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07.06.19 / Die wahren Überflieger / Der erste Flug über den Atlantik gelang zwei Briten im Doppeldecker

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-19 vom 07. Juni 2019

Die wahren Überflieger
Der erste Flug über den Atlantik gelang zwei Briten im Doppeldecker
Klaus J. Groth

Die Geschichte hat sie fast vergessen, weil ein anderer sich vordrängelte. Der Vordrängler, das war Charles Lindbergh, der vor­geb­lich erste Überflieger des Atlantiks. Vergessen wurden John Alcock und Arthur Whitten Brown, sie flogen acht Jahre vor Lindbergh über den Großen Teich.

Der britische Pilot Sir John William Alcock war im Jahr seines Fluges 27 Jahre alt. Er hatte als Mechaniker in einer Flugzeugfabrik gearbeitet, hatte den Pilotenschein gemacht, war im Ersten Weltkrieg in Gefangenschaft geraten und war im März 1919 als Hauptmann aus der Armee entlassen worden. Sir Arthur Whitten Brown war im Jahr des Fluges 33 Jahre alt. Er war der Navigator. Nach schwerer Verwundung und deutscher Gefangenschaft hatte der Ingenieur seine Kenntnisse der Flugnavigation vertieft. Bei einem Besuch der Vickers-Werke war ihm angeboten worden, Alcock bei dessen geplantem Flug über den Atlantik als Navigator zu unterstützen. 

Der Rekordflug sollte mit einer Vickers Vimy erfolgen, einem offenen Doppeldecker mit einer Spannweite von 20,75 Metern. Der schwere britische Bomber war für Luftangriffe auf Ziele in Deutschland konzipiert, vor dem Ende des Ersten Weltkrieges jedoch nur noch in geringen Stück­zahlen an der Westfront zum Einsatz gekommen. Zwei Zwölf-Zylinder-Motoren trieben die Maschine an. Sie erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 166 Kilometern in der Stunde. 

Der Nonstop-Flug über den Atlantik startete am 14. Juni 1919 um 13.45 Uhr in St. John’s, Neufundland. Für den Fall, dass den tollkühnen Fliegern ihr waghalsiges Abenteuer gelingen sollte, winkte ihnen ein stattliches Preisgeld. 1913 hatte der Inhaber der Londoner Zeitung „Daily Mail“, Alfred Charles William Harmsworth, 1. Viscount Northcliffe, für den ersten Überflieger des Atlantiks 10000 Pfund ausgesetzt. Da sich niemand diesen Preis abholte, hatte er 1918 die Ausschreibung erneuert. Nicht nur die Flieger glaubten an den Erfolg ihres Abenteuers. Der örtliche Postmeister vertraute ihnen 197 Briefe zur Beförderung an, die erste transatlantische Luftpost.

Ein Vergnügen war dieser Flug im offenen Doppeldecker nicht. Sie absolvierten einen Blindflug durch Nacht und Wolken. Eng war es in der Maschine, Schneetreiben setzte ein. Zur Verpflegung hatten sie nur zwei Sandwiches mitgenommen, dazu Kaffee, Bier und Whisky. Jedenfalls haben sie das so erzählt. Ihr Sponsor, der Zeitungsverleger, brauchte eine Story.

Der eisige Wind sprengte den Auspuff und die Verkleidung vom rechten Triebwerk ab. Fortan ratterte es mit gewaltigem Getöse. Niederschlag gefror auf den Armaturen, machte sie unlesbar. Das alles schien den Fliegern problematisch, aber nicht gefährlich. Gefährlich wurde das Eis auf den Tragflächen, es machte die Klappen und Leitwerke unbeweglich. Die Maschine verlor an Höhe, sank immer weiter auf den Atlantik zu. Wenn sie nicht abstürzen wollten, mussten die Flieger einen riskanten Einsatz wagen. Brown kletterte mit einem Messer in der Hand auf die unteren Flügel des Doppeldeckers. Mit einer Hand hielt er sich an den Spanndrähten fest, mit dem Messer beseitigte er das Eis. Vorsichtig muss­te das geschehen, denn die Bespannung der Flügel war leicht verletzlich. Viermal musste Brown bis auf fünf Meter raus, je zweimal auf jeder Seite. 

Sie schafften es. Am nächsten Morgen sahen sie die Küste Irlands. Der erste Flug über den Atlantik endete nach 16 Stunden und zwölf Minuten in der Nähe von Clifden. Sie waren 3667 Kilometer geflogen. Aber der Ruhm erhielt noch bei der Landung einen Dämpfer. Sie hatten eine grüne Wiese als guten Landeplatz ausgemacht. Ein Mann rannte herbei und gestikulierte wild mit den Armen. Die Flieger dachten, er winke ihnen zu. Sie kamen nicht darauf, dass er sie warnen wolle. Und so landeten sie statt auf einer grünen Wiese in einem Moor. Die Maschine kippte auf die Nase. Beide Flieger kletterten unverletzt heraus. 

Dem Ruhm, den sich Brown und Alcock mit ihrem bemerkenswerten Bravourstück verdient hatten, konnte die wahrlich weniger gelungene Landung kaum etwas anhaben. Bereits wenige Tage später wurden die Flieger vom britischen König George V. zum Ritter geschlagen. 

Alcock konnte sich nicht lange über die ehrenvolle Auszeichnung freuen. Bei einem Flug, der ihn im Dezember desselben Jahres nach Paris bringen sollte, stürzte er bei Rouen ab, er starb an seinen Verletzungen. Brown lebte noch bis 1948, er musste miterleben, wie der Ruhm der ersten Atlantiküberquerung von Lindbergh gestohlen wurde. 

Lindbergh verstand es besser als seine Vorgänger, sich in Szene zu setzen. Zwar flog er erst acht Jahre nach Alcock und Brown 1927 über den Atlantik, aber er flog von New York nach Paris. Das macht mehr her als ein Flug aus der Einsamkeit Neufundlands bis in ein irisches Moor. Bei den prestigeträchtigen Schauplätzen New York und Paris spielt es keine Rolle, dass der Amerikaner nicht in einem offenen Doppeldecker fliegen musste, sondern in einer geschlossenen Kabine saß. Aber er flog allein, das betonte er. Mit seinem Flug wurde er zum ersten Superstar des 20. Jahrhunderts. Seine Kollegen hatten den Postflieger vorher als „fliegenden Narren“ verspottet, „Lucky Lindy“ nannten sie ihn. Nach der Rück­kehr von seinem Rekordflug erhielt er 3,5 Millionen Briefe, 100000 Telegramme und 15000 Päckchen. Schon einen Tag nach der Landung veröffentlichte die „New York Times“ ein Tagebuch Lindberghs über seinen Flug, das er allerdings niemals geschrieben hatte. Lindbergh wurde zum meist fotografierten Menschen der 30er Jahre. Es war eben eine ganz und gar amerikanische Story. Die Geschichte vom ersten Alleinflug über den Atlantik ist so häufig erzählt worden, dass Lindbergh allgemein als der Erste genannt wird, der den Atlantik im Flug bezwang. 

Vergessen sind die wirklichen Erstflieger hingegen nicht. Vor dem Londoner Flughafen Heathrow steht ein Denkmal, das die beiden Pioniere zeigt. Ein weiteres Denkmal steht in Connemara, in der Nähe von Clifden, wo ihr Flieger landete. Und schließlich wurde zu Ehren von Alcock eine Insel vor der Westküste der Ant­arktis nach ihm benannt, die Alcock-Insel.