19.04.2024

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12.07.19 / Nicht vermittelbar

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-19 vom 12. Juli 2019

Nicht vermittelbar
Erik Lommatzsch

Mit einem barschen „Was is?!“ wandte sich Claudia Roth zu nächtlicher Stunde an AfD-Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Braun. Es handelte sich nicht um eine zufällige Begegnung nach der Arbeit, wie der Tonfall vermuten lässt. Vielmehr war es die Reaktion der Parlamentsvizepräsidentin auf eine Wortmeldung Brauns während der langen 107. Sitzung der laufenden Bundestagslegislatur. 

Bei einigen Abgeordneten kam Roths Ausdrucksweise gut an, es gab reichlich Gelächter. Gegenstand der Debatte war ein Gesetz zum Datenschutzrecht. Die AfD-Fraktion brachte vor, dass die Beschlussfähigkeit des Bundestages nicht gegeben sei. Anhand der dokumentierten Bilder ist ersichtlich, dass dies tatsächlich der Fall war. Es hätte eine Überprüfung mittels „Hammelsprung“ – alle anwesenden Abgeordneten verlassen den Saal, treten einzeln wieder ein und werden gezählt – erfolgen müssen, sodann der Abbruch der Sitzung. Im Deutschen Bundestag wird die Geschäftsordnung sehr genau genommen.

Dies hatte im vorliegenden Fall eine – zumindest für die meisten Außenstehenden – überraschende Entwicklung zur Folge. War das durch Braun vorgetragene Ansinnen aus den Plenarreihen schon mit allgemeinem Parlamentsgepöbel quittiert worden, allerdings wohl kaum aus seiner eigenen Fraktion, so verkündete Roth nach kurzer Zeit, man habe sich im Sitzungsvorstand beraten. Zu diesem gehörten in besagter Debatte neben Roth die Abgeordneten Josef Oster (CDU) und Benjamin Strasser (FDP). Und im Vorstand sei man eben einig gewesen, dass die Beschlussfähigkeit gegeben sei. Sofern der Sitzungsvorstand diese „einmütig bejaht“, findet laut Geschäftsordnung keine Zählung statt.

Auch anderswo hält man sich streng an die Vorgaben. Der sächsische Wahlausschuss hat die 61 Positionen umfassende Liste der AfD zu der bevorstehenden Landtagswahl auf die ersten 18 Plätze verkürzt. Die lange Liste war an zwei verschiedenen Terminen beschlossen worden, dabei gab es zwei verschiedene Versammlungsleiter. 

Formell handelte es sich nicht um einen fortgesetzten Parteitag, sondern um zwei Parteitage, womit die Kandidaten der zum zweiten Termin besetzten Listenplätze, also diejenigen ab Nummer 19, sich maximal noch Hoffnung auf ein Direktmandat machen können, sofern sie entsprechend aufgestellt sind.

Niemand befand sich im Irrtum darüber, dass es sich bei dem zweiten Termin des AfD- Parteitages um die Fortsetzung des ersten handelte. Niemand bezweifelt, dass die Beschlussfähigkeit des Bundestages in besagter Situation nicht gegeben war. Die Stoßrichtung der – immer Spielräume enthaltenden – Auslegung der jeweiligen Vorschrift hat auch der Letzte verstanden. Einem Demokraten, für den der faire Wettbewerb und die Auseinandersetzung in der Sache an erster Stelle stehen, sind die Entscheidungen nicht vermittelbar. Wie bei so vielen Ereignissen in der letzten Zeit ist auch hier die altväterliche Mahnfrage angebracht: Wo soll das alles enden?