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24.05.19 / Theo Waigel – Mitgestalter der deutschen Vereinigung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-19 vom 24. Mai 2019

Theo Waigel – Mitgestalter der deutschen Vereinigung
F.-W. Schlomann

Es ist durchaus verständlich, dass Politiker ein positives Bild von sich hinterlassen und ihr Leben als wichtig erachten möchten, um zugleich Fehler zu minimieren. Diesen Versuchungen hat Theo Waigel als Autor zu einem recht großen Teil widerstanden. Als Kriegskind wurde er von der damaligen Zeit geprägt, nüchtern schildert er sein Jura-Studium, die Promotion sowie seine Assessorenzeit. Ihm war bewusst, dass die Politik fes-ter Bestandteil seines Lebens sein würde. 

Bald wurde er Landesvorsitzender der „Jungen Union“, 1972 zog er in den Bundestag ein. Zur neuen SPD/FDP-Bundesregierung stellt er selbstkritisch fest, man habe die Wähler nicht mit überzeugenden Ideen gewinnen können. Waigel wurde Leiter der CSU-Grundsatzkommission: Er forderte, Politik solle moralisch werden, wichtig seien der Schutz der Familie, ein Festhalten an der Gemeinschaft (gerade der Kirchen) und die Schaffung einer inneren Heimat. 

Viele Seiten widmet der Verfasser dem Trennungsbeschluss von Kreuth; überaus glaubhaft schildert er seinen Widerstand gegen die Absicht von Strauß, notfalls die Fraktkionsgemeinschaft mit der CDU zu verlassen. Schon damals traten Waigels Prinzipienfestigkeit und sein Durchsetzungsvermögen deutlich hervor, wenngleich diese ihm anfangs nur Nachteile brachten. Nach dem Tod von Strauß wurde Waigel mit 98 Prozent der Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt. In seiner Rede trat er für die Einheit von CSU und CDU sowie das Wiedervereinigungsgebot Deutschlands ein und sah die CSU als Europapartei der ersten Stunde. Offen schildert er die Intrigen Edmund Stoibers gegen ihn, wobei die einstige Trennung von seiner Frau und seine Beziehung für eine Freundin (und späteren-Ehefrau) zu einer Schmutzkampagne herhalten musste. Waigel räumt ein, er hätte sein Privatleben schon früher offen legen sollen. Viele warme Worte spiegeln seine tiefe Liebe zur Heimat wider, zu den Orten seiner Vorfahren, seinem eigenen Bauernhof und die dortige Kirche. Es fällt auf, dass von Deutschland kaum die Rede ist. 

Als der Politiker im September 1989 die offene deutsche Frage auf der Tagesordnung der Weltpolitik sah, wurde er sogar von CSU-Kreisen beschimpft. Doch seine Äußerungen „Im April 89 wagte noch niemand, von der Wiedervereinigung zu träumen“ und „Was dann wirklich geschah, konnte niemand vorhersagen“ verraten nur geringen Spürsinn. Sie sind auch objektiv falsch: Er hätte nur einen Blick auf die vorliegenden BND-Informationen werfen müssen. Offenbar gehörte Waigel ebenfalls zu den vielen westdeutschen Politikern, die in ihrer Selbstüberschätzung glaubten, besser informiert zu sein als der eigene Nachrichtendienst. 

Das Waigel zugeschriebene Wort, die deutsche Einheit „bezahlen wir aus der Portokasse“ sucht der Leser vergeblich. Über den DDR-Finanzminister hätte man bei den vielen Verhandlungen gern mehr gewusst. Gleiches gilt in diesem Rahmen für Margret Thatcher mit ihrer Ablehnung der Wiedervereinigung, was der Autor un­bedingt hätte darlegen müssen statt eines nichtssagenden Wortwechsels mit ihr. 

Jedenfalls war die Ausgabe der D-Mark in der DDR wirklich eine logistische Meisterleistung von Waigel. Die Treuhand beurteilt er positiv, räumt aber auch viele Fehler ein. Im Herbst 1989 wurde der Verfasser Bun­desfinanzminister mit der schweren finanzpolitischen Bewältigung der Einheit. Es folgten Bedrohungen von RAF-Terroristen. Die Sicherheitsbehörden setzten ihn auf Gefährdungsstufe I. 

Bei Verhandlungen in Moskau über Gesamt-Deutschland war es Waigel, der überdeutlich betonte, Bonner Kredite seien nicht unbegrenzt. Nach seiner Auffassung sollten Kredite nur bei einer Rückzahlungsgarantie erfolgen, an die er bei den Russen nicht glaubte. Dennoch bewilligte er Kredite: Mit sehr klugem Weitblick erkannte er das Schick-sal der Politik Gorbatschows (und erhielt den Kredit zurück). Als er am 3. Oktober 1990 bei den Einigungsfeierlichkeiten den ersten völkerrechtlichen Vertrag des souveränen Deutschland unterzeichnete, schrieb er; „Es war ein bewegender Augenblick in meinem Leben.“ Unter einem Vorwand erlebte er Ostpreußen und Königsberg. Am Grabmal Immanuel Kants zu stehen, bewegte ihn sehr. 

Sein Beitrag zur Schaffung einer gemeinsamen europäischen Währung gehört zu Recht zu den Meilensteinen seines Lebens. Dass er oft um die Stabilität der D-Mark kämpfen musste, gibt er zu. Der Name „Euro“ stammt von Theo Waigel. Sein Vorschlag wurde einstimmig angenommen! 

Als politisches Vermächtnis rät er seiner Partei zu „mehr Mut für die Themen der Zukunft“. Aufgabe der Politik sollte sein, Zuversicht zu vermitteln und den Menschen die Angst vor der Zukunft zu nehmen. Worte mit großem Weitblick, die man mehr denn je unterstreichen kann.

Theo Waigel: „Ehrlichkeit ist eine Währung. Erinnerungen“, Econ-Verlag, Berlin  2019, gebunden, 352 Seiten, 24 Euro