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12.07.19 / Gegenwind / Zentralismus oder die Diplomatie der Allianzen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-19 vom 12. Juli 2019

Gegenwind
Zentralismus oder die Diplomatie der Allianzen
Florian Stumfall

Im Rahmen der großen traditionellen Flugschau im französischen Le Bourget, einer der wichtigsten Fachmessen weltweit, wurde das Luftkampfflugzeug FCAS vorgestellt. Das Kürzel steht für „Future Combat Air System“ (zukünftiges Luftkampfsystem), wobei die englische Bezeichnung verbirgt, dass es sich bei dem Jet um ein deutsch-französisches Produkt handelt. 

Das FCAS soll eine Maschine der fünften Generation sein und die veralteten Typen Tornado und Eurofighter sowie die französische Rafale ersetzen. Das sind stolze Aussichten, allerdings derzeit noch Zukunftsmusik. In Le Bourget wurde denn auch nur ein lebensgroßes Modell vorgestellt, das den äußeren Eindruck des Jets so ungefähr vermitteln soll. In Dienst bringen will man ihn ohnehin erst im Jahr 2040 – wenn es keine Verspätung gibt. Bis dahin dürften die Russen bereits Kampfflugzeuge der siebten Generation fliegen, zumindest.

Die Tauglichkeit eines Flugzeugs, das es noch gar nicht gibt, ist von nachgeordnetem Belang. Wichtiger ist festzustellen, welche Organisation das Projekt betreibt. Das sind im Wesentlichen die beiden Luftfahrtkonzerne Airbus und Dassault. Bei Entwicklung und Fertigung der Airbus-Flugzeuge war es ähnlich: Deutsche und französische Industrie arbeitete zusammen, spanische und britische Firmen kamen dazu. Das Prinzip war: Die Industrie betreibt das Projekt, die beteiligten Nationalstaaten wirken als Wegbereiter. 

Mit der EU hat das Ganze nichts zu tun. Die Zusammenarbeit geschieht auf der Ebene zwei- oder mehrseitiger Verbindungen der Nationalstaaten untereinander. Darum ist es auch wichtig, auf den entscheidenden Unterschied zwischen der EU und der Luftfahrt hinzuweisen: Die Luftfahrt ist zuverlässig und erfolgreich; Flugzeuge fliegen, wenn sie nicht gerade zur deutschen Luftwaffe gehören. Die EU dagegen feiert ihre Dauerkrisen in Festreden noch als Erfolgsgeschichte. 

Das Prinzip der Zusammenarbeit zwischen Nationalstaaten beschränkt sich nicht allein auf die Luftfahrt. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist der Schengenraum. Es waren die Regierungen von Deutschland, Frankreich und der Beneluxstaaten, die anno 1985 die uneingeschränkte Reisefreiheit untereinander vereinbarten – doch nicht etwa in der EU, denn Italien war nicht mit von der Partie. Heute gelten die leicht modifizierten Regeln freilich für die ganze EU, aber eben auch für die Nicht-Mitglieder Norwegen, Island, Schweiz und Liechtenstein.

Fragt man allerdings die Bürger nach den Vorteilen der EU, so wird in allen Fällen die Reisefreiheit genannt. Denn Schengen und seine Regeln wurden von der EU vereinnahmt und werden heute als hervorragendes Mittel der Brüsseler Propaganda hergenommen.

Man sieht: Legt man Wert darauf, dass ein Projekt erfolgreich wird, so tut man gut daran, es in die Hände nationaler Regierungen oder, wo angebracht, privater Unternehmen zu legen. Sie beide folgen einem seit Jahrtausenden bewährten Prinzip: dem der Allianzen. Dabei suchen souveräne Kräfte nach gleichartigen In­teressen von Nachbarn und Partnern und verabreden sich mit diesen zu einem in gewissem Umfang gemeinsamen Handeln.

Das gilt für Wirtschaft und Politik, und für beide gibt es in der Geschichte die besten Beispiele. Als im 5. Jahrhundert 

v. Chr. die kleinen griechischen Stadtstaaten dem persischen Weltreich Einhalt geboten, taten sie das durch vorübergehende Allianzen, bei denen kein Teil auf seine Selbstständigkeit verzichten musste. Dasselbe gilt für die späteren Türkenkriege und bis zum Zweiten Weltkrieg.

Allianzen zu bilden ist die Hohe Schule der Diplomatie. Das Gegenstück stellt der Zentralismus dar. Der Entwurf der EU hat das System der Allianzen verdrängt und durch eine starre, befehlsorientierte Ordnung ersetzt.

Das Beispiel der griechischen Antike zeigt zudem, dass die Vorstellung, Größe sei Stärke und die Garantie für Erfolg, falsch ist. Die EU ist seit den Tagen der Römischen Verträge immer nur gewachsen – wenn man einmal vom Brexit absieht –, und sie hat dabei ständig an Einfluss auf der Welt verloren. Der Brüsseler Ruf nach immer mehr EU, auch im Sinne eines weiteren Wachstums, hat die Organisation zwar aufgebläht, aber auch gleichzeitig unbeweglich und anfällig gemacht. Die „eine Stimme der EU“ gibt es nicht, und die offizielle aus Brüssel wird kaum gehört und noch weniger beachtet. Länder wie Deutschland und Frankreich hatten mehr Gewicht in der Welt, als sie noch souverän waren.

Wie bei Krieg und Kriegsgeschichte, so auch beim Handel. Niemand außer dem kommunistischen China schränkt den freien Handel so stark ein wie Brüssel und Washington. Die USA haben als Modifikation ihres Zentralismus ein Vasallen-System errichtet, in dem sich zu ihrer Überraschung manche Staaten wiederfinden, die davon eigentlich nichts wissen wollen. Wenn etwa die USA Einspruch dagegen erheben, dass Japan im Iran Erd­öl einkauft, dann ist das nichts anderes als der US-Anspruch darauf, in dieser Welt eine starre, befehlsorientierte Ordnung durchzusetzen.

Dem aber steht der freie Handel entgegen, denn er stellt in Abertausenden von Fällen die Summe kleiner Allianzen dar, in denen die Interessen zweier Seiten festgestellt und ausgeglichen werden – ob militärisch oder wirtschaftlich. Die Welt steht vor der Wahl zwischen zwei Ordnungen des internationalen Austausches: Entweder es setzt sich das freiheitliche der Allianzen durch oder das zentralistisch-befehlsorientierte.

Bedenklich ist, dass sich die EU auf der Seite derer befindet, welche die zentralistische Lösung befürworten und betreiben. Das ist für Europa, die historische Heimat der persönlichen Freiheit, ein böses Zeichen und stellt gleichzeitig den klaffenden Unterschied zwischen Europa und der EU dar. Denn so wie Brüssel agiert, verrät es die große Tradition der europäischen Geistesgeschichte. 

Das belegt ein Blick auf die von der EU eingeschlossene Schweiz. In Deutschland und weithin in Europa unbeachtet, übt Brüssel auf Bern einen anhaltenden und immer größer werdenden Druck aus. Es geht darum, die Schweizer dazu zu bringen, dass sie mehr und mehr EU-Recht übernehmen und auf diese Weise, wenn nicht formal, so doch funktional Mitglied der Gemeinschaft werden. 

Derzeit ist der sogenannte Rahmenvertrag Gegenstand von Verhandlungen, der die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU regeln soll. Das konservative Magazin „Schweizerzeit“ sagt dazu: „Mit dem Rahmenvertrag verlangt Brüssel von der Schweiz einen Blankoscheck, zu dem die EU erst nach Unterzeichnung mitzuteilen bereit ist, wozu sich die Schweiz mit diesem Vertrag verpflichtet hat.“

Warum, so ist man geneigt zu fragen, kann Brüssel die Schweiz nicht in Frieden lassen? Warum ist der EU jede Souveränität ein Dorn im Auge? Wann und wo wird der Größenwahn gestillt sein? Am Euphrat, in Sibirien oder in der Sahara? Bis heute gibt es keine Festlegung aus Brüssel, wo die Erweiterung beendet sein soll, aber es gibt nach wie vor einen Erweiterungskommissar.

Zentralismus oder die Diplomatie der Allianzen – das ist eine der strategischen Fragen für Europa. Es besteht wenig Hoffnung, dass sie im Sinne der freiheitlichen Tradition des Kontinents beantwortet werden wird.