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14.06.19 / Ein famoses Monstrum / Die Linnahall, Revals riesige Stadthalle aus Sowjetzeiten, soll wieder bessere Zeiten erleben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-19 vom 14. Juni 2019

Ein famoses Monstrum
Die Linnahall, Revals riesige Stadthalle aus Sowjetzeiten, soll wieder bessere Zeiten erleben
Nils Aschenbeck

Riesige Freitreppen aus Beton, die zu einem verschlossenen Konzertsaal führen, ein Saal für 5000 Besucher. Es ist eine gewaltige und doch unscheinbare Architektur direkt an der Ostsee, aber heute ungenutzt. Eine der größten und eigenartigsten Stadthallen Europas steht seit 2010 leer, verfällt. 

Zu den Olympischen Spielen 1980 hatte Reval, damals Ort der Segelwettkämpfe, einen Bauboom erlebt. Neben der eigentlichen Olympiaanlage im Ortsteil Pirita waren zwei Hotel-Hochhäuser im Zentrum und die riesige Stadthalle errichtet worden. Die „Linnahall“ scheint noch heute, fast vier Jahrzehnte nach ihrer Errichtung, monströs – in ihrer Größe, ihrem rauen Erscheinungsbild, ihrer harten Architektur – und famos – in der klugen Lösung städtebaulicher Probleme. 

Der Architekt der Stadthalle, Raine Karp (zusammen mit Riina Altmäe), hatte zur Olympiade die Aufgabe bekommen, eine der größten Konzerthallen Europas an der Seeseite zu erstellen, ohne jedoch mit dem Bau den Blick auf das historische Hansepanorama zu verstellen. Gleichzeitig war eine zum Hafen laufende Eisenbahnlinie so zu überbrücken, dass diese kein Hindernis für die aus der Stadt herbeiströmenden Konzertbesucher darstellte. Karp, bis heute ein hoch geachteter Architekt in Estland, löste die Aufgabe, indem er die Stadthalle zur Hälfte im Boden versenkte. Der über der Oberfläche liegende Teil erscheint als ein System von Rampen, Freitreppen und Plattformen, die sich an den Boden schmiegen. Kein einziger Bauteil ragt in die Höhe.

Vor Ort wirken die mit grauem estnischen Sandstein verkleideten Betonelemente wie die Substruktionen eines riesigen, nie vollen­deten Palastes. Erst aus der Luftperspektive erkennt man die Logik der Architektur. Man mag Linnahall mit einer Festungsanlage des 19. Jahrhunderts vergleichen oder gar mit südamerikanischen Maya-Tempeln. Das Gebilde an der Ostsee, dem man die Funktion in keiner Weise ansieht, ist aus der Zeit gefallen. 

Seit Ende des Konzertbetriebes wurden die Treppenanlagen und das Dach der Halle von der estnischen Jugend genauso wie von Touristen erobert. Es gibt kaum einen besseren Platz in der Stadt, von dem man zur einen Seite das Ostseepanorama und zur anderen die Türme der Hansestadt erleben kann. Von der Linnahall sieht man zudem die alten Flugzeughallen noch aus der Zarenzeit, in denen seit einigen Jahren das estnische Schifffahrtsmuseum ansässig ist. Das daneben liegende Gefängnis, einst dunkler Ort der Repression, steht heute ebenfalls leer und wartet auf eine neue Aufgabe. 

Auch die Linnahall soll wiederbelebt werden. Die Stadt hat beschlossen, den maroden Bau zu sanieren und in ihm die Nationaloper, das nationale Symphonieorchester sowie ein Veranstaltungs- und Messezentrum unterzubringen. Noch dieses Jahr sollen die Bauarbeiten beginnen.