Deutschland einreise. Praktische Folgen haben Papiers Mahnungen nicht, ebenso wenig wie frühere Hinweise auf diesen Umstand von anderer Seite.

Der Rückhalt der Rechtsordnung, welcher Grundlage für die Funktion der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, zusammengefasst im Böckenförde-Diktum, geht auf diese Weise verloren. Selbst das unter anderem von Dolf Sternberger einst propagierte Konzept eines „Verfassungspatriotismus“, welches allein „Werte“ und nicht Herkunft als Maßstab anlegte und an sich schon immer etwas hilflos wirkte, hätte gegenüber einer solchen Aushöhlung keinen Bestand.

Ein Ende des Verfalls ist nicht absehbar. Er geschieht vor aller Augen in einem Deutschland, welches sich eine Staatsministerin Aydan Özoguz leisten konnte, die 2017 erklärte, „eine spezifisch deutsche Kultur“ sei „jenseits der Sprache schlicht nicht identifizierbar“. Es geschieht in einem Deutschland, welches über den Begriff der im eigenen Land maßgeblichen „Leitkultur“ debattiert, anstatt diese verinnerlicht zu haben und – auf dem Boden des Grundgesetzes – geltende Rechtsordnung als Teil dieser Leitkultur  geschlossen verteidigt und durchsetzt.