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31.05.19 / Aus privaten Quellen des Ehepaars Schmidt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-19 vom 31. Mai 2019

Aus privaten Quellen des Ehepaars Schmidt
Dirk Klose

Zwar weiß ich viel, doch möchte‘ ich alles wissen“, lässt Goethe im „Faust“ den etwas spießigen Famulus Wagner sagen. Ähnlich scheint es inzwischen beim früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt und seiner Frau Loki zu laufen. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Büchern über sie, aber das Interesse des Publikums scheint noch immer groß zu sein, jeder neue Titel verkauft sich gut. Der Hamburger Erziehungswissenschaftler Reiner Lehberger gehörte zum engeren Bekanntenkreis des Ehepaars. Mit und über Loki Schmidt hatte er mehrere Bücher geschrieben, und seine Idee, nun das Ehepaar Schmidt zu zeigen, fand die Billigung des Altkanzlers, der freilich resignierend meinte, das fertige Produkt werde er wohl kaum noch lesen können. Und so kam es auch.

Lehberger schreibt, er habe vom Lebensweg der Schmidts jene Punkte besonders herausstellen wollen, die für deren lange und innerlich so starke Bindung von Bedeutung waren. Letztlich wird es dann doch – und anders geht es auch gar nicht – eine gemeinsame Biografie, allerdings durchaus paritätisch angelegt, denn Loki Schmidt nimmt mindestens so viel Raum ein wie ihr Mann. Neben den bekanntermaßen willensstarken und intellektuellen Helmut Schmidt stellt der Autor an vielen Beispielen dessen nicht minder willensstarke, beruflich und privat  zielstrebige Frau.

Der Autor konnte viele private Quellen der Schmidts nutzen. Seine Darstellung läuft entlang der großen Lebenslinien: Kinderjahre in einfachen Verhältnissen, beider Schulbesuch auf der reformerischen Lichtwark-Schule, Lokis Weg als Lehrerin, seine Kriegsjahre, die Heirat 1942, der schwierige Neubeginn im Sommer 1945, Helmut Schmidts steile Karriere in der SPD, seine ersten Attacken auf Bundeskanzler Konrad Adenauer, die ihm den Ruf „Schmidt-Schnauze“ eintrugen, sein Krisenmanagement bei der Hamburger Sturmflut im Februar 1962, dann der endgültige Weg nach Bonn, SPD-Fraktionsvorsitz, Verteidigungsminister, dann Wirtschafts- und Finanzminister, nach Brandts Rücktritt im Mai 1974 Kanzlerschaft bis zum Oktober 1982, danach hochgeachteter „elder statesman“, „Zeit“-Mitherausgeber und Autor von über 15 Büchern. Zugleich der Lebensweg seiner Frau, mehr und mehr unabhängig vom Kanzler als engagierte Biologin und Naturschützerin bis in die letzten Lebensjahre. 

Dabei erfährt der Leser dann doch einiges Neue, etwa über das kurze Leben ihres ersten Kindes Walter, die letzten Kriegsjahre im brandenburgischen Bernau und die überstürzte Flucht vor den Russen, die breiten künstlerischen Interessen beider (ihr Hamburger Haus glich fast einem Museum für moderne Kunst) und die Freundschaften mit Künstlern und Schriftstellern. In den letzten Lebensjahren forderten Krankheiten und Altersschwäche ihren Tribut. Es sind die bewegendsten Passagen im Buch, in denen eine immer intensivere Gemeinsamkeit und zugleich das jeweils eigene Profil von ihr und ihm geschildert werden.

Lehberg verschweigt die dunklen Seiten dieses mitunter schon idealisierten „Jahrhundertpaars“ (so der Untertitel) nicht, etwa als Helmut Schmidts außereheliche Affären Loki dazu brachten, ihm die Scheidung vorzuschlagen, was er erschrocken ablehnte. Insgesamt aber ist es eine überaus freundliche Schilderung, der man gelegentlich doch etwa mehr Schärfe gewünscht hätte, zumal dem Autor selbst manche Ungereimtheiten und brüskes Verhalten (von ihm) auffallen, was er aber nicht weiter hinterfragt. Helmut Schmidts nicht nur bei Journalisten berüchtigte Ruppigkeit wird kaum einmal thematisiert, die vielen Kontakte mit ausländischen Staatsmännern bleiben im Ungefähren. Aber das sind letztlich Marginalien. Die vielen Freunde und Verehrer der Schmidts werden ein weiteres Mal bestätigt finden, hier zwei außergewöhnlichen Menschen zu begegnen. 

Reiner Lehberger: „Die Schmidts. Ein Jahrhundertpaar“, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2018, gebunden, 350 Seiten, 24 Euro