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31.05.19 / Viel Lärm um vergleichsweise wenig / Publizisten und Künstler verankerten den schlesischen Weberaufstand im kollektiven Gedächtnis

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-19 vom 31. Mai 2019

Viel Lärm um vergleichsweise wenig
Publizisten und Künstler verankerten den schlesischen Weberaufstand im kollektiven Gedächtnis
Wolfgang Kaufmann

Vor 175 Jahren kam es in Schlesien zu Krawallen, die später als „Weberaufstand“ und Vorspiel zur Revolution von 1848 in die Geschichte eingingen. Tatsächlich jedoch eskalierten damals nur Lohnstreitigkeiten zwischen einzelnen Unternehmern und Textilarbeitern durch das unbedachte Agieren beider Seiten.

In der preußischen Provinz Schlesien war die Bevölkerung zwischen 1815 und 1844 von 1,9 auf knapp drei Millionen angewachsen. Dadurch entstand ein Überangebot an Arbeitskräften, weil die heimische Landwirtschaft nur einen Teil der Menschen beschäftigen konnte. Also drängten die übrigen ins Textilgewerbe beziehungsweise die Branche der in Heimarbeit tätigen Weber. Dabei unterlagen die Kleinproduzenten der Willkür ihrer Verleger. 

Diese stellten die Rohstoffe zur Verfügung und übernahmen dann das Fertigprodukt – allerdings für immer geringere Entgelte. Das resultierte einerseits aus dem Streben nach Gewinnmaximierung, andererseits aber auch aus zunehmend schwierigeren Marktbedingungen. Zum Wegfall der ausländischen Absatzmärkte im Gefolge der napoleonischen Kriege kam der Einbruch bei der Binnennachfrage aufgrund des Verlustes an Kaufkraft. Außerdem stellte die englische Konkurrenz mit ihren Textilmaschinen zunehmend billigere und bessere Stoffe her – und das in stetig wachsender Menge.

Die schlesischen Weber versuchten, den Preisverfall ihrer Waren dadurch wettzumachen, dass sie die Produktion erhöhten. Aber letztlich halfen weder Kinderarbeit noch unmenschlich lange Arbeitszeiten. Die Vergütung, welche die Textilarbeiter erhielten, reichte oftmals kaum mehr für die Befriedigung der einfachsten Grundbedürfnisse. Gleichzeitig protzten manche Verleger auf nachgerade obszöne Weise mit ihrem Reichtum, zum Beispiel durch die Errichtung prunkvoller Wohn- und Geschäftsgebäude, während sie sich besonders geizig gebärdeten. Einer dieser Gernegroße war Ernst Fried-rich Zwanziger, früher selbst Weber, aus Peterswaldau im Eulengebirge, der inzwischen sechs Häuser besaß und Tausende von Textilarbeitern beschäftigte, dabei aber die niedrigsten Löhne weit und breit zahlte. Während andere Verleger immerhin noch 32 Silbergroschen für 140 Ellen Kattun gaben, bekamen die Weber bei Zwanziger kaum die Hälfte. Und dann machte sich auch noch das Gerücht breit, der Fabrikant wolle zusätzliche 300 Leute anheuern, die bereit seien, zehn Groschen als Werkslohn zu akzeptieren. Das veranlass-te die Arbeiter zu der sehr berechtigten Frage, wie man denn von so wenig Geld existieren solle. Hierauf erwiderte ein Gehilfe Zwanzigers höhnisch: „Fresst doch Gras, das ist heuer reichlich und gut gewachsen!“

Solche und ähnliche Demütigungen animierten zwei Dutzend Weber dazu, am 3. Juni 1844 vor dem Firmensitz von Zwanziger aufzumarschieren und ein Spottlied zu singen. Minuten später wurden sie von den Handlangern des Unternehmers mit Steinen und Knüppeln vertrieben – außerdem verhaftete die Polizei den blutig geschlagenen Weber Wilhelm Mäder. Das hatte zur Folge, dass sich am nächsten Tag ein Protestzug mit mehreren hundert Teilnehmern formierte, der die Freilassung Mäders erreichen und Zwanziger zu Lohnerhöhungen zwingen wollte. Die Leute des Fabrikanten reagierten jedoch erneut mit Gewalt – und diesmal gab es für die Weber kein Halten mehr. Empört stürmten sie sämtliche Gebäude Zwanzigers in Peterswaldau und zertrümmerten deren Inventar, während der Verleger und dessen Familie in Panik nach Breslau flüchteten. Zwei herbeigeeilte Polizeibeamte konnten dem Exzess nur machtlos zusehen.

Am 5. Juni zogen die wütenden Arbeiter ins benachbarte Langenbielau, wo sie die Anwesen der Verleger Andritzky und Hilbert verwüsteten. Auch die standen im Ruf, die Weber nicht angemessen zu bezahlen. Gleichzeitig blieben andere Unternehmer aber völlig unbehelligt oder wurden sogar für ihre „gerechten Löhne“ gefeiert. Dann versammelte sich die Menge vor der großen Fabrik von Wilhelm Dierig, der versuchte, den Protest durch das Verteilen von Geld zu ersticken. In diesem Moment erschien eine Kompanie der alarmierten Schweidnitzer Garnison unter Major Franz Rosenberger vor Ort. Der Offizier ließ Warnschüsse in die Luft abgeben, um für Ruhe zu sorgen. Daraufhin animierte der Weber August Umlauf die Umstehenden, auf die Soldaten einzuprügeln. Die reagierten, indem sie gezielt in die Reihen der Weber feuerten und dabei elf Menschen erschossen. Trotzdem musste sich das Militär wenig später zurückziehen – aufgrund von immerhin 82 Verletzten in den eigenen Reihen. Das nutzten die Massen, um nun auch Dierigs Fabrik zu demolieren.

Ruhe zog in Peterswaldau und Langenbielau erst am 6. Juni ein, als nunmehr sechs Kompanien aus Schweidnitz anrückten, teilweise sogar mit Artillerie, und der Breslauer Regierungskommissar von Kehler die Polizeigewalt in der Unruheregion übernahm. Dem schlossen sich ab dem 8. Juni Massenverhaftungen an, wobei die Behörden vor allem der Aufwiegler habhaft zu werden versuchten.

Die juristische Aufarbeitung der Tumulte erfolgte durch den Kriminalsenat des Oberlandesgerichtes Breslau unter dem Vorsitz von Ludwig Graf von Rittberg. Der verhängte am 31. August 1844 gegen 80 Beteiligte an den Ausschreitungen insgesamt 203 Jahre Zuchthaus, 90 Jahre Zwangsarbeit auf Festungen und 330 Peitschenhiebe. Die höchste Strafe erhielt dabei Umlauf mit acht Jahren Freiheitsentzug. Allerdings wurden sämtliche Häftlinge während der Märzrevolution von 1848 amnestiert.

Zeitgenossen wie Karl Marx oder der schlesische Frühsozialist Wilhelm Wolff sowie dann auch Heerscharen linksorientierter Künstler und Historiker charakterisierten die Krawalle mal als „Hungerrevolte“ oder „Maschinensturm“, mal als „Klassenkampf zwischen Proletariern und kapitalistischen Ausbeutern“. Dieser Mythos wurde erst Mitte der 1990er Jahre durch die Recherchen der jungen Freiburger Historikerin Christina von Hodenberg in ehemaligen DDR-Archiven zerstört. Das von Ost-Berlin unter Verschluss gehaltene Aktenmaterial aus dem preußischen Innenministerium und den schlesischen Justizbehörden belegt ganz eindeutig, dass die „Aufständischen“ lediglich mehr Lohn von einigen Verlegern wollten – und sonst gar nichts. Keiner der Unruhestifter hatte also die Absicht, die damaligen politischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse zu verändern. Ebenso stand auch niemand kurz vorm Verhungern, wie das später so häufig kolportiert und durch die Grafiken von Käthe Kollwitz suggeriert wurde.