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05.07.19 / Nüchterne Analyse eines Diplomaten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-19 vom 05. Juli 2019

Nüchterne Analyse eines Diplomaten
Dirk Klose

Deutschland dürfe sich vor den großen Problemen der internationalen Politik nicht länger drücken: „Auf unser Land werden in den nächsten Jahren noch größere außenpolitische Herausforderungen zukommen, auf die wir bislang nur unzureichend vorbereitet sind.“ Was zugegebenermaßen schwierig sei, denn „auf alle diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten“. Der so eindringlich seinen Landsleuten ins Gewissen redet, ist der frühere Chefdiplomat des Auswärtigen Amtes, Wolfgang Ischinger. Er hatte unter den Außenministern Genscher und Kinkel hohe Positionen im Auswärtigen Amt und die wichtigsten Botschaften der Bundesrepublik in Washington und London inne. Seit 2008 leitet er die Münchner Sicherheitskonferenz, zu der inzwischen alljährlich im Februar Staatsmänner, Militärs und Wissenschaftler aus aller Welt anreisen. 

Einem aufmerksamen Zeitungsleser mag Ischingers Buch so viel Neues gar nicht sagen. Aber es besticht durch seine nüchterne und klare Analyse aller drängenden internationalen Probleme und durch eine alle denkbaren Möglichkeiten abwägende Schlussfolgerung. Dabei spannt er den Bogen von den europäisch-amerikanischen Beziehungen über Putins Russland bis zu den Konflikten in Nahost. Weiter diskutiert er die wohlgemeinte Forderung „Frieden schaffen ohne Waffen“ (die er für unrealistisch hält), die Zukunft der Vereinten Nationen sowie Herausforderungen und Chancen einer Außenpolitik im 21. Jahrhundert.

Ischinger braucht sich keine diplomatische Zurückhaltung mehr auferlegen. Sein Urteil über die Person und Politik von Präsident Trump fällt vernichtend aus, gleichwohl: Die Partnerschaft mit den USA sei für Deutschland „unverzichtbar“. Putin, so bedauert er, habe eindeutig das europäische Haus verlassen, gleichwohl müsse alles getan werden, um die Gegnerschaft nicht weiter zu vertiefen. Syrien, so sagt er, sei ein „Schandfleck in der Geschichte der EU-Außenpolitik, ein Schandfleck der Unfähigkeit“. Der verbreitete Ruf (auch bei Politikern) „Assad muss weg“ ist aus seiner Sicht verantwortungslose Politik. 

Von Verhandlungen solle man sich nie zu viel versprechen: „In der Außenpolitik hat man manchmal nur schlechte Handlungsoptionen: schlecht, wirklich schlecht und furchtbar schlecht.“ Manchmal müsse man schon mit ersterer zufrieden sein. Der Bundesrepublik schreibt Ischinger sechs Aufgaben ins Stammbuch: Europa handlungsfähig halten; notfalls seine Finanzzuwendungen erhöhen; eine Strategie für internationale Fragen entwickeln; Partnerschaften pflegen („Amerika, das ist mehr als Trump“), ebenso die Beziehungen zu Russland; Vertrauen in Deutschland und seine Politik halten und aufbauen.

Es ist keine heitere Lektüre, aber das will Ischinger auch nicht. Er will zu Entschlossenheit und Selbstvertrauen anregen. Vielleicht hat er gemerkt, dass sein Fazit zu düster ist, denn unverhofft lässt er auch Optimismus anklingen. Nehme man von der Tagesakutalität einmal Abstand, biete sich ein ganz anderes Bild: Eine Menschheit, „die immer friedlicher, aber auch gesünder und reicher geworden ist“. Er zitiert Statistiken, denen zufolge die Opferzahlen aus Kriegen seit 1945 „deutlich“ zurückgegangen sind. Die globale Armut sei gesunken, beispielsweise in dem aus extremer Armut aufgestiegenen China. Heute könnten vier von fünf Menschen auf der Welt lesen, vor 60 Jahren war es nur jeder Dritte.

Was auf Deutschland zukommt und was die Welt von ihm erwartet – hier hat man einen klaren Anhaltspunkt.

Wolfgang Ischinger: „Welt in Gefahr. Deutschland und Europa in unsicheren Zeiten“. Econ Verlag, Berlin 2018, gebunden, 298 Seiten, 24 Euro