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28.06.19 / »Das ist ein 20-jähriger Waffenstillstand« / Vor 100 Jahren unterzeichneten der Außen- und der Verkehrsminister des Deutschen Reiches das Versailler Diktat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-19 vom 28. Juni 2019

»Das ist ein 20-jähriger Waffenstillstand«
Vor 100 Jahren unterzeichneten der Außen- und der Verkehrsminister des Deutschen Reiches das Versailler Diktat
Manuel Ruoff

„Vertrag“ oder „Diktat“ von Versailles? Vor 100 Jahren gab es zwar eine Friedenskonferenz in Versailles zur Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg, aber an der waren – im Gegensatz zur Neuordnung Europas nach den napoleonischen Kriegen auf dem Wiener Kongress – die Verlierer nicht beteiligt. Das Ergebnis war entsprechend.

Nicht nur der Ausschluss der Verlierer von den Friedensverhandlungen war bemerkenswert, sondern auch der moralische Impetus. Nicht von „Kontributionen“ war die Rede, sondern von „Wiedergutmachung“, von „Reparationen“. Der Erste Weltkrieg war teuer gewesen, und die deutschen Verlierer sollten ihn bezahlen. Um dieses zu rechtfertigen, lautet der Artikel 231, mit dem der Teil VIII (Wiedergutmachungen) beginnt: „Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben.“

Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war für die Deutschen hart, aber es gab einen großen Vorteil gegenüber der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Abgesehen vom Rheinland blieb Deutschland weitgehend unbesetzt. Eine Reeducation/Umerziehung durch die Sieger blieb den Deutschen erspart. Entsprechend groß war der Widerstand der Deutschen gegen diese einseitige Schuldzuweisung. Der Historiker Hans-Ulrich Wehler spricht „von einem nahezu lückenlosen Konsens im ganzen Land“.

Die Motivation des deutschen Widerstandes war eine doppelte. Zum einen fühlte man sich beleidigt, verunglimpft. Zum anderen wusste man, dass auf dieser Schuldzuweisung die schier grenzenlos erscheinenden Wiedergutmachungsforderungen des Feindes fußten. 

Wohl bekannt sind die Worte des wohlgemerkt sozialdemokratischen damaligen deutschen Regierungschefs Philipp Scheidemann: „Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns in solche Fesseln legte?“ Lieber trat Scheidemann zurück, als die Unterzeichnung dieses Diktats verantworten zu müssen.

Scheidemanns Nachfolge trat sein Parteifreund Gustav Bauer an. Er brachte die Argumente für eine Unterzeichnung auf den Punkt. Es gelte, „dem unsagbar leidenden deutschen Volke einen neuen Krieg, die Zerreißung seiner nationalen Einheit durch weitere Besetzung deutschen Gebietes, entsetzliche Hungersnot für Frauen und Kinder und unbarmherzige längere Zurückhaltung der Kriegsgefangenen zu ersparen“. Hätte Deutschland Versailles nicht unterzeichnet, hätte in der Tat die Gefahr bestanden, dass Deutschland seinen kleindeutschen Nationalstaat von 1871 schon nach dem Ersten Weltkrieg verloren hätte, dass Deutschland schon nach dem Ersten Weltkrieg in Gänze besetzt worden wäre, dass die Hungerblockade, der auch noch nach dem Waffenstillstand von Compiègne deutsche Zivilisten zum Opfer fielen, fortgesetzt worden wäre, und dass die Feinde die deutschen Kriegsgefangenen weiter zurückgehalten hätten.

Am 28. Juni 1919 unterzeichneten Bauers Außenminister Hermann Müller und Bauers Verkehrsminister Johannes Bell den Frieden von Versailles. Am 10. Januar 1920 trat er in Kraft.

Das Versailler Diktat besteht aus 15 Teilen mit zusammen 440 Artikeln. In der Einführung werden die Feinde und Vertragspartner Deutschlands vorgestellt. Es sind die sogenannten Hauptmächte und Großmächte USA, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan sowie des Weiteren Belgien, Bolivien, Brasilien, China, Ecuador, Griechenland, Guatemala, Haiti, Hedschas, Honduras, Kuba, Liberia, Nicaragua, Panama, Peru, Polen, Portugal, Rumänien, das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, Siam, die Tschechoslowakei und Uruguay.

Den ersten Teil des Versailler Diktats bildet die Völkerbundssatzung. Der Völkerbund war wie die Vereinten Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem ein Projekt des US-Präsidenten. Die Gründungsmitglieder sollten die Sieger des Ersten Weltkriegs sein. Anders als bei dem Pendant bei der Neuordnung Europas nach den napoleonischen Kriegen, dem Europäischen Konzert der Großmächte, mussten die Verlierer beim Völkerbund vorerst draußen bleiben. Ungeachtet des pathetischen, verheißungsvollen Namens müssen wir im Völkerbund vor allem anfänglich primär ein Bündnis der Kriegssieger sehen zur Sicherung und Verteidigung der Neuordnung Europas und der Welt durch die Sieger des Ersten Weltkrieges. Eine zusätzliche Schwächung erfuhr der Völkerbund dadurch, dass die USA ihm nie beitraten.

Um zu verhindern, dass Deutschland sich gegen Versailles erhob, die Fesseln von Versailles sprengte, wurde sein Militär entmannt. Die entsprechenden „Bestimmungen über Landheer, Seemacht und Luftfahrt“ bilden den Teil V des Diktats. Das Heer wurde auf 100000, die Marine auf 15000 Mann beschränkt. Flugzeuge, U-Boote, Panzer und Schlachtschiffe wurden den deutschen Streitkräften ebenso verboten wie der Fortbestand der allgemeinen Wehrpflicht und des Großen Generalstabs.

Der Teil VII hat „Strafbestimmungen“ zum Thema. Er verpflichtete Deutschland nicht nur zum Akzeptieren, sondern auch zur Unterstützung einer Siegerjustiz. Artikel 227 sah einen fünfköpfigen Gerichtshof vor, für den jede der fünf Hauptsiegermächte je einen Richter stellen sollte. Dieser Gerichtshof sollte über Wilhelm II. zu Gericht sitzen. Dazu kam es jedoch nicht, da die neutralen Niederlande sich weigerten, Wilhelm auszuliefern.

Im Artikel 228 musste die deutsche Regierung den Siegermächten nicht nur die Befugnis einräumen, die wegen eines Verstoßes gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges angeklagten Personen vor deren Militärgericht zu ziehen, er verpflichtete die Reichsregierung auch, „den alliierten und assoziierten Mächten oder derjenigen Macht von ihnen, die einen entsprechenden Antrag stellt, alle Personen auszuliefern, die ihr auf Grund der Anklage, sich gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges vergangen zu haben, … bezeichnet werden“.

Kommen wir zu den Folgen von Versailles. Die Westmächte und damit ihre ehemaligen Besatzungsmächte für den Nationalsozialismus oder den Zweiten Weltkrieg verantwortlich zu machen, ist in der Bundesrepublik so politisch korrekt, wie weiland in der DDR Kritik an deren Besatzungsmacht, der Sowjetunion, zu üben. Deshalb seien hier nur drei unverfängliche Zeitzeugen zitiert: ein deutscher Bundespräsident, ein französischer Marschall und ein linker Intellektueller. Der deutsche Bundespräsident ist Theodor Heuss. Er schrieb 1932 in seiner Schrift „Hitlers Weg“: „Der Ausgangspunkt der nationalsozialistischen Bewegung ist nicht München, sondern Versailles.“ Der französische Marschall ist Ferdinand Foch, bei Kriegsschluss Oberbefehlshaber der alliierten Armeen an der Westfront. Er prognostizierte zur Zeit des Vertragsabschlusses: „Das ist kein Frieden. Das ist ein 20-jähriger Waffenstillstand.“ Und der linke Intellektuelle ist Kurt Tucholsky. Er dichtete in „Krieg dem Kriege“: „Brüder! Brüder! Schließt die Reihn! / Brüder! Das darf nicht wieder sein! / Geben sie uns den Vernichtungsfrieden, / ist das gleiche Los beschieden / unsern Söhnen und euern Enkeln. / Sollen die wieder blutrot besprenkeln / die Ackergräben, das grüne Gras? / Brüder! Pfeift den Burschen was!“