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17.05.19 / Horst Teltschik wirbt für Verständnis und Entspannung im Umgang mit Russland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-19 vom 17. Mai 2019

Horst Teltschik wirbt für Verständnis und Entspannung im Umgang mit Russland
F.-W. Schlomann

Der Name Horst Teltschik ist eng verbunden mit der Politik von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, dessen außenpolitischer Berater er war, um später langjähriger Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz zu werden. Die 15 Abbildungen in seinem Buch „Russisches Roulette“, die ihn lächelnd mit den Großen der Welt zeigen, ließen die Erwartungen recht hoch steigen. Umso enttäuschender wird der Leser über den Inhalt seines Buchs sein. 

Zweifellos sind die Entspannungsbemühungen der Weltmächte in ihren verschiedenen Phasen genau dargelegt, doch sieht der Autor als Ausweg von dem gespannten Verhältnis zwischen Mos­kau und Washington nur, die gegenwärtige Konfrontationspolitik der NATO durch eine Neuauflage der Entspannungspolitik in Form einer Kombination von Stärke und ausgestreckter Hand mit einem aufrichtigen Verhandlungsangebot zu ergänzen, die er im Westen vergebens sucht. Von einem Wissensträger wie Teltschik darf man eigentlich wesentlich mehr erwarten. Bedauerlicherweise mangelt es ihm an vielen Stellen an notwendiger Objektivität. 

Zutreffend ist, dass Putin 2001 vor dem Deutschen Bundestag zur Partnerschaft mit der westlichen Welt aufrief. Dabei sieht er im Westen eine Kraft, die sein Land „gedemütigt“ habe und seine Einflusszone immer mehr an die russische Grenze schieben wolle, wobei Russland seine Eigenständigkeit als unabhängiges weltpolitisches Machtzentrum aufgeben solle. Teltschik selber erachtet die Furcht Moskaus vor einer Einkreisung durch das westliche Bündnis als „realpolitisch unbegründet“, doch die Bringschuld sieht er beim Westen. Dort wiederum sieht man das Bestreben des Kreml, den alten sowjetischen Einflussbereich wieder herzustellen. Dem Verfasser zufolge will Russland lediglich seine Interessen wahren und sei „im Kern defensiv“. 

Immer wieder fordert er vom Westen Verhandlungsangebote und Kompromissbereitschaft. Den grausamen Tschetschenienkrieg des Kreml entschuldigt er als „Ausdruck historischer Erfahrungen und tiefgreifender Ängste“. Dabei wirft er dem Westen fehlendes Verständnis für den schwierigen Weg der Demokratisierung Russlands vor. Teltschiks Behauptung von einer freien Meinungsfreiheit im Putin-Land wird von vielen Experten angezweifelt. 

Richtig ist dessen Feststellung, die Westgrenze sei heute „die sicherste Grenze Russlands“, in Wahrheit stünde es vor viel größeren sicherheitspolitischen Herausforderungen wie der schnell wachsende muslimische Bevölkerungsanteil, auch sei das Verhältnis zu China nicht freundschaftlich. 

Unter Hinweis darauf, dass die baltischen Staaten im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts der NATO beitraten und damit auch rund 100 deutsche Soldaten in Litauen kurzfristig stationiert sind, stellt der Verfasser die überaus einseitige Frage: „Haben wir einmal darüber nachgedacht, welche Gefühle dies bei den russischen Menschen auslösen könnte?“ Die sich hierbei aufdrängende Frage, was die Polen über den sowjetischen Kriegsüberfall 1939 auf ihr Land und dessen bis heute nicht zurück­gegebenen sogenannten Ostgebiete oder die Baltikum-Bewohner über die ständige Bedrohungs-Propaganda aus dem Kreml denken müssen, war Teltschik offenbar kein Nachdenken wert. 

Die Krim sei für Putin von geostrategischer Bedeutung, liest man im Buch, deren Anschluss für Russland ein Hebel sei, um eine ukrainische NATO-Mitgliedschaft zu blockieren. Der Autor räumt ein, die bald folgende „Annexion“ der Halbinsel stelle „einen schwerwiegenden Bruch der europäischen Friedensordnung von 1990“ dar. Zu der Frage, welche Rück­schlüsse daraus zu ziehen seien, stellt Teltschik indes nur weitere Fragen. An eine Rück­nahme des Anschlusses denkt er dabei offenbar nicht, sondern wirft dem Westen erneut das Fehlen von Kompromissbereitschaft vor. 

Es sei „das große Verdienst“ des Buches Teltschiks, an die Überwindung des Kalten Krieges zu erinnern, preist der Verlag. Indes ist dieses in der deutschen und internationalen Publizistik zweifellos nicht ohne Grund ohne nennenswerte Resonanz geblieben.

Horst Teltschik, „Russisches Roulette. Vom Kalten Krieg zum Kalten Frieden“, C.H. Beck-Verlag, München, 2019, gebunden, 233 Seiten, 16,95 Euro