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24.05.19 / »Hauptstadt des Judenhasses« / Zweifel an Berliner Polizeistatistik: Opfer von Antisemitismus widersprechen offiziellen Zahlen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-19 vom 24. Mai 2019

»Hauptstadt des Judenhasses«
Zweifel an Berliner Polizeistatistik: Opfer von Antisemitismus widersprechen offiziellen Zahlen
Norman Hanert

Die Fallzahlen zur politisch motivierter Kriminalität (PMK), die Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Mitte Mai vorgelegt hat, zeigen einen deutlichen Anstieg bei den antisemitischen Straftaten im vergangenen Jahr. Während die polizeiliche Statistik die Mehrzahl der Täter eindeutig dem deutschen Rechtsextremismus zuordnet, kommen andere Erhebungen zu ganz anderen Ergebnissen.

Laut den von Innenminister Seehofer vorgelegten Zahlen sind die politisch motivierten Straftaten im Jahr 2018 in Deutschland insgesamt zu­rückgegangen. Das Bundeskriminalamt (BKA) erfasste rund 36000 Fälle. Dies stellt im Vergleich zum Jahr 2017 einen Rückgang von etwa neun Prozent dar. Mit jeweils 20 Prozent deutlich zugenommen haben laut der Statistik allerdings fremdenfeindliche und antisemitische Taten. Unter Verweis auf die Zahlen der aufgeklärten Fälle erklärten der Bundesinnenminister und auch BKA-Präsident Holger Münch, dass es sich dabei in der Mehrzahl um Vergehen mit rechtsextremem Hintergrund handele. Beide betonten, dass die Hintergründe der Fälle besonders geprüft worden seien.

Dieser Hinweis kann als Reaktion auf eine Diskussion verstanden werden, die seit einiger Zeit in Gang gekommen ist. Gerade beim Beispiel Berlins fällt ein deutliches Auseinanderklaffen der Zahlen auf, die von den Ermittlungsbehörden kommen, und den Zahlen, die eine nichtstaatliche Stelle erfasst hat. In Berlin ist seit  Januar 2015 eine Recherche-- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) tätig. Diese Fachstelle hat ein berlinweites Meldenetzwerk für antisemitische Vorfälle aufgebaut.  

Die RIAS zählte im Jahr 2018 in Berlin 1083 antisemitische Vorfälle. Erfasst wurden dabei tätliche Angriffe, Bedrohungen, aber auch Anfeindungen und antisemitische Propaganda. In ihrer Jahresstatistik 2018 nennt die RIAS für Berlin die Zahl von 46 antisemitischen Angriffen und 46 Bedrohungen sowie 831 Fälle von verletzendem Verhalten. 

Die Berliner Polizeistatistik wies für das vergangene Jahr dagegen weit weniger antisemitische Vorfälle und Gewalttaten aus. Die Polizei zählte für das Jahr in Berlin 324 antisemitische Taten, darunter 27 gewalttätige Angriffe. 

Experten sehen mehrere Ursachen für die Abweichung in den Statistiken. RIAS-Leiter Benjamin Steinitz wies darauf hin, dass antisemitische Straftaten nicht angezeigt werden, weil viele Juden resigniert hätten. Carl Chung, politischer Koordinator beim Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) in Berlin, nennt als weitere Gründe, warum Opfer keine Anzeige erstatten, Schamgefühl und auch schlechte Erfahrungen mit der Polizei. 

Eine wichtige Rolle spielt zudem auch das unterschiedliche Vorgehen bei der Erhebung der Daten: Bei Stellen wie der RIAS Berlin genügt die Information durch Opfer, zudem werden auch Vorkommnisse erfasst, die keinen Straftatbestand erfüllen. Im Kontrast dazu fließen in die polizeiliche Kriminalstatistik wiederum nur Fälle ein, bei denen eine Anzeige erstattet und an die Staatsanwaltschaft weitergegeben wurde.

Bei einem Vergleich der Statistiken fällt noch ein anderer Unterschied auf. Als größte Tätergruppe, die sich politisch zuordnen lässt, führt die Jahresstatistik 2018 der RIAS Berlin rechtsextreme Täter an. Diesem Bereich wurden         18 Prozent zugeordnet. Fast die Hälfte der Fälle wurde allerdings in der Kategorie „Unbekannt“ eingestuft, weil eine eindeutige politische Zuordnung offenbar nicht möglich schien. 

Eine Antwort des Berliner Senats auf eine Anfrage des Abgeordneten Marcel Luthe (FDP) macht deutlich, dass die Zuordnung der Polizei in der Kriminalstatistik nach anderen Kriterien abläuft. Von den 324 antisemitischen Straftaten von 2018 ordnete die Berliner Polizei 253 dem Bereich Rechtsextremismus zu. In die Kategorie Linksextremismus wurden sieben Fälle eingruppiert, 49 Fälle fielen in den Bereich „ausländische Ideologie“, zwölf Fälle wurden in die Kategorie religiöse Ideologie eingeordnet. Lediglich in drei Fällen wurde keine Zuordnung vorgenommen. 

Wie die Anfrage an den Senat ergab, ist aber offenbar in 120 Fällen eine Zuordnung zum Bereich Rechtsextremismus erfolgt, ohne dass dies auch von einer bundesweiten Definition abgedeckt war. Auf der Grundlage der Senatsantwort mahnte Luthe objektive Zahlen an, die nicht „ideologisch vorsortiert“ sein dürften. Laut dem FDP-Innenpolitiker zeigen die Zahlen zu festgestellten Tatverdächtigen, dass der größere Teil antisemitischer Straftaten dem Bereich „ausländischer Ideologie“ zugeordnet werden muss. 

Bereits im Jahr 2017 hatte das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld eine Studie „Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland“ veröffentlicht. In der Studie wurde angeführt, dass 81 Prozent derjenigen, die zum Opfer antisemitischer Gewalt wurden, den oder die mutmaßlichen Täter einer „muslimischen Gruppe“ zuordneten und nicht etwa deutschen Rechtsextremisten.