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24.05.19 / Quasselstrippe der Nation

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-19 vom 24. Mai 2019

Quasselstrippe der Nation
Manuel Ruoff

Eine Deutschstunde in der Bundesrepublik Mitte der 70er Jahre: Der Klassenclown nervt den Lehrer mit ständigem Gequassel. Die Klasse amüsiert sich und einer meint: „wie Gisela Schlüter“. Darauf widerspricht der Deutschlehrer entschieden, geradezu empört: „Nein, Gisela Schlüter ist eine Künstlerin.“

Es war schon Kunst, was Gisela Schlüter in ihren besten Jahren ablieferte. Über 480 Silben in der Minute, und das sowohl akustisch als auch inhaltlich klar verständlich, das soll ihr erst einmal einer nachmachen. Mitte der 70er Jahre, als die geschilderte Deutschstunde stattfand, gehörte die Schlüter zur Allgemeinbildung, war sie auf dem Höhepunkt ihrer beruflichen Karriere. 1976 erhielt sie die Goldene Kamera für ihr Paradepferd, ihre Show „Zwischenmahlzeit“. 

Den Kern dieser Sendungen stellten Sketche dar, in denen sie getreu ihrem Motto „Derjenige, der bei mir zu Wort kommt, muss erst noch geboren werden“ und der Weisheit „Ein Mann, ein Wort – eine Frau, ein Wörterbuch“ bemitleidenswerte Männer in Grund und Boden sabbelte. Das war ihr Markenzeichen. Ihr Opfer, sprich ihr männlicher Partner, war in der Regel Mircea Kri­shan. Aufgelockert wurde alles durch Tanz- und Gesangseinlagen, an denen die ausgebildete Tänzerin führend mitwirkte – eine leichte Zwischenmahlzeit eben. Insgesamt 35 Folgen erschienen zwischen 1967 und 1982. Bis zu 44 Prozent Einschaltquote wurden erreicht. 

Geboren wurde die Künstlerin an einem 6. Juni, das ist unumstritten. Umstritten ist hingegen das Geburtsjahr. 1914 wie 1919 sind im Gespräch. Da es ungehörig erscheint, beim Alter einer Dame nachzubohren, und wohl jede lieber für jünger denn älter gehalten wird, sei hier einmal gentlemanlike von 1919 ausgegangen, was Anlass zu einer entsprechenden Würdigung gibt. 

Zu ihrer Profession kam die in Berlin geborene Berufsoffiziers­tochter über Umwege. Nach der mittleren Reife ließ sie sich zur Tänzerin ausbilden, war für diesen Beruf jedoch mit 1,76 Metern zu lang. Nun nahm sie Schauspielunterricht. Als sie sich mit „Iphigenie“ vorstellte, soll Erich Ponto geschluchzt haben – vor Lachen. Er hatte ihre Stärke entdeckt. Es folgte eine Karriere im komischen Fach, die mit den eineinhalb Jahrzehnten „Zwischenmahlzeit“ ihren Höhepunkt erreichte. 

Der Versuch, mit „Giselas Schnatterbox“ an diesen Erfolg anzuknüpfen, schlug fehl. 1988 starb der Drehbuchautor Hans Hubberten, mit dem Schlüter eine intensive nicht nur private, sondern auch berufliche Partnerschaft verband. Danach zog sie sich aus Beruf und Öffentlichkeit weitgehend zurück. Am 28. Ok­tober 1995 erlag sie in Mittenwald im Haus einer Freundin, die sie zuletzt gepflegt hatte, den Folgen eines Schlaganfalls.