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31.05.19 / Der Schwarze Tod kam aus Asien / Die Pest entvölkerte einst weite Teile von Europa

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-19 vom 31. Mai 2019

Der Schwarze Tod kam aus Asien
Die Pest entvölkerte einst weite Teile von Europa
Klaus J. Groth

Die Pest raffte im Mittelalter mehr Menschen dahin als Kriege und Hungersnöte. Ganze Landstriche waren entvölkert. Erst vor 125 Jahren, am 20. Juni 1894, wurde der Erreger der Seuche entdeckt.

Das ausgehende 19. Jahrhundert war die große Zeit der medizinischen Forschung. Louis Pasteur entdeckte Mikroben als Krankheitserreger, Robert Koch die Tuberkelbazillen und Emil von Behring ein Serum gegen Diphtherie. Dass der Schweizer Arzt und Mikrobiologe Alexandre Yersin sich der Erforschung der Pest widmete, hatte einen aktuellen Anlass. Zwar war der „Schwarze Tod“ in Europa zum letzten Mal 1720 in Marseille aufgetreten, aber noch während Yersins Studium brach eine Pandemie in der Mongolei aus und verbreitete sich rasant in ganz Zentralasien. Yersin gehörte schon als junger Wissenschaftler zum engsten Kreis von Louis Pasteur. Auf dessen Empfehlung schickte die französische Regierung den 31-Jährigen nach Hongkong, wo bereits Tausende an der Pest gestorben waren, um vor Ort zu experimentieren. 

Yersin wurde 1863 in dem kleinen Ort Lavaux am Genfer See geboren. Sein Vater, ein Insektenforscher, starb drei Wochen nach seiner Geburt. Alexandre beschäftigte sich bereits als Kind mit der Insektensammlung seines Vaters. Nach dem Abitur begann er ein Medizinstudium in Marburg, dann ging er nach Paris und wurde Mitarbeiter im Institut des berühmten Pasteur. Als Schiffsarzt im damaligen Indochina sah er zum ersten Mal Pestkranke mit schrecklichen Beulen und Nekrose, die der Seuche ihren Namen „Schwarzer Tod“ gegeben hatte. In der Furcht, sich selbst anzustecken, überließen die Ärzte die Erkrankten ihrem Schicksal. Betroffen notierte Yersin in sein Tagebuch: „Das ist doch kein Leben, wenn man nichts unternimmt.“

Die Seuche ist seit der Bronzezeit bekannt. Sie trat zum ersten Mal in Zentralasien auf. Von dort gelangte sie über die Seidenstraße und mit Handelsschiffen immer weiter nach Westen. Flüchtlinge aus dem Schwarzmeerhafen Caffa auf der Krim, dem heutigen Feodosija, schleppten die Erreger in Europa ein. Bei der Belagerung der genuesischen Stadt 1347 durch die Tataren war in deren Heer die Pest ausgebrochen. Um den Widerstand Caffas zu bezwingen, schleuderten die Angreifer ihre Toten mit Katapulten über die Stadtmauern. Die grauenvolle Attacke ging als erster Fall von bakteriologischer Kriegsführung in die Militärgeschichte ein.

Von Genua und anderen Mittelmeerhäfen aus verbreitete sich die Pandemie (Große Pestis) bis hoch nach Tromsö. Sie raffte im 14. Jahrhundert etwa 30 Prozent der europäischen Bevölkerung dahin. Vor allem in den dicht besiedelten Handelsstädten wie Paris, London, Köln und Lübeck verschonte die Seuche kaum eine Familie. Die Stadtväter schlossen zur Abwehr alle Tore und ließen Fremde nicht herein. Schiffe 

mussten 40 Tage in Quarantäne vor der Einfahrt in die Mittelmeerhäfen ausharren. Doch die Pest war durch nichts aufzuhalten. 

Yersin war nicht der einzige, der die Erreger der Pest erforschte. Zur selben Zeit wie er traf der Japaner Shibasaburo Kitasato, ein Schüler Robert Kochs an der Charité, in Hongkong ein. Unterstützt von der britischen Kolonialverwaltung soll Kitasato die Arbeit seines Konkurrenten behindert haben. Das Kennedy-Tower-Krankenhaus stellte der japanischen Gruppe ein gut ausgestattetes Labor zur Verfügung. Yersin musste sich mit einer Abseite begnügen. Er brauchte für seine Versuche Leichen von Pestkranken, aber sie wurden ihm verweigert. Yersin bestach einen Bestatter, der ihm Zugang zu einem Leichenkeller verschaffte. In seinem Tagebuch schrieb er: „Sie liegen in ihren Särgen, ganz mit Kalk bedeckt. Ein Sarg wird geöffnet. Ich schiebe den Kalk beiseite, um die Leistengegend freizulegen. Die Beule ist deutlich auszumachen. In weniger als einer Minute habe ich sie herausgeschnitten und bringe sie in mein Labor. Im Nu habe ich ein Präparat hergestellt und lege es unter mein Mikroskop. Auf den ersten Blick erkenne ich einen regelrechten Brei aus Mikroben, die alle gleich aussehen.“ 

Yersin ließ sich eine Bambushütte bauen und legte dort Kulturen an. Es war ein Wettlauf mit dem Japaner, der unter komfortablen Bedingungen experimentierte. Des Europäers Glück war, dass er im Gegensatz zu dem Asiaten keinen Brutschrank besaß. Bei der mäßigen Temperatur in Yersins luftiger Hütte vermehrten sich die Pesterreger weitaus besser als in der Wärme des Inkubators. Yersin infizierte Ratten und Mäuse mit den Bakterien, und die Tiere zeigten bald die typischen Symptome. Dass die Infektion ansonsten von Rattenflöhen übertragen wird, fanden die Wissenschaftler Masanori Ogata und Paul-Louis Simond in Bombay heraus. 

Yersin erhielt nicht den Nobelpreis, der ihm für seine Forschung zugestanden hätte. Er machte sich nichts aus Ruhm und Auszeichnungen und zog sich in die abgeschiedene Bucht Nha Trang in der heutigen Sozialistischen Republik Vietnam zurück. Dort gründete er das erste Louis-Pasteur-Institut außerhalb Europas, dem heute ein Yersin-Museum angegliedert ist. Lange galt Kitasato als Entdecker des Pestbakteriums. Erst 1970 erhielt es den Namen des Mannes, dem die Ehre zustand: Yersinia pestis. Yersin entwickelte ein Gegenmittel, das allerdings wirkungslos blieb. Erst durch die Erfindung des Penicillins lässt sich die Pest bekämpfen. Sie tritt immer noch vereinzelt in Afrika und Asien auf. Yersin lebte 40 Jahre lang in Nha Trang, wo er 1943 starb.