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21.06.19 / »Alles schon dagewesen«? / Die Einmischungs-Vorwürfe gegen Putin lassen an die sowjetische Unterstützung der Spartakisten vor gut 100 Jahren erinnern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-19 vom 21. Juni 2019

»Alles schon dagewesen«?
Die Einmischungs-Vorwürfe gegen Putin lassen an die sowjetische Unterstützung der Spartakisten vor gut 100 Jahren erinnern
Ingo von Münch

Die neuerlichen Vorwürfe an Russland, es mische sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ein und versuche, auf unrechtmäßige Weise Einfluss auf die Politik dort zu nehmen, lässt an die Spartakus-Affäre in Deutschland 1919 erinnern. Kann man mit Rabbi Ben Akiba sagen: „Alles schon dagewesen“?

Donald Trump bekam Ärger wegen angeblicher oder tatsächlicher russischer Einflussnahme auf seinen Wahlkampf. Über den Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier (AfD) wurde kürzlich kolportiert, russische Kräfte könnten ihn „unter Kontrolle“ haben. Beide Politiker wiesen die Verdächtigungen zurück. 

Was (und wer) immer hinter diesen Behauptungen stehen mag – es sind Peti­tessen im Vergleich zu der Einmischung russischer Organisationen in die innerdeutschen Verhältnisse zu Beginn des Jahres 1919. Konkret ging es um die russische Unterstützung der Spartakus-Bewegung, die das Ziel verfolgte, Deutschland in eine Räterepublik umzuwandeln. Die Regierung des Deutschen Reiches erklärte, Beweise dafür zu besitzen, dass die Spartakus-Bewegung mit russischen amtlichen Mitteln von russischen Behörden unterstützt worden sei. In einem Funkspruch an die russische Regierung protestierte die Reichsregierung Mitte Januar 1919 mit scharfen Worten: „Die deutsche Regierung legt gegen diese unzulässige verbrecherische Einmischung in die inneren Verhältnisse Deutschlands strengste Verwahrung ein. Sie sieht zunächst davon ab, aus diesem Grunde sämtlichen russischen Staatsangehörigen, die sich bisher frei in Deutschland aufhalten konnten, das gewährte Gastrecht zu entziehen, wozu sie an sich berechtigt wäre. Sie will aber keinen Zweifel bestehen lassen, daß sie gegen alle Russen, die sich der Unterstützung einer Aufruhrbewegung schuldig gemacht haben oder noch in diesem Sinne tätig sind, auf das Schärfste vorgehen wird.“ 

Normalerweise würde sich in einer solchen brisanten Konstellation die Abberufung des Botschafters oder – noch härter – der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu dem Aggressor als Sanktion für dessen völkerrechtswidriges Verhalten anbieten; jedoch schied diese Möglichkeit aus, weil zu jenem Zeitpunkt zwischen dem Deutschen Reich und Russland wegen des vorangegangenen Ersten Weltkrieges keine diplomatischen Beziehungen bestanden.

Mit dem damals viel weniger als heute kodifizierten Stand des Völkerrechts und dem zu jener Zeit rechtlich ungeklärten Verhältnis zwischen russischer Regierung und kommunistischer Partei ist zu erklären, dass die Frage gestellt wurde, ob die von der deutschen Regierung gerügten russischen Aktivitäten als völkerrechtliches Delikt zu betrachten seien. Einer der prominentesten deutschen Rechtsgelehrten, der Geheime Justizrat, Angehörige des Reichstages und Professor Franz von Liszt, der die heute seltene Fächerkombination von Strafrecht und Völkerrecht repräsentierte – als Kriminalpolitiker forderte er anstatt der Vergeltungsstrafe eine auf den Erziehungs- und Sicherungszweck abstellende Strafe – hat dazu unter der Überschrift „Völkerrechtliche Haftung Rußlands für spartakistische Gewalttaten auf deutschem Boden“ in der Zeitschrift „Deutsche Juristen-Zeitung“ 1919 (Heft 5/6) eine eindeutige Position bezogen. Vorab vermisst er „in der Erklärung der Reichsregierung und den durch die Unruhen hervorgerufenen Erörterungen jeden Hinweis auf das völkerrechtliche Problem, das durch die von der Reichsregierung scharf betonte Beteiligung der russischen Regierung an den spartakistischen Umtrieben gestellt ist.“ Sodann schickt der Völkerrechtler das Ergebnis seiner Argumentation voraus: „Nach meiner Überzeugung hat sich die russische föderative Republik durch die Anregung und Unterstützung der spartakistischen Bewegung eines Deliktes gegen das Völkerrecht schuldig gemacht, das sie zum vollen Ersatz aller angerichteten Schäden verpflichtet.“

In der darauffolgenden Begründung weist Liszt zunächst auf die (damals noch ungeschriebene, heute auch in Verträgen enthaltene) Völkerrechtsnorm hin, derzufolge sich jeder Staat der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates zu enthalten hat. Gerade eine solche unzulässige Einmischung in die inneren Verhältnisse Deutschlands werfe der Funkspruch der deutschen Regierung „den leitenden Männern der russischen Regierung“ vor: „Es wird von russischer Seite kaum bestritten werden, daß die in Rußland herrschende bolschewistische Partei grundsätzlich darauf hinarbeitet, die maximalistischen Lehren in alle Länder zu tragen und die Arbeitermassen mit revolutionärem Geist zu erfüllen …“ (Mit „maximalistischen Lehren“ dürften wohl die marxistischen Lehren gemeint sein.) Zusätzlich erwähnt Liszt den Friedensvertrag zwischen dem Deutschen Reich und Russland von Brest-Litowsk vom 3. März 1918, dessen Artikel II lautet: „Die vertragschließenden Teile werden jede Agitation oder Propaganda gegen die Regierung oder die Staats- und Heereseinrichtungen des anderen Teiles unterlassen.“

Zusammenfassend lässt sich heute sagen, dass sowohl die damalige Reichsregierung wie auch der Völkerrechtler mit ihrer rechtlichen Beurteilung der russischen Unterstützung der Spartakus-Bewegung und der darin liegenden Einmischung in die innerdeutschen Angelegenheiten Recht hatten. Mit politischen Prognosen sollten Wissenschaftler dagegen vorsichtig sein, so wenn der erwähnte Artikel Liszts mit der Prophezeiung schloss: „Auch die Zukunft Russlands gehört nicht der wahnwitzigen Diktatur des Proletariats, sondern der Demokratie; nicht der brutalen Schreckensherrschaft, sondern der Idee des Rechts.“