26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
31.05.19 / Abgründe des deutschen Gesundheitssystems unter die Lupe genommen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-19 vom 31. Mai 2019

Abgründe des deutschen Gesundheitssystems unter die Lupe genommen
Dagmar Jestrzemski

Unsere Erwartungen an das Gesundheitssystem sind hoch. Das waren sie auch bei dem Schriftsteller und Drehbuchautor Sven Böttcher, der 2005 an Multipler Sklerose (MS) erkrankte und sich den Therapie-empfehlungen seiner Ärzte unterwarf. Drei Jahre später war er todkrank. Nach Weglassen aller Medikamente im Selbstversuch wichen die Krankheitssymptome überraschend nach und nach. 

Heute geht es ihm dem Alter entsprechend gut (er ist Jahrgang 1964), was ihn veranlasst hat, das eine oder andere Buch über das große Ganze des Lebens zu schreiben. In seinem aktuellen Buch „Rette sich, wer kann! Das Krankensystem meiden und gesund bleiben.“ zielt der dreifache Familienvater auf die Hinter- und Abgründe unseres Gesundheitssystems. Böttcher nennt es eigenwillig „Krankensystem“ und bezieht sich dabei häufig auf seine eigenen, schlimmen Erfahrungen. 

Die seinerzeit gängigen Behandlungsmethoden bei MS wurden für ihn zur tödlichen Gefahr, der er gerade noch entronnen ist. Er hat viel über MS recherchiert sowie über unser Gesundheitssystem, Deutschlands bedeutendste Wirtschaftsbranche. Wie alle anderen Wirtschaftsbranchen ist es auf maximalen Gewinn und Wachstum ausgelegt. Das hat unbestreitbar zu gravierenden, teils skandalösen Fehlentwicklungen geführt. 

Es gehe in seinem Buch um Gesundheit, kündigt der Autor eingangs an. In der Wahrnehmung des Lesers steht jedoch seine Abrechnung mit den „Krankheitsprofiteuren“ im Fokus. Eher ein Rahmenthema bilden seine eloquenten Aufrufe zur Achtsamkeit, um gar nicht erst in die Hände von „Big Pharma“ zu fallen oder für sündhaft teure Krebsfrüherkennungs-Untersuchungen mit möglicherweise falsch-positiven Ergebnissen zur Kasse gebeten zu werden. Er warnt vor falschen Vorstellungen von „Heilung“, „Gesundheit“ und „Vorsorge“ im Zusam-menhang mit einem undurchsichtigen System, das auch die meisten Ärzte als Verbündete gewonnen habe. Wer dort vermeintlich als Passagier mitfahre, liefere diesem gewaltigen Beschäftigungsmotor in Wirklichkeit den benötigten Brennstoff, schreibt Böttcher mit ätzendem Sarkasmus. Besser sei es, die Ernährung zu überprüfen, den eigenen Lebensstil zu hinterfragen und sich die Frage nach dem Sinn zu stellen: Wozu möchte ich gesund werden oder bleiben?

Häufig geht er am Beispiel der MS-Industrie ins Detail, um seine Aussagen zu unterstreichen, und er bittet die Leser, ihm das nachzusehen. Bei allem Verständnis für seine Haltung, zumal er obendrein von einzelnen Medizinern angefeindet wurde, nachdem er mit seiner Geschichte in die Öffentlichkeit getreten war: Es dürfte insbesondere für chronisch Kranke nicht leicht sein, aus dieser Grundsatzkritik am weltweit vernetzten Gesundheitssystem für sich persönlich Konsequenzen zu ziehen. Man ist oft schockiert, insbesondere durch Berichte und Informationen, die im prall gefüllten Fußnotenteil verborgen sind. Durch diesen Rundumschlag entstehen jedoch Fragen, die nicht ohne Weiteres beantwortet werden können. Von den fast 100000 auf dem Markt befindlichen Arzneimitteln, basierend auf 3000 Wirkstoffen, betrachtet die Weltgesundheitsorganisation (WHO), man mag es kaum glauben, nur 0,4 Prozent als essentiell. Wie sollen Patienten, denen Medikamente verschrieben wurden, mit dieser Information umgehen? Und was hilft es MS-Kranken, zu erfahren, dass ihre Krankheit zur Goldgrube von Konzernen wurde? Einfach aussteigen könnte der falsche Entschluss sein. Im Hinblick darauf wird hier aus gutem Grund weder zu- noch abgeraten.    

Sven Böttcher: „Rette sich wer kann! Das Krankensystem meiden und gesund bleiben“, Westend Verlag, Frankfurt/Main 2019, Klappenbroschur, 224 Seiten, 18 Euro