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12.07.19 / Alle Register gezogen / Zum 300. Todestag von Arp Schnitger, dem Meister des Orgelbaus, stehen die Orgelvirtuosen besonders in Pellworm Schlange

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-19 vom 12. Juli 2019

Alle Register gezogen
Zum 300. Todestag von Arp Schnitger, dem Meister des Orgelbaus, stehen die Orgelvirtuosen besonders in Pellworm Schlange
Stephanie Sieckmann

Vor 300 Jahren starb Arp Schnitger. Was er der Welt vermacht hat, war eine neue Generation Orgeln, die mit ihrem besonderen Klang heute noch so begehrt sind, dass sich Künstler auf Wartelisten eintragen, um auf einem vom Meister gefertigten Instrument ihre CDs aufzunehmen. 

Die Insel Pellworm, in der Nordsee gelegen, ist flach. Sie liegt sogar einen Meter unter Normalnull und ist deshalb von einem acht Meter hohen Deich umgeben, der die Insel bei Sturmfluten davor schützen soll, dass sie wie eine Badewanne vollläuft. Badestrand sucht der Gast hier vergebens. Dafür gibt es eine auffällige Turmruine, die mit ihren trotzigen Mauern entfernt an Überreste einer walisischen Burg erinnert. 

Das Markenzeichen der Insel wurde als Kirchturm der Kirche St. Salvator erbaut. Diesem gegenüber Stürmen wehrhaften Turm, der bei seiner Erbauung vor mehr als 600 Jahren rund 52 Meter hoch war, ist es zum Teil zu verdanken, dass ein ganz besonderes Kleinod weitgehend unversehrt überdauern konnte. 

Im Jahr 1711 hat Orgelbauer Arp Schnitger eine Orgel gebaut, die dafür sorgt, dass St. Salvator  heute ein begehrtes Reiseziel auf Pellworm ist. Sie gilt als eine der besten Orgeln Europas. Nicht nur für Nordseetouristen, sondern auch für Musiker aus vielen verschiedenen Ländern, die Einspielungen für Tonaufnahmen mit großer Vorliebe genau hier aufnehmen. Wer einen Namen hat, reißt sich darum, auf dieser Orgel spielen zu dürfen. 

Dass die Orgel so einzigartig und begehrt ist, liegt in ihrem Klang begründet. Schnitger hatte wohl ein besonderes Händchen dafür, Or­gelpfeifen zum Klingen zu bringen. Besucher von Orgelkonzerten berichten gerne, dass ihnen die Tränen gekommen seien, weil der Klang seiner Orgeln be­sonders berührende und bewegende Versionen von bekannten Musikstücken hervorbringen soll. Eine Gabe, die den Künstler vom Handwerker unterscheidet.

Mehr als 150 Orgeln hat Schnitger zu Lebzeiten gebaut oder maßgeblich umgebaut. Da­mit zählt der Meister der Orgelbauer zu den Produktivsten seiner Zunft. Etwa 30 seiner Kreationen sind erhalten. Die Orgel in der Kirche von Pellworm ist dabei die einzige erhaltene Schnitger-Orgel in Schleswig-Holstein.

Andere Orgeln aus der Werkstatt Schnitgers stehen in den Niederlanden, Portugal, Brasilien und Russland, aber auch im Alten Land und Hamburg. 

So existiert heute noch eine original erhaltene Schnitger-Orgel in der Hervormde Kerk in Nordbroek, Provinz Groningen, in den Niederlanden. Eine restaurierte Orgel findet sich in der Kathedrale von Faro (Portugal). Eine weitere Orgel, die Schnitger nach Lissabon lieferte, steht inzwischen in der Kathedrale von Mariana, Brasilien. In der Hamburger St.-Jacobi-Kirche ist die größte erhaltene Schnitger-Orgel mit 4000 Pfeifen zu sehen. 

Im Jahr 1648 in Schmalenfleth im heutigen Bundesland Niedersachsen als Sohn eines Tischlermeisters geboren, ging Schnitger bei einem Verwandten in Glück­stadt an der Unterelbe in die Lehre und wurde dort mit dem Orgelbau vertraut gemacht. Nach dem Tod seines Lehrherrn führte er die Orgelwerkstatt als Meister weiter. 

Eine gewisse Berühmtheit er­langte er mit dem Bau der weltweit größten Barockorgel seiner Zeit. 1682 erhielt er den Auftrag, eine Orgel für die St.-Nikolai-Kirche in Hamburg zu erschaffen. Schnitger entwarf ein Instrument mit vier Manualen, 67 Registern und mehr als 4000 Pfeifen. Die größte der Pfeifen wog 860 Pfund.

Der große Brand in Hamburg im Jahr 1842 zerstörte die Orgel. Erhalten ist dagegen die 1693 fertiggestellte Schnitger-Orgel in der Hamburger St.-Jacobi-Kirche, die ebenfalls vier Manuale, aber nur 60 Register vorweisen kann. Die Orgel war so beeindruckend, dass unter anderem Georg Friedrich Händel und Johann Sebastian Bach sie besuchten. 

Der Ruhm dieser großen und großartigen Instrumente von Schnitger, die zur norddeutschen Orgelschule zählen, drang auch ins Ausland. So gab Zar Peter der Große von Russland eine Orgel bei dem deutschen Orgelbauer in Auftrag, die in Russland eine Heimat fand, deren Verbleib jedoch nicht bekannt ist. Andere Instrumente aus der Werkstatt Schnitger wurden nach Spanien, England und Dänemark geliefert. 

Die Orgel auf Pellworm zählt zu Schnitgers Spätwerk. Da der Meister um den Jahrhundertwechsel sein Orgelkonzept veränderte, unterscheidet sich das Spätwerk in einigen Aspekten der Konstruktion deutlich von den frühen Schnitger-Orgeln. 

Einfluss auf die Veränderungen hatte unter anderem Andreas Werckmeister, der Musiker und Musik-Theoretiker war, aber auch als Hoforganist in Quedlinburg und Halberstadt arbeitete. Seine komplexen Musiktheorien, die platonische Philosophie ebenso einbeziehen wie natürliche Theologie, inspirierten Schnitger zu einer Gestaltung, die auf traditionelle Konzepte mit Rückpositiv und Pedalturm verzichtete. Kennzeichnend sind dagegen große Flächen mit Prospektpfeifen.

Der herausragende Klang der Arp-Schnitger-Orgeln basiert zum einen auf hellerem und eleganterem Klang, der mit Klangreinheit einhergeht. Zum anderen zielt Schnitger auf herausragende Harmonie von Grund- und Obertönen ab. Den Zungenstimmen kommt bei Schnitger be­sonders viel Aufmerksamkeit zu. Er setzt auf einen vollen Zungenchor, der mit betonter Basslage den Gemeindechor unterstützen soll. Die Wirkung ist herausragend und hat heute nichts von ihrer Strahlkraft verloren. 

Auch heute wird der norddeutsche Orgelbauer als Virtuose seiner Kunst bezeichnet und der Vergleich herangezogen, er sei im Orgelbau, was Bach in der Musik ist. Auch als Stradivari der Orgelbauer wurde er bereits gelobt. 

Da wundert es nicht, dass es auf der Nordseeinsel Pellworm eine Warteliste gibt, in die sich die Organisten eintragen müssen, wenn sie ihre Musik für Aufnahmen auf der zweimanualigen Schnitger-Orgel von St. Salvator einspielen wollen. 

Wer sich als Laie den Genuss eines Konzerts auf dieser Orgel gönnen möchte, setzt sich mittwochs am Abend in das mit reichem Schnitzwerk verzierte Gebänk der kleinen, alten Kirche. Der Blick geht auf den Klappflügelaltar aus dem 15. Jahrhundert und den Beichtstuhl von 1691, während die Ohren den virtuosen Orgelklängen lauschen, die die weiß getünchte Kirche erfüllen. 

Dass der deutsche Orgelbau und die deutschen Orgeln seit 2018 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen, ist auch dem Orgelbauer Schnitger zu verdanken. Den Meister, dessen 300. Todestag in diesem Jahr gedacht wird und von dem nur das Datum seines Begräbnisses in Hamburg-Neuenfelde, der 28. Juli 1719, bekannt ist, würde das gewiss freuen. 

Zu Ehren des Orgelbauers gibt es in diesem Jahr in Hamburg eine Reihe von besonderen Veranstaltungen, darunter eine „Orgelnacht-Wanderung“ mit Freiluft-Konzerten (www.orgelstadt-hamburg.de). Auch das wäre in Schnitgers Sinne. Das Instrument, das sein Leben geprägt hat, wird damit auf neue Weise erfahr- und erlebbar.