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14.06.19 / Eine Art Interregnum / Zwischen de Gaulle und d’Estaing stand Georges Pompidou von 1969 bis 1974 an der Spitze der Fünften Republik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-19 vom 14. Juni 2019

Eine Art Interregnum
Zwischen de Gaulle und d’Estaing stand Georges Pompidou von 1969 bis 1974 an der Spitze der Fünften Republik
Eva-Maria Michels

Georges Pompidou war in gewisser Weise ein Interimspräsident zwischen Charles de Gaulle, der das untergehende, alte Europa repräsentierte, und Giscard d’Estaing, dem Präsidenten der Moderne, der den Grundstein für Frankreichs, wenn nicht gar Europas kulturellen und politischen Niedergang legte.

Georges Jean Raymond Pompidou war der Sohn eines Lehrer­ehepaares aus Albi und der Enkel von einfachen Bauern aus der Corrèze. Der Aufstieg seiner Familie in Staat und Gesellschaft wird in Frankreich als beispielhaft für die Chancengleichheit gesehen, welche die öffentlichen Schulen der im Zweiten Weltkrieg untergegangenen Dritten Republik durch ein anspruchsvolles Lehrprogramm begabten Kindern gewährten. Nach dem Abitur in Albi absolvierte Pompidou die sogenannten classes préparatoires aux grandes écoles (CPGE), die elitären Vorbereitungskurse für die Eliteuniversitäten, am berühmten Pariser Lycée Louis-le-Grand. Dort engagierte er sich in einer sozialistisch-republikanistischen Studentengruppe und bekämpfte die monarchistisch-nationalistische Action Française. 1934 erhielt er als Jahrgangsbester sein Diplom als Altphilologe von der Grande Ecole „Ecole Normale Supérieur“ (ENS). Bis 1940 unterrichtete er Latein, Altgriechisch und Französich in verschiedenen CPGE, dann wurde er eingezogen und dem 41. alpinen Infanterieregiment zugeteilt. Da er Deutsch sprach, wurde er Nachrichtenoffizier. Später wurde er zusammen mit dem Regiment mit dem Croix de guerre (Kriegskreuz) ausgezeichnet. 

Seine politische Karriere begann Pompidou am Ende des Zweiten Weltkriegs. Als Beauftragter für Schulbildung im Kabinett von General de Gaulle wurde er ab 1944 dessen Vertrauter. Nach de Gaulles zwischenzeitlichem Rückzug aus der Politik blieb Pompidou bis 1954 weiter auf höchster Verwaltungsebene tätig und wechselte dann als Generaldirektor zur Bank Rothschild 

Frères, bis 1982 die Bank des französischen Zweiges der Familie Rothschild. Mit de Gaulle kehrte Pompidou 1958 in die Politik zurück. Zuerst diente er diesem als dessen Kabinettschef, dann wurde er Mitglied des Verfassungsrates. De Gaulle machte ihn zudem zum Unterhändler mit der algerischen Unabhängigkeitsbewegung Front de Libération Nationale (FLN, Nationale Befreiungsbewegung). Am 18. März 1962 unterzeichneten Frankreich und Algerien das Abkommen von Evian, das von 91 Prozent der Franzosen in Frankreich am 8. April in einer Volksabstimmung bestätigt wurde. Damit endete zwar der Algerienkrieg, aber es bedeutete auch den Verlust der großen französischen Kolonie auf der anderen Seite des Mittelmeeres. Verbunden damit waren die Flucht von einer Million Algerienfranzosen und 42500 Harkis, algerischen Kollaborateuren, die für die französischen Kolonialherren gekämpft hatten, sowie die Auslieferung von weiteren 120000 Harkis an die neue Regierung des unabhängigen Algerien. Ein Teil der rechten Franzosen verzeiht dieses Abkommen de Gaulle bis heute nicht. 

Am 14. April 1962 ernannte de Gaulle Pompidou zum Premierminister, eine Funktion, die er über die Volksabstimmung zur direkten Wahl des Präsidenten durch das Volk am 28. Oktober 1962 hinaus bis zu seinem Rück­tritt im Juli 1968 innehatte, was ihn zum Inhaber dieses Amtes mit der längsten Dienstzeit machte. Seine Regierung fiel in die Zeit der Trente Glorieuses, den „herrlichen 30“ Jahren von 1945 bis 1974, die in Frankreich eine ähnliche Stellung haben wie in der Bundesrepublik die Zeit des Wirtschaftswunders. Pompidous Name wird deshalb bis heute mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, mit Modernisierung und einem in Fragen der Industriealisierung strategisch agierenden Staat in Verbindung gebracht. 

Als Regierungschef übernahm Pompidou Verantwortung für die wirtschaftliche Erschließung des Landes. Große Infrastrukturprojekte wie die Erschließung der Küste der bis 2015 bestehenden  südfranzösischen Region Languedoc-Roussillon für den Massentourismus, der Bau der Villes Nouvelles, der futuristischen Hochhaussiedlungen am Rande der Großstädte, die Verdopplung des Autobahnnetzes und der Bau des Pariser Großflughafens Charles de Gaulle wurden in seiner Amtszeit ebenso durchgeführt wie Verwaltungsreformen und die Entsendung ins All des ersten französischen Satelliten Asterix am 26. November 1965. Die Zeit war von einer Rückkehr zur Währungsstabilität und Handelsbilanzüberschüssen gekennzeichnet. 

Ab Mitte der 60er Jahre erstarkte auf der innenpolitischen Bühne die Linke, welche die außenpolitischen Entscheidungen de Gaulles, insbesondere den Rückzug aus der Kommandostruktur der NATO, angriff. Analog verstärkten sich im rechten Lager linke Tendenzen in Form des Linksgaullismus und der Liberalen um 

Giscard d’Estaing. Für die Parlamentswahlen 1966 versuchte Pompidou mit geteiltem Erfolg diese Tendenz durch die Aufstellung von sogenannten jungen Wölfen, mehrheitlich Absolventen der staatlichen Kaderschmiede ENA (École nationale d’administration, Nationale Hochschule für Verwaltung), aufzuhalten. Damit legte Pompidou das Fundament für die von den Gelbwesten kritisierte und bis heute nachwirkende Usurpation des Regierungsapparates durch die technokratischen ENA-Seilschaften. Pompidous letzte, 1967 ernannte Regierungsmannschaft spiegelte seine Öffnung in Richtung Jugend und Modernität sowie linke Ideen, wie sie die 68er vertraten, wider. Diese Entwicklung ist zu einem Großteil für den Bruch mit de Gaulle, der zu Pompidous Rücktritt vom Amt des Premierministers am 10. Juli 1968 führte, verantwortlich. 

Nachdem de Gaulle nach dem gescheiterten Referendum im Zuge der Studentenunruhen von Mai 1968 am 28. April 1969 zurückgetreten war, wurde Pompidou am 15. Juni zu dessen Nachfolger gewählt. Seine erste Amtshandlung bestand darin, Frankreich innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) aus der von de Gaulle freiwillig gewählten Isolierung herauszuführen und der europäischen Konstruktion unter den Schlagworten „Vollendung, Vertiefung, Erweiterung“ neuen Schwung zu verleihen. Pompidou hob de Gaulles Veto gegen den EWG-Beitritt Großbritanniens auf und versuchte auch, gegenüber den USA einen weniger rigorosen Kurs zu fahren als sein Vorgänger. 

In Frankreich selbst trieb er die wirtschaftliche Entwicklung und die Industrialisierung vor dem Hintergrund der ersten Ölkrise und sozialer Spannungen weiter voran. Dazu gehörten der Bau der ersten TGV-Linie zwischen Paris und Lyon, die Schaffung des Konsortiums Airbus, der Ausbau der Nahrungsgüterindustrie sowie die Verfolgung des Ziels der autogerechten Stadt. 

Noch während seiner Amtszeit erlag Präsident Pompidou am 2. April 1974 einer akuten Blutvergiftung als Folge des Morbus Waldenström, einer malignen Lymphomerkrankung. Das Ende von Pompidous Leben fällt also in dasselbe Jahr wie jenes der Trente Glorieuses.

Zum Erbe Pompidous gehört das erst nach seinem Tod 1977 eröffnete, avantgardistisch anmutende staatliche Kunst- und Kulturzentrum im 4. Arrondissement von Paris Centre national d’art et de culture Georges-Pompidou, kurz Centre Pompidou, aber auch das nach seinem Justizminister René Pleven benannte erste einwandererfreundliche Zensurgesetz. Seit 1972 stellt es die Anstiftung zum Rassenhass und Diskriminierung unter Strafe. Seither muss nicht mehr ein konkretes Opfer gegen einen konkreten Täter klagen, sondern auch Dritte können im Namen potenzieller Opfer gegen die Verbreitung bestimmter abstrakter Aussagen klagen. Die Fallauslegung liegt dann bei der Justiz.