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21.06.19 / Der Turm in »Gottes Garten« / Zimmerau und seine Aussichtsplattform aus dem Kalten Krieg – Ein Besuch in Orten an der früheren innerdeutschen Grenze

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-19 vom 21. Juni 2019

Der Turm in »Gottes Garten«
Zimmerau und seine Aussichtsplattform aus dem Kalten Krieg – Ein Besuch in Orten an der früheren innerdeutschen Grenze
Nils Aschenbeck

30 Jahre nach der Grenzöffnung – was ist aus den Orten geworden, an denen einst der Westen wie der Osten endete? Sind die Gemeinden im Zonenrandgebiet aufgeblüht oder wurden sie nun erst recht vergessen? Unsere Spurensuche an der ehemaligen in­nerdeutschen Grenze beginnt mit einem monströsen Turm, der einsam zwischen Bayern und Thüringen in „Gottes Garten“ steht. 

Schon aus der Ferne, von Heldburg kommend, sieht man den Turm die lieblichen Hügel der fränkischen Toskana überragen. Es ist ein Turm mit einer ausladenden achteckigen Plattform, gebaut für den Massenandrang. Wofür dieser Aufwand? Was können die Menschen hier, in einer der einsamsten Ecken Frankens entdecken? Wiesen und Wälder, die sich zu allen Himmelsrichtungen erstrecken? 

Schilder führen den Autofahrer zum Turm, der wie ein riesiger Nagel mit flachem Kopf in die Landschaft geschlagen wurde. Das Bauwerk ist eine Sehenswürdigkeit, in dem kleinen Ort Zimmerau vermutlich die einzige. Auf dem riesigen Schotterparkplatz, auf dem 20 Busse Platz hätten, stehen heute keine Autos, auf der Terrasse des nahen Gasthofes sitzen zwei Männer im Unterhemd. Wir sind an diesem Juniabend die einzigen, die den Landstrich am Ostrand Bayerns, auf den Karten Grabfeld genannt, von den Einheimischen auch „Gottes Garten“ tituliert, besuchen. 

Auf der östlichen Seite der Grenze gehören die verlassenen und verkommenen Wachtürme zum gewohnten Bild. Da Beobachtungstürme gut den Unrechtsstaat DDR repräsentieren, hat sich niemand die Mühe gemacht, die Türme zu entsorgen. Meist befinden sie sich in einem verwahrlosten Zustand – mit eingeschlagenen Fensterscheiben und be­sprühten Wänden.

In Zimmerau, nur etwa einen Kilometer von der alten Zonengrenze entfernt, steht der „Grenzturm“ allerdings auf westlicher Seite. Mit 38 Metern ist er deutlich höher als die östlichen Bauten. Auch verfügt er über eine auffallend große Kanzel, die nicht nur Platz für wenige Soldaten, sondern für eine vollzählige Busgruppe bietet. Die Fenster sind intakt, auch Graffiti gibt es keine.

Am 17. Juni 1966, dem Tag der Deutschen Einheit, war der Turm mit seinen 180 Stufen eingeweiht worden – und hatte den bedeutenden Namen „Bayernturm“ er­halten. Er war das touristische Gegenüber zu den militärischen Türmen des Ostens. Reisende aus ganz Deutschland kamen nach Zimmerau, um von hier aus einen Fernblick in die DDR zu erlangen – und dann ein wenig zu erschaudern. Sofern die Besucher etwas Glück hatten, konnten sie einen echten DDR-Genossen bei der Feldarbeit oder einen Grenzer bei seinem Patrouillengang beobachten. In der Ferne sahen sie bei klarer Sicht die Veste Heldburg bei Bad Colberg, auffällig gelegen auf einem 405 Meter aufragenden Vulkankegel. Die Veste war zu DDR-Zeiten erst russische Kommandantur und anschließend ein Kinderheim. Ein Großbrand verwüstete 1982 das Heim und ließ die ganze Burg unbewohnbar werden. Erst nach der Wende begann die Rekonstruktion, heute ist die Veste ein Museum. 

Der Turm an der Grenze – er ist in auf beiden Seiten wesentliches Element der Ost-West-Beobachtung. Deutsche beider Staaten beäugten sich von Türmen miss­trauisch. Doch während die Grenzsoldaten der DDR das Schnellfeuergewehr im Anschlag hielten, feuerten die Touristen von der anderen Seite mit ihren Spiegelreflexkameras und empfanden ein leichtes Gruseln, wenn sie an den Alltag da „drüben“ dachten. Neben dem Turm in Zimmerau gab es auch in Berlin und anderen Orten Aussichts­plattformen, von denen aus Westdeutsche und Touristen den Arbeiter- und Bauernstaat DDR aus sicherer Distanz beobachten, von denen sie den Kalten Krieg hautnah erleben konnten.

Für die vielen Neugierigen, die vor 50 Jahren mit Bussen nach Zimmerau kamen, wurde unterhalb des Turms ein Restaurant mit angeschlossener Pension errichtet, ausgelegt für den täglichen Massenandrang. Heute freut sich der Wirt über jeden Besucher, der noch in den Ort findet. Die beiden Monteure sitzen auf der Terrasse und trinken Bier. Da es sowieso keine anderen Gäste gibt, hat einer von ihnen sein plärrendes Kofferradio direkt auf den Terrassentisch gestellt. 

Am Turm – nur weil er so groß und so hässlich ist, wurde er nicht vergessen – weist ein verrosteter Automat darauf hin, dass sich nach Einwurf eines Ein-Euro-

Stückes das Drehtor öffnet und man die Treppe bis zur Aussichts­plattform nehmen kann. Wer mutig ist, der zückt nun sein Geld und ist bereit, alleine einen Turm zu besteigen, der nun Jahr für Jahr mehr verfällt. 

Schon beim Gang durch den Eingangsbereich kommen Gedanken an den Kalten Krieg auf. Ein Drehkreuz aus massiven Metallstreben, das ein unberechtigtes Betreten des Turms verhindert, erinnert an die Übergänge an der Zonengrenze, das verwitterte Wellblech des Turms an die Dienstbauten der DDR-Grenzer, in denen einst die übel gelaunten Beamten saßen. In seiner Monstrosität wirkt der Bayernturm in Zimmerau noch heute wie eine eigenartige Reminiszenz an den kalten Krieg – er ist ganz authentisch.