25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
14.06.19 / Gegenwind / Ordnungen degenerieren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-19 vom 14. Juni 2019

Gegenwind
Ordnungen degenerieren
Florian Stumfall

Das Bild hat einen gemischt traurigen und grotesken Charakter: Es zeigt den Plenarsaal des Deutschen Bundestages während einer Sitzung. Gleichwohl sind dort junge Leute zu sehen, sichtbar keine Abgeordneten, von denen einige am Boden liegen, während andere ein Spruchband halten: „Eure Klimapolitik = eine Katastrophe“. Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble reagiert gelassen, man könnte auch sagen: hilflos, und irgendwann ist der Spuk vorbei.

Es handelte sich dabei, so ist später zu erfahren, um ein „Jugend-Planspiel“, was immer das sein mag, gegebenenfalls muss man sich so oder ähnlich die Übernahme des Parlaments durch nicht gewählte Überzeugungstäter vorstellen. 

Angesichts der täglichen, unentrinnbaren Bombardierung der Bürger mit grauenerregender Klima-Propaganda wäre es nicht glaubhaft, wenn man ins Feld führen wollte, die Gefahr der Stunde gebiete, dass man auf sie aufmerksam mache. 

Mittlerweile tritt der Beweggrund für solche und ähnliche Ereignisse in den Vordergrund, der die Initiatoren der Bewegung von Anfang an im Sinn gehabt haben dürften. Denn das Kausalitätsprinzip gilt nicht nur in der Physik, und man tut gut daran, sich eines Wortes des früheren US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt zu erinnern, der sagte, dass nichts in der Politik zufällig geschehe. Oder mag ein halbwegs vernünftiger Mensch annehmen, dass die Klima-Prophetin Greta Thunberg durch einen glücklichen Zufall einem Journalisten aufgefallen sei, der dann flugs das Mädchen weltweit bekannt machte, ganz allein, völlig ohne eine ausgefeilte, professionelle Strategie und Organisation, wie man sie sonst für einen derartig durchschlagenden Propaganda-Erfolg braucht? Jeder Werbefachmann weiß, was das heißt, denn gerade die Werbung trägt dazu bei, die Reizschwelle des Publikums zu erhöhen.

Tatsächlich aber ist die Gesellschaft seit Langem auf die Möglichkeit einer überproportionalen institutionell nicht grundgelegten Einflussnahme vorbereitet worden. Das liegt an einer Ausnahmeregelung des Grundgesetzes und der Verfassungen der Länder. Im Allgemeinen folgt die deutsche Demokratie dem Prinzip der Repräsentation. Die Gesetzgebung erfolgt durch das Parlament, ebenso die Bestallung der Regierung. Die zugrundeliegende These ist die, dass es das ganze Volk sei, das sich im Parlament repräsentiert findet. Man nennt diese Ordnung auch eine indirekte Demokratie.

Doch es geht auch anders, wie das weltberühmte Schweizer Beispiel zeigt, wobei alle stimmberechtigten Bürger über Einzelfragen auf dem Marktplatz durch Handaufheben ihr Votum abgeben. Wenn auch dieser erhebende Akt in Deutschland nicht durchgeführt wird, so gibt es doch auch hier Elemente der direkten Demokratie, und zwar in Form von Volksbegehren und Volksentscheiden.

In den zurückliegenden Jahren wurde immer öfter die Forderung laut, dieses Instrument der politischen Willensbildung auszubauen und zu erweitern, und gleichzeitig wurde mehr und mehr davon Gebrauch gemacht. Bezeichnenderweise sind es meist Gruppen alternativer oder radikal-progressiver Einstellung, die sich beim Gebrauch der direkten Demokratie hervortun. 

So stellt sich die Frage, wie denn die beiden Formen der Willensbildung, die Repräsentation und das Plebiszit, in der Verfassungswirklichkeit zueinander stehen. Dabei ist festzustellen, dass Volksbefragung und Volksentscheid zwar als ergänzende Möglichkeit zur Repräsentation gedacht waren, aber heute auf dem besten Wege sind, zum Gegenmodell zu werden. Beschleunigt wird dieser Vorgang durch den Umstand, dass die Beteiligung an regulären Wahlen stark gesunken ist, während die geringen Hürden für ein Plebiszit es Minderheiten ermöglichen, Entscheidungen gegen die Mehrheit herbeizuführen.

Das alles hat natürlich seine Ursachen und Folgen. Zu den Ursachen zählt wahrscheinlich hauptsächlich, ebenso wie beim Erodieren der Volksparteien, dass es den herkömmlichen politischen Gruppierungen immer schwerer fällt, ein überzeugendes Personal zu präsentieren. Zwar sind die Alternativen keineswegs tüchtiger, aber sie werden an anderen Maßstäben gemessen: Wo ein bürgerlicher Politiker Seriosität ausstrahlen muss, macht es der alternative mit Originalität. Das führt zwar zu keiner besseren Politik, aber kommt mehr und mehr an, vor allem bei den Jugendlichen.

Das führt zu den Konsequenzen dieser Entwicklung. Die herkömmlichen Parteien sehen zu, wie ihnen die Felle davon schwimmen und glauben, sie müssten es der alternativen Konkurrenz gleichtun. Sie tun, was man mit dem hässlichen und daher genau treffenden Ausdruck „sich anschmieren“ bezeichnet, jedenfalls wenn man neuzeitlicher Ausdruckweise kundig ist. Nächste Folge: Man wird unglaubwürdig und Opfer der Regel, dass die Menschen lieber das Original wählen und nicht die Kopie.

Im gleichen Zug verliert die politische Diskussion an Rationalität. Auch diese Entwicklung hält schon länger an, wie ein eindrucksvolles Beispiel aus dem Kampf um die geplante Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf in den 80er Jahren zeigte. Die zuständigen Stellen, allen voran das bayerische Umweltministerium, versorgten die Bevölkerung überreichlich mit Informationen über eine solche Anlage, die Risiken, alle Zahlen und Daten sowie die Expertisen der herrlichsten Fachleute. Da zeigte das Fernsehen ein ältere Frau mit einem Plakat um den Hals, auf dem zu lesen stand: „Mein Enkel soll leben dürfen“. Aus. Vorbei. Kein Mensch interessierte sich mehr für Fakten und Daten und Expertisen, jeder stimmte in die Forderung mit ein, das Leben des unbekannten Enkels zu retten.

Nach 30 Jahren ist das Prinzip der Propaganda immer noch dasselbe. Es wird, heute unter dem Signum des Klimas, eine übergroße Gefahr stilisiert und die Menschheit vor die Frage gestellt, ob sie als ganze, nicht nur jener Enkel aus lang zurückliegender Zeit, überleben wolle oder nicht. Damit verbunden ist ein ausschließlicher, arroganter Anspruch auf den alleinigen Besitz der Moral. Daten und Fakten spielen, wenn überhaupt, eine nachgeordnete Rolle.

Die herkömmlichen Parteien sind für Scharmützel dieser Art nicht gerüstet. Ihre Unsicherheit drückt sich in der Szenerie, die einen zweckentfremdeten Bundestag zeigt, beispielhaft aus. Allein, dass ein Parlamentspräsident derlei zulässt, beweist, dass er sich keinen Rat weiß. Aber da war Schäuble nicht allein, andere seiner Kollegen, die alle gerne von der Würde des Hohen Hauses reden, bringen es nicht einmal fertig, dass der Kabelschlepper vom Fernsehen im Parlament seine Mütze absetzt. Es ist völlig gleichgültig, ob ein Parlamentspräsident in seinem Hause Würde und Ordnung nicht aufrechterhalten kann oder gar nicht will – in beiden Fällen verliert er an Glaubwürdigkeit, er und die ganze Einrichtung, die er vertritt.

Ordnungen degenerieren. Man erkennt das an dem Unterschied zwischen Anspruch – hier dem Grundgesetz und den Gesetzen – und der Wirklichkeit – ihrer Wirkkraft im Alltag. Es kann indes nicht Aufgabe sein, einer solchen Entwicklung Einhalt zu gebieten, das ist schwer möglich. Doch man muss alles tun, damit eine unabweisliche Veränderung möglichst zu einer Verbesserung wird und nicht lediglich zum Tummelplatz des politischen Übermuts.