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07.06.19 / Tiefe Einblicke in das Alltagsleben im Iran

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-19 vom 07. Juni 2019

Tiefe Einblicke in das Alltagsleben im Iran
Manuela Rosenthal-Kappi

Bei uns im Westen ist nur wenig bekannt über Leben und Alltag im heutigen Iran. Die meisten Menschen erfahren nur das, was die großen Medien und das Fernsehen berichten, wenn es mal wieder um Sanktionen und Staatspolitik geht.

Dieser Unkenntnis will die Journalistin Charlotte Wiedemann mit ihrem Buch „Der neue Iran“ entgegenwirken. Sie gewährt Einblicke in ein Land, das viele Gesichter zeigt und das sich seit der Islamischen Revolution von 1979 vielschichtiger entwickelt hat, als man es von außen betrachtet vermutet. 

Wiedemann bereist seit Jahren außereuropäische Länder, schreibt Auslandsreportagen, Essays und Bücher. Ihr Schwerpunktthema lautet seit 2003 „Islamische Lebenswelten“. So verwundert es nicht, dass sie sich in ihrem neuen Buch an ein umfassendes Gesellschaftsporträt des modernen Iran heranwagt. Ihre Reisen haben die Journalistin sowohl in Metropolen als auch in abgelegene Regionen des Landes geführt. Im Reportagestil berichtet sie von der großstädtischen Theaterszene, über schiitischen Volksislam und kurdischen Sufi-Zeremonie bis hin zum Sabbat einer jüdischen Familie, dem sie im westlich von Teheran gelegenen Hamadan, einer der ältesten Städte des Iran, miterleben darf. 

Da sie selbst nicht Farsi spricht, war sie bei ihren Reisen auf die Dienste von Übersetzern angewiesen. Das hinderte sie jedoch nicht daran, viele interessante Kontakte zu knüpfen und der Faszination dieses vielschichtigen Landes Ausdruck zu verleihen.

Wiedemann wurde Zeugin davon, dass im Alltag massenhaft die Regeln des Regimes verletzt werden. Bei den meisten Regelverstößen schaut der Staat einfach weg, bei anderen Vergehen, die einem Westler als banal erscheinen, können zum Teil drastische Strafen folgen. Die Autorin hat bei ihren Reisen mit vielen iranischen Bürgern gesprochen, die unterschiedlicher Herkunft und religiöser Überzeugungen waren. Es entsteht der Eindruck, dass viele, auch solche, die anfangs die Revolution stützten, sehnlichst eine Veränderung im Land wünschen

Die Journalistin analysiert das Weltbild der Iraner und schildert viele Widersprüchlichkeiten, wie zum Beispiel die vorherrschende Mischung aus einem Nationalstolz, der aus einer Mischung von Hochmut und Komplexen genährt wird, und dem Gefühl der Unterlegenheit gegenüber dem Westen, der sich im Streben nach westlichen Idealen und diffusen Ängsten entladen.

Diese Minderswertigkeitskomplexe kommen oft in kleinen Dingen zum Ausdruck. Zum Beispiel erlebte Wiedemann, wie peinlich es anderen Hotelgästen war, dass sie als Gast aus dem Westen Pannen beim Service erleben musste.

In dem Buch wird viel Unbekanntes beleuchtet, etwa, dass die erste Herrscherdynastie im Land Aserbaidschaner waren, und dass. der Iran ein Vielvölkerstaat ist. Die Perser, deren Sprache Farsi die Amtssprache ist, sind erklärtermaßen nur ein Volk von vielen im Iran. Es ist ein Buch, das  hilft, die Kultur eines weitgehend unbekannten Landes besser zu verstehen. Mit zahlreichen Fotos versehen, wirkt es gut recherchiert und fundiert. Allerdings ist es auch sehr komplex, daher ist es schwierig, einen roten Faden zu entdecken. Auch wäre eine bessere historische Übersicht für das Verständnis hilfreich gewesen. 

So gibt Wiedemann einen lesenswerten Überblick über den modernen Iran, dessen Beziehungen zum Westen in den letzten Jahren durch den Atom-Streit erkaltet sind. Die vom Westen verhängten Sanktionen, die die Führung treffen sollten, haben die Wirtschaft des Landes geschwächt und somit die Bevölkerung getroffen. Das wird in allen Reportagen deutlich. 

Charlotte Wiedemann: „Der neue Iran. Eine Gesellschaft tritt aus dem Schatten“, dt Verlag, München 2019, broschiert, 288 Seiten, 11,90 Euro