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24.05.19 / Ein Gesetzbuch für fast alle Rechtsbereiche / Vor 225 Jahren setzte König Friedrich Wilhelm II. das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten in Kraft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-19 vom 24. Mai 2019

Ein Gesetzbuch für fast alle Rechtsbereiche
Vor 225 Jahren setzte König Friedrich Wilhelm II. das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten in Kraft
Wolfgang Kaufmann

Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (PrALR) gilt als der einzige neuzeitliche Versuch einer umfassenden und zusammenhängenden Kodifikation des Zivilrechts, des Strafrechts und weiter Teile des öffentlichen Rechts in einem einzigen Gesetzbuch. Schon der 1713 gestorbene erste preußische König, Friedrich I., wollte für sein Reich einen derartigen einheitlichen Gesetzeskörper. Preußens zweiter König, Friedrich Wilhelm I., erteilte 1734 der Juristischen Fakultät der Friedrichs-Universität Halle den offiziellen Auftrag zu dessen Erstellung. Dabei kam aber letztlich ebenso wenig heraus wie bei dem Versuch der Erarbeitung eines „Corporis Juris Fridericiani“ unter Preußens drittem König. Dieses Projekt der umfassenden Kodifizierung des Rechts in Preußen, das Friedrich der Große dem Großkanzler und Justizreformer Samuel Freiherr von Cocceji übertragen hatte, scheiterte 1751. In der Folgezeit wurde der Alte Fritz unter anderem durch den Siebenjährigen Krieg derart beansprucht, dass das Vorhaben zunächst auf Eis lag. 

Dafür, dass der preußische König einen erneuten Versuch startete,  das Recht in Preußen zu vereinheitlichen, sorgte schließlich der Müller-Arnold-Fall. In diesem Rechtsstreit um die Krebsmühle bei Pommerzig in der Neumark zwischen dem Müller und dessen Erbzinsherrn hatten alle drei nacheinander mit der Angelegenheit befassten Gerichte nicht im Sinne des Königs entschieden, was diesen zu den wütenden Worten veranlasste: „Ein Justiz-Collegium, das Ungerechtigkeiten ausübt, ist gefährlicher und schlimmer, wie eine Diebesbande, vor die kann man sich schützen, aber vor Schelme, die den Mantel der Justiz gebrauchen, um ihre üblen Passiones auszuführen, vor die kann sich kein Mensch hüten. Die sind ärger, wie die größten Spitzbuben, die in der Welt sind, und meritiren eine doppelte Bestrafung.“ 

Deshalb wollte Friedrich der Große der angeblichen Willkür der Juristen nun durch präzise wie nie formulierte Gesetze Einhalt gebieten. Hieraus resultierte seine Kabinettsorder vom 14. April 1780, ein Gesetzbuch zu schaffen, welches das gesamte Privat- und Strafrecht sowie auch das öffentliche Recht neu regelt, und das in einer für jedermann verständlichen Form. Der entsprechende Auftrag hierzu ging diesmal an den neu ernannten Großkanzler Johann Heinrich von Carmer, der seinerseits renommierte juristische Experten wie den Strafrechtler Ernst Ferdinand Klein und den Zivilrechtler Carl Gottlieb Svarez einbezog.

Aufgrund des immensen Arbeitsaufwandes zog sich die Arbeit an dem Gesetzeswerk bis 1792 hin, dann lag der Entwurf für das sechsbändige „Allgemeine Gesetzbuch für die Preußischen Staaten“ (AGB) endlich vor. Zu dieser Zeit war Friedrich der Große freilich schon sechs Jahre tot und sein Neffe und Nachfolger Friedrich Wilhelm II. nicht bereit, das AGB in der vorliegenden Form in Kraft zu setzen. Unter dem Eindruck der Ereignisse der Französischen Revolution hatten konservative Kreise Bedenken gegen diverse freiheitliche und vernunftrechtliche Bestimmungen in dem Buch geäußert, manche Vertreter des Adels nannten es gar verachtungsvoll einen „Gleichheitskodex“, der nur Unruhe unter der Bevölkerung stifte. Und der König wollte seine absolute Macht ebenfalls nicht durch geschriebene Gesetze eingeschränkt sehen. Deshalb suspendierte er das AGB per Kabinettsordre vom 18. April 1792. Dem folgte eine Überarbeitung, an deren Ende die Inkraftsetzung zum 1. Juni 1794 unter dem Titel „Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten“ stand.

Das PrALR bestand aus zwei Hauptteilen mit insgesamt 19000 Paragrafen und enthielt detaillierte Regelungen zu Themen wie Rechte und Pflichten der Untertanen, Verträge, Besitz und Eigentum, Erbschaft, Tausch, Kauf, Darlehen, Schenkung, Testament, Bürgschaft, Pfändung, Zahlungsverkehr, Ehe, Scheidung, Kindschaftsrecht, Vormundschaft, Kirchen, Schulen, Zoll, Post, Jagd sowie Bergbau. Dazu kamen 17 Abschnitte zum Strafrecht in Preußen.

Damit handelte es sich beim PrALR faktisch um die größte Kodifikation in der Geschichte der deutschen Gesetzgebung und zugleich auch um einen Meilenstein der Aufklärung in Preußen. Das Königreich mutierte nun de facto vom Polizei- zum Rechtsstaat, denn viele Prinzipien der modernen Rechtsprechung wurden hier zum ersten Male formuliert wie das Rückwirkungsverbot von Gesetzen, die Festschreibung der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auch der Rechte der Ungeborenen, die Schaffung einheitlicher Rechtsinstanzen im ganzen Lande, die Unabhängigkeit der Justiz oder genau geregelte gesetzliche Rahmen für die staatlichen Eingriffsrechte gegenüber den Bürgern. Ebenso garantierte das Allgemeine Landrecht wichtige Menschenrechte, allerdings – aber das ist ja heute auch nicht anders – in gewissen Grenzen. Zudem wurde festgelegt, dass der Hauptzweck des Staates darin bestehe, das Gemeinwohl sowie die äußere und innere Sicherheit zu garantieren. Und zu guter Letzt enthielt das Gesetzeswerk noch ein unmissverständliches Verbot, es anders als im direkten Wortsinne auszulegen. Damit sollten die Missbrauchsmöglichkeiten seitens der Juristen eingeschränkt werden. Hier zeigte sich besonders deutlich die Handschrift Friedrichs des Großen. 

Das PrALR blieb bis zum Inkrafttreten des Strafgesetzbuches für die Preußischen Staaten vom 14. April 1851 in Kraft. Eine Ausnahme bildeten die linksrheinischen Gebiete, die erst im Zuge der Neuordnung Europas nach den napoleonischen Kriegen auf dem Wiener Kongress von 1814/15 zu Preußen kamen. In diesen nach der Französischen Revolution zeitweise zu Frankreich gehörenden Gebieten galt teilweise noch bis 1900 eingedeutschtes französisches Recht. 

Einzelne Paragrafen des PrALR werden noch heute als bundesweit geltendes Gewohnheitsrecht herangezogen, wenn es beispielsweise um Ersatzansprüche der Bürger gegenüber dem Staat geht. Ebenso entschied das Landgericht Neubrandenburg im Jahre 2011, dass die nachbarschaftsrechtlichen Regelungen des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten in bestimmten Teilen Pommerns weiterhin anzuwenden seien.