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14.06.19 / Dem Euro droht eine Parallelwährung / Warum ein EU-Defizitverfahren gegen Italien trotz Empfehlung der EU-Kommission unwahrscheinlich ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-19 vom 14. Juni 2019

Dem Euro droht eine Parallelwährung
Warum ein EU-Defizitverfahren gegen Italien trotz Empfehlung der EU-Kommission unwahrscheinlich ist
Norman Hanert

Die EU-Kommission hat wegen der hohen Staatsverschuldung Italiens die Einleitung eines Defizitverfahrens empfohlen. Ob das Land am Ende tatsächlich eine Milliardenstrafe zahlen muss, ist nicht nur wegen der noch ausstehenden Zustimmung der EU-Finanzminister zu einem Defizitverfahren zweifelhaft.

Nachdem die EU-Kommission ihre Empfehlung abgegeben hat, bleibt den EU-Staaten zwei Wochen Zeit, um in der Frage eines Defizitverfahrens eine Entscheidung zu treffen. Bis zur Verhängung einer Strafe gegen Italien ist es ein langer Weg, das Verfahren kann sich über Jahre hinziehen. Verhängt Brüssel am Ende ein Bußgeld, dann könnte es am Ende um eine Summe von bis zu 3,5 Milliarden Euro gehen. 

Der Defizit-Streit zwischen Brüssel und Rom kommt zu einer Zeit, in der sich in Italien eine Regierungskrise entfaltet. Erst vor kurzem hatte Giuseppe Conte, der parteilose Ministerpräsident, seinen Rücktritt angedroht. Conte will ein Strafverfahren gegen Italien abwenden und pocht auf Einhaltung der Schuldenregeln der EU. Sollte es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, dann würden diese nach derzeitigem Stand die EU-kritische Lega von Matteo Salvini sehr wahrscheinlich zur stärksten politischen Kraft Italiens machen. 

Nach einem Jahr in der Regierung haben sich in der Koalition die Kräfteverhältnisse umgekehrt. Im Jahr 2018 lag die Fünf-Sterne-Bewegung bei knapp 33 Prozent, die Lega bei 17 Prozent. Bei den Europawahlen am 26. Mai hat sich dieses Verhältnis umgekehrt. Salvinis Lega ging aus den Wahlen als stärkste politische Kraft Italiens hervor, dafür halbierte sich der Stimmanteil der Fünf-Sterne-Bewegung. In Italiens Medien kursieren nun bereits Spekulationen über vorgezogene Neuwahlen im September. Hintergrund sind Vermutungen, dass die Lega die aktuell hohen Zustimmungswerte nutzen will, um sie in politische Macht umzumünzen.

Eskaliert der Streit mit Brüssel, kann dies für die Lega sogar zusätzlichen Rückenwind bedeuten, wenn es tatsächlich im Herbst zu Neuwahlen kommt. Auch die Koalitionsmöglichkeiten, die in Italien derzeit diskutiert werden, dürften kaum nach dem Geschmack Brüssels sein. Italienische Medien beschäftigen sich unter anderem mit der Möglichkeit, Salvini könnte auf eine Rechtskoalition aus Lega, Berlus-conis Forza Italia und der postfaschistischen Partei „Brüder Italiens“ abzielen.

Damit nicht genug. Vom Präsidenten der Europäischen Zentralbank bis hin zum Kommissionschef müssen in den nächsten Monaten in der EU mehrere Spitzenposten neu besetzt werden. Nach dem Muster früherer Kuhhandel bietet dies genug Anknüpfungspunkte für die Regierung in Rom, ein Defizitverfahren weg zu verhandeln. 

Zudem kann die italienische Regierung auf die Schonung Frankreichs in einem vergleichbaren Fall verweisen. Dessen Präsident Emmanuel Macron hat im Dezember, unter dem Eindruck der Straßenproteste der Gelbwesten, ein milliardenschweres Maßnahmenpaket verkündet. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger entschuldigte Macrons Ausgabepläne als „einmalige Ausnahme“ und lehnte ein Defizitverfahren ab.

Über zusätzliches Drohpotenzial verfügt Rom gegenüber Brüssel mit den sogenannten Mini-Bots. „Bot“ ist die Abkürzung von „Buoni Ordinari del Tesoro“ (Schatzanweisung). Bei den Papieren handelt es sich um Mini-Schuldscheine, mit denen die öffentliche Hand die Möglichkeit bekommen könnte, Lieferanten zu bezahlen oder aber auch Steuerrückerstattungen zu leisten. Unternehmen sollen mit den Papieren wiederum ihre Steuern begleichen können. Vor Kurzem hat sich die italienische Abgeordnetenkammer dafür ausgesprochen, das Instrument der Mini-Bots zu prüfen. Bislang hat sich das Finanzministerium zwar klar gegen diese Mini-Schuldscheine ausgesprochen, aber gerade in der angespannten Lage zwischen Brüssel und Rom, darf die Positionierung des Parlaments nicht unterschätzt werden. Greift Italien eines Tages tatsächlich auf die Mini-Schuldscheine zurück, dann wäre dies in der Geschichte der Gemeinschaftswährung Euro eine einschneidende Entwicklung. Der hochverschuldete italienische Staat könnte sich mit den Mini-Bots zum einen zusätzliche Kredite verschaffen. Als langfristig noch wichtiger könnte sich jedoch erweisen, dass Unternehmen die Papiere auch nutzen können sollen, um ihre Steuern zu begleichen. 

Das würde einen Angriff auf den Euro darstellen. Innerhalb der Währungsunion ist die Gemeinschaftswährung Euro das einzige gesetzliche Zahlungsmittel. Die Möglichkeit, Steuerschulden mit Papieren wie den Mini-Bots zu bezahlen, würde faktisch die Installierung einer Parallelwährung zum Euro darstellen. Nicht umsonst ist der Erfinder der Mini-Bots mit dem Lega-Wirtschaftssprecher Claudio Borghi ein erklärter Kritiker des Euro.