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24.05.19 / Ein Mann mit Instinkt für Macht und Intrige / Vor 25 Jahren starb der langjährige Generalsekretär des ZK der SED und DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker in Chile

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-19 vom 24. Mai 2019

Ein Mann mit Instinkt für Macht und Intrige
Vor 25 Jahren starb der langjährige Generalsekretär des ZK der SED und DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker in Chile
Erik Lommatzsch

So schwach das Charisma sowie die intellektuellen und rhetorischen Fähigkeiten des Erich Honecker ausgeprägt waren, so sicher war lange Zeit sein Instinkt für Macht und Intrige.

Im Gegensatz zum Sachsen Walter Ulbricht war Honecker ein gebürtiger Preuße. Am 25. August 1912 kam er im saarländischen Neunkirchen als Sohn eines Bergarbeiters zur Welt. Wenig später bezog die Familie ein ererbtes Haus in Wiebelskirchen. Man verfügte zusätzlich über eine kleine Landwirtschaft und zählte zur „Arbeiteraristokratie“. Schon als Kind wurde Honecker, dessen Vater politisch entsprechend engagiert war, Mitglied kommunistischer Organisationen, etwa des „Jung-Spartakus“. 1926 trat er dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) bei. Die Zeit als Landarbeiter in Pommern von 1926 bis 1928 sollte Episode bleiben. Eine im Anschluss daran in Neunkirchen begonnene Dachdeckerlehre brach er ab. 

Von nun an widmete er sich ausschließlich der politischen Arbeit. Er wurde Mitglied von KPD, Rotfrontkämpferbund und Roter Hilfe. Beim KJVD wurde er hauptamtlich tätig. Er übernahm führende Aufgaben und wurde für seinen weiteren Weg nicht zuletzt 1930/31 an der internationalen Lenin-Schule in Moskau vorbereitet. 1933/34 wirkte er beim Wiederaufbau zerschlagener kommunistischer Jugendorganisationen im Ruhrgebiet mit. Nach einer kurzzeitigen Verhaftung ging er in die Niederlande, später war er wieder in Deutschland. Unter anderem engagierte er sich im Saarland, welches als „Saargebiet“ seit 1920 vom Völkerbund verwaltet wurde, gegen den Anschluss an das Deutsche Reich. Nach der Abstimmung von 1935 wurde dieser jedoch vollzogen. Honecker floh für einige Monate nach Paris und setzte seine illegale KJVD-Tätigkeit anschließend in Berlin fort. Im Dezember 1935 wurde er verhaftet und anderthalb Jahre später vom Volksgerichtshof „wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens unter erschwerenden Umständen“ zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. 

In das Ende seiner Haftzeit fiel die seltsame Episode seiner Flucht aus der Gefangenschaft im März und seiner – konsequenzenfreien – Rückkehr dorthin im April 1945. Er selbst gab an, er habe sich und andere damit vor der Gestapo schützen wollen, was schwer nachvollziehbar ist. Das Ganze erfolgte mit Hilfe einer Gefängnisaufseherin, zu der Honecker eine Beziehung unterhielt. Die Bekanntschaft rührte aus seiner Tätigkeit in einer Baukolonne, die in einem Frauengefängnis eingesetzt war. 

Bereits im Mai 1945 war Honecker wieder politisch tätig. Im Unterschied zu vielen anderen Funktionären der östlichen Besatzungszone und der frühen DDR hatte er die Zeit des Dritten Reiches nicht im sowjetischen Exil verbracht. Er wirkte an führender Stelle beim Aufbau von Jugendorganisationen. Bis 1955 war er Vorsitzender der FDJ. Schon 1946, im Gründungsjahr, war er Mitglied des Parteivorstandes der SED, ab 1949 des Zentralkomitees und ab 1958 des Politbüros. Der Volkskammer gehörte er von 1949 bis 1989 an. Honeckers Scheidung und die vorher begonnene Beziehung zu Margot Feist, der späteren DDR-Bildungsministerin, die er 1953 heiratete, war bei der in diesen Fragen äußerst restriktiven Parteilinie ein Karriererisiko. Sein sich dann wieder nahtlos fortsetzender Aufstieg stand tatsächlich kurzzeitig in Frage. 

In den ersten beiden Dekaden ihres Bestehens wurde die Politik der DDR maßgeblich von Ulbricht bestimmt. Honecker brachte sich nach und nach hinter diesem als „zweiter Mann“ in Position. In den 1950er Jahren ging er konsequent gegen innerparteiliche Kritiker Ulbrichts vor, so Walter Janka oder Wolfgang Harich. Er wurde zuständig für Sicherheit und „Kaderfragen“. Damit fiel auch der Mauerbau vom August 1961 in Honeckers Verantwortungsbereich.

Ab Mitte der 1960er Jahre betrieb er die Ablösung Ulbrichts, für die er sich der Unterstützung aus Moskau versicherte. Von der Bevölkerung wurde der Machtwechsel von 1971 zunächst positiv wahrgenommen. Eine anfängliche kulturpolitische Liberalisierung war aber spätestens 1976 mit der symbolträchtigen Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann beendet. Zudem erfolgte unter Honecker „der Ausbau einer aufwendigen, die Ressourcen der DDR letztlich völlig überspannenden Sozialpolitik“, wie es der Historiker Christoph Kleßmann formuliert hat. Durch den Grundlagenvertrag mit der Bundesrepublik 1972, den Beitritt zu den UN 1973 sowie die Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki 1975 konnte die DDR ihre Position im zwischenstaatlichen Bereich festigen. In der Schlussakte waren unter anderem Menschenrechte und Grundfreiheiten ga­rantiert, worauf sich die Opposition in der DDR immer wieder – vor der eigenen Justiz in der Regel erfolglos – beziehen sollte. Für Honecker war der offizielle Empfang in der Bundesrepublik 1987 Ausdruck dafür, dass die DDR nun auch dort als zweiter deutscher Staat anerkannt wurde. In Bonn sah man die Gegebenheiten offiziell anders, dennoch hatte man sich in Westdeutschland zu dieser Zeit weitgehend mit der Teilung des Landes abgefunden.

Gestürzt wurde Honecker von den eigenen Genossen im O­k­tober 1989 – als eine Vielzahl von Menschen das Land verlassen hatte, als der Druck durch die Massendemonstrationen immer größer geworden und der greise Staatsratsvorsitzende gesundheitlich geschwächt war. Zudem wuss­te die Führung um die de­saströse wirtschaftliche Lage des Landes. Der Rückhalt aus der Sowjetunion war nicht mehr gegeben, dort verfolgte der seit 1985 amtierende Michail Gorbatschow einen Reformkurs. Mit Honecker ging eine seinen Vorstellungen entsprechende DDR innerhalb weniger Wochen unter. Die friedliche Revolution beendete die Herrschaft der SED, die auch die Absetzung Honeckers und anderer führender Politiker nicht mehr retten konnte. Noch im August 1989, angesichts der sich schon deutlich abzeichnenden Krise, hatte Honecker verkündet: „Den Sozialismus in seinem Lauf … halten weder Ochs noch Esel auf.“ 

Später musste er sich vor Gericht für die Toten an der innerdeutschen Grenze verantworten. Auch hier zeigte sich sein Realitätsverlust. Er rechtfertigte den Mauerbau mit der Behauptung, damit sei seinerzeit eine „Eskalation … womöglich ein Atomkrieg“ verhindert worden. Das Verfahren gegen den Schwerkranken wurde 1993 eingestellt. Honecker, der lange Jahre im Zuchthaus verbracht und dann selbst eine Diktatur maßgeblich mitverantwortet hatte, die nach Zweck­dienlichkeit und Ideologie über Freiheit und Leben der eigenen Bevölkerung entschied, ist am 29. Mai 1994 in Chile gestorben.