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21.06.19 / Vom elenden Alltag NS-verfolgter Kinder

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-19 vom 21. Juni 2019

Vom elenden Alltag NS-verfolgter Kinder
Konrad Löw

Es ist schier die Hölle, in der die NS-verfolgten Kinder, meist Juden, in den Kriegsjahren vegetieren und meist krepieren mussten. Johannes-Dieter Steiner schildert diese massenhaften Tragödien sehr ausführlich unter geradezu jedwedem Aspekt. Er gliedert den Stoff in die Kapitel: „Politik und Besatzung“, „Ghettos und Lager“, „Erfahrungen und Erinnerungen“, „Kriegs-ende und Befreiung“. 

Als Ziel der Arbeit gibt Steinert an, „die Geschichte jüdischer Kinderzwangsarbeit als Teil von Besatzungspolitik und Holocaust so zu analysieren und darzustellen, wie sie sich in den Erinnerungen der Betroffenen widerspiegeln.“ Als Materialgrundlage dienten neben zeitgenössischen Dokumenten aus deutschen und ausländischen Archiven insbesondere Interviews, deren Zahl mit mehr als 100000 beziffert wird. In einer statistischen Betrachtung spricht Steinert von 600000 Zwangsarbeitern, die den Jahrgängen 1923 bis 1932 angehörten und in mehr als 1000 Ghettos ihr Dasein fristeten. Ihr elender Alltag bildet den Kern der Darstellung.

Das Buch bietet auch Überraschungen und Kuriositäten, so wenn zitiert wird: „Der einzige, der immer sehr freundlich war, war Eichmann selber.“ Ein Kapitel trägt die Überschrift „Schindler“, der Hunderte von Menschenleben rettete. Sein Steck-brief: „Geschäftsmann, Kriegsgewinnler, Schwarzhändler, Genussmensch, Spieler, Frauenheld und Gerechter unter den Völkern“. Warum hat der Autor nicht erwähnt, dass Schindler seit frühen Tagen Mitglied der Partei Hitlers gewesen ist? Wäre andernfalls seine Hilfe möglich gewesen? Paradox.

Einem Juden gelang es, sich in die SS einzuschleichen, andere durften als Häftlinge in Auschwitz Fußball- und Theater spielen, wieder andere eine Maurerschule besuchen in der Absicht, sie effektiver in den Arbeitsprozess einzuspannen.

Die nüchterne Darstellung widerlegt Daniel Goldhagens Thesen, nach denen die Deutschen Hitlers willige Vollstrecker gewesen seien. In der Not „funktionieren“ die meisten ohne Rücksicht, wie Elie Wiesel verdeutlicht: „Hier gibt es weder Vater noch Bruder noch Freund. Hier lebt und stirbt jeder für sich.“ Doch es gibt die heroischen Ausnahmen, so jenen Judenrat, der einen Kindertransport vorbereiten sollte und der sich deshalb das Leben nahm: „Ich kann doch nicht wehrlose Kinder dem Tod ausliefern. Ich habe beschlossen abzutreten.“

Johannes-Dieter Steinert: „Holocaust und Zwangsarbeit. Erinnerungen jüdischer Kinder 1938–1945“, Klartext Verlagsgesellschaft, Essen 2018, broschiert, 428 Seiten, 34.95 Euro