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24.05.19 / Der Skandalfilm / Vor 100 Jahren erhitzte ein deutscher Stummfilm die Gemüter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-19 vom 24. Mai 2019

Der Skandalfilm
Vor 100 Jahren erhitzte ein deutscher Stummfilm die Gemüter
Bettina Müller

Deutschland 1919. In un­zähligen Kinosälen kam es im Sommer zu tumultartigen Zuständen. Der Hass auf den ersten deutschen Film überhaupt, der sich mit dem Thema Homosexualität auseinandersetzt, war unermesslich. Es war die Zeit, in der ein Gesetzes-Paragraf stigmatisierte, seit 1872 standen laut Paragraf 175 „sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts“ unter Strafe. 

Mit seinen „Aufklärungsfilmen“ und „Sozialhygienischen Filmwerken“ wollte der Regisseur Richard Oswald bei den ehemaligen kaiserlichen Untertanen Toleranz wecken. In dem Stummfilm „Anders als die Andern“ verliebt sich Paul Körner (Conrad Veidt) als Geigenvirtuose und Musiklehrer in seinen Schüler Paul Sivers (Fritz Schulz) und wird daraufhin von dem zwielichtigen Franz Bollek (Reinhold Schünzel) aufgrund des Paragrafen 175 erpresst. Bollek bricht in Körners Wohnung ein, der zeigt ihn daraufhin an, und Bollek kontert frech mit einer Anzeige, indem er sich auf besagten Paragrafen 175 beruft.

Erklärende Zwischentitel des wissenschaftlichen Beraters des Films, des damals führenden Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld, werden häufig eingeblendet. Doch umsonst: Die ge­sellschaftliche Schmähung treibt Körner in den Selbstmord, und da liegt er nun als fleischgewordene Mahnung an die Menschheit.

Am 25. Mai 1919 wurde der Film in einer Sonderaufführung für die Presse im Berliner Apollotheater gezeigt, fünf Tage später lief er offiziell im Prinzeß-Theater an. Es vergingen keine sechs Wochen, dann brach ein Sturm des Hasses über die Filmmacher. Die Reaktionen divergierten ohne Mittelmaß, reichten von blankem Entsetzen und Abscheu mit Randalen im Kinosaal bis zu großer Dankbarkeit, die vor allem in unzähligen Briefen von Betroffenen und deren Angehörigen an den aus Kolberg stammenden Sanitätsrat Hirschfeld zum Ausdruck kam.

Der hausgemachte Skandal überlagerte zunehmend die positiven Wirkungen des Films, die immer mehr in den Hintergrund rückten. Dann verschärfte sich die Lage noch einmal durch das aufgeheizte politische Klima und den zunehmenden Antisemitismus, denn Hirschfeld und Oswald waren jüdischer Herkunft, ebenso wie Schünzels Mutter Dorothea geborene Israel. 

In der Folge beschränkte sich der „Feldzug“ der aufgebrachten Gegner auf Hirschfeld und Oswald, die Stars verschonte man mehr oder weniger, obwohl Veidt durch seine erste Ehefrau Gussy Holl mit Kurt Tucholsky befreundet war. Insbesondere Hirschfeld wurde zur persona non grata, be­kam den meisten Hass zu spüren und wurde am 4. Oktober 1920 in München von aufgebrachten Filmgegnern äußerst brutal zu­sammengeschlagen. Zehn Tage später wurde der Film verboten. 

Im Jahr 2006 wurde das lange verschollene Filmfragment schließlich vom Filmmuseum München als rekonstruierte und mit Standfotos ergänzte 51-minütige Fassung auf DVD veröffentlicht.