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07.06.19 / Pionierin für die Rechte der Frauen / Vor 100 Jahren starb die Lyrikerin, Dramatikerin und Prosadichterin Hedwig Dohm

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-19 vom 07. Juni 2019

Pionierin für die Rechte der Frauen
Vor 100 Jahren starb die Lyrikerin, Dramatikerin und Prosadichterin Hedwig Dohm
Martin Stolzenau

Sie war eine überparteiliche Vordenkerin der deutschen Frauenbewegung und verurteilte den Krieg als „Gotteslästerung“. Heute wäre die vor 100 Jahren gestorbene Hedwig Dohm wohl gut bei den Grünen aufgehoben. 

Marianne Adelaide Hedwig Dohm trat als eine der ersten feministischen Theoretikerinnen mit polemisch oft zugespitzten Schriften wortgewaltig für die Gleichstellung der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen ein und verfasste als Kriegsgegnerin ein beeindruckendes Plädoyer für den Pazifismus.

Vielen fortschrittlichen Zeitgenossen galt die Feministin als „Überparteiliche Vordenkerin“ der deutschen Frauenbewegung. Mehr noch. Sie veröffentlichte fast nebenbei auch eine ganze Reihe von Frauenromanen, Novellen sowie konventionellen Lustspielen. Dazu gilt sie als Großmutter von Katja Mann, der Frau von Thomas Mann, und vom Physiker Hans Rosenberg. 

Während ihre Leistungen als Dramatikerin sowie Erzählerin vergessen sind, erleben jedoch in der Gegenwart ihre feministischen Essays eine beachtliche Renaissance, zumal ihre Forderungen unbeschadet aller aktuellen Sonntagsreden der Politiker teilweise bis heute nicht erfüllt wurden. Solchermaßen erreichte sie über ihren Tod vor 100 Jahren hinaus bis in die Gegenwart eine beträchtliche Nachwirkung.

Die herausragende Frauenpersönlichkeit wurde als Marianne Adelaide Hedwig Schlesinger am 20. September 1833 in Berlin geboren. Sie war das elfte von 

18 Kindern der Familie. Ihr Vater, ein jüdischer Tabakfabrikant, dem dann 50 Tabakfabriken gehörten, war bereits 1817 zum evangelischen Glauben konvertiert und setzte 1851 die Umbenennung von Schlesinger in Schleh durch, um den jüdischen Anstrich abzulegen. Als Mutter ist Wilhelmine Henriette Jülich überliefert. Bei den Eltern gab es eine Besonderheit. Sie durften erst 1838 nach dem Tod des reichen Großvaters heiraten, der wegen der unehelichen Herkunft der Mutter mit Enterbung gedroht hatte. Die Familie wohnte in der Friedrichstraße am Hallischen Tor, wo die Mutter ein strenges Regiment führte. Die häusliche Lieblosigkeit und besonders das gespannte Verhältnis zur Mutter schlugen sich später in Dohms Prosa nieder. Nach eigener Aussage waren „Prügel und Erziehung beinahe identisch“. Ihre „Brüder wollten nichts lernen und wurden dazu gezwungen“. Hedwig, die lernen wollte, „durfte nichts lernen“. Sie war ein Mädchen und sollte sich auf die Ehe vorbereiten. Ihre Schulkenntnisse beschränkten sich auf das für Mädchen zeitgemäße Minimum. Dazu kamen unter Aufsicht der Mutter Handarbeiten und die „wohlerzogene Vorbereitung auf den zukünftigen Mann“. Heimlich „schwartete“ Hedwig alle Bücher, die sie in die Finger bekommen konnte. Sie flüchtete sich aus der mütterlichen Kontrolle in Backfischphantastereien, träumte von einem Prinzen, der sie wegholte, und im Sog der 48er Märzereignisse von einer Rolle als Revolutionärin, bis sich der Wunsch festigte, Schriftstellerin zu werden.

Doch damit konnte sie ihren Eltern nicht kommen. Als 18-Jährige erreichte sie lediglich den Besuch eines Lehrerinnenseminars. Fast parallel lernte die Fabrikantentochter Ernst Dohm kennen, der mit seiner journalistisch-literarischen Begabung bereits ersten Lorbeer erworben hatte, als Chefredakteur der satirischen Zeitschrift „Kladderadatsch“ fungierte und zu den geistigen Säulen Berlins zählte. Beide wurden 1852 ein Paar. Für Hedwig war es eine Flucht in eine relative Freiheit. Sie kam durch ihren Mann in enge Berührung zu den intellektuellen Kreisen der Stadt. Im Dohmschen Salon verkehrten bald Fanny Lewald, Alexander von Humboldt, Hans von Bülow, Theodor Fontane, Ferdinand Lassalle und Karl Begas. Dabei reifte die Persönlichkeit der überaus attraktiven jungen Frau. Doch bis zur ersten eigenen Veröffentlichung dauerte es bis 1872. Sie hatte inzwischen fünf Kinder geboren, ihre Ehe-, Hausfrauen-sowie Mutterpflichten erfüllt und ihren Mann, den Bismarck trotz vieler Gegensätze fast wie einen „Parteiführer“ respektierte, bei dessen Publikationen unterstützt. Nach der Reichseinigung griff sie selbst zur Feder und erregte sofort öffentliches Aufsehen.

Zum Anfang gehörte „Was Pastoren denken“. Darin setzt sie sich mit den Meinungen von 

Theologieprofessoren zur Frauenfrage auseinander. Das wirbelte Staub auf. Ein Jahr später folgte mit Billigung ihres Mannes „Der Jesuitismus im Hausstande“. Diese Schrift enthält den ganzen Katalog ihrer Forderungen für die Frauen. Das reichte von der völligen rechtlichen, sozialen sowie ökonomischen Gleichberechtigung von Mann und Frau bis zum Stimmrecht für Frauen. Das ging der bürgerlichen Frauenbewegung entschieden zu weit. In der nachfolgenden Schrift „Antifeministen“ stritt sie mit scharfer Klinge trotz aller Verehrung für den Philosophen mit Nietzsche. Parallel zu ihren kämpferischen Veröffentlichungen, mit denen sie sich in die erste Reihe der deutschen Frauenrechtlerinnen katapultierte, unterhielt sie regen Kontakt zu anderen Ikonen der deutschen Frauenbewegung wie Lily Braun, Helene Lange und Alice Salomon, die allerdings Probleme hatten, sie als feministische Theoretikerin und Vordenkerin zu respektieren.

Erst nach dem Tod ihres Mannes 1883 widmete sich Hedwig Dohm auch der Dramatik und Prosa. Daraus ragen der autobiografische Roman „Schicksale einer Seele“ und die Novelle „Wie Frauen werden“ heraus. Ihre Bühnenstücke wurden mehrheitlich im Berliner Schauspielhaus aufgeführt. Im Ersten Weltkrieg, den sie nur um wenige Monate überlebte, opponierte die couragierte Frau aus ihrer Zurückgezogenheit gegen den wilhelminischen „Hurra-Patriotismus“, indem sie den „Krieg als die verruchteste aller Gotteslästerungen“ brandmarkte. Vor ihrem Tod am 1. Juni 1919 in Berlin erlebte Hedwig Dohm, deren Enkelin Katia seit 1905 mit Thomas Mann verheiratet war, noch die Einführung des Frauenwahlrechts. Das war für sie eine späte Genugtuung. Ihre letzte Ruhe fand Hedwig Dohm auf dem Matthäus-Friedhof in Berlin-Schöneberg. Ihr Grab wurde inzwischen mit einem neuen Grabstein zum Berliner Ehrengrab erhoben. Dazu erinnern in Berlin eine Hedwig- Dohm- Straße am Bahnhof Südkreuz, Schulen mit ihrem Namen und eine Gedenktafel am Haus Friedrichstraße 235 an sie. Außerdem vergibt der Journalistinnenverband seit 1991 eine Dohm-Urkunde für herausragende frauenpolitische Aktivitäten. In den letzten Jahren gab es zahlreiche Neuauflagen vor allem ihrer Essays und einige Veröffentlichungen, die sich mit ihrem pionierhaften Wirken befassen.