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12.07.19 / Tschechin verarbeitet Vertreibung der Deutschen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-19 vom 12. Juli 2019

Tschechin verarbeitet Vertreibung der Deutschen
Dirk Klose

Langsam beginnt das Eis zu schmelzen. Lange Zeit war das Wort „Vertreibung“ der Deutschen in den Staaten Osteuropas tabu. In Polen besteht man noch heute darauf, dass es eine „Aussiedlung“, eine „Umsiedlung“ gewesen sei. Andere Töne sind aus der Tschechischen Republik zu hören. Dort wird seit Jahren offen darüber gesprochen und eingestanden, dass den Deutschen Unrecht geschehen sei, auch wenn die NS-Besatzung allen Grund dafür gegeben habe.

Vor zehn Jahren hat die heute knapp 40 Jahre alte, in Brünn geborene Schriftstellerin Katerina Tucková einen Roman über die Vertreibung der Deutschen aus Brünn am Beispiel des Mädchens Gerta Schnirch veröffentlicht. Dafür erhielt sie 2010 den wichtigsten Literaturpreis des Landes. In diesem Jahr ist das Buch zur Leipziger Buchmesse mit Förderung des tschechischen Kultusministeriums in einer deutschen Übersetzung herausgekommen. 

Gerta hat einen deutschen Vater und eine tschechische Mutter. Obwohl in beiden Kulturen zu Hause, wird ihr im Mai 1945 ihr deutscher Anteil zum Verhängnis. Mit vielen anderen Deutschen wird sie brutal aus der Stadt getrieben und erlebt mit ihrer kleinen Tochter Barbora den berüchtigten Brünner Todesmarsch, dem damals Hunderte, wenn nicht Tausende zum Opfer gefallen sind. Kurz vor ihrem Tod durch Erschöpfung und Misshandlung gelingt das Wunder der Rettung: Mit einigen anderen Mädchen kommt sie in einem Gutshof unter, wo sie jahrelang bleiben und später bei  einer örtlichen Behörde arbeiten  kann.

Anfang der 50er Jahre kann sie nach Brünn zurückkehren, wird aber noch immer als Tochter eines „Henleiners“ (Konrad Henlein war der berüchtigte NSDAP-Repräsentant in Mähren) angefeindet. Das kurze Glück mit einem tschechischen Jugendfreund endet, als dieser im Zuge der Slansky-Prozesse spurlos verschwindet. Der Roman reicht bis in Gertas Alter, das sie in bescheidensten Verhältnissen, aber zumindest unbehelligt, mit Tochter und Enkelin erreicht. Die Tochter resümiert nach der Beerdigung, ihre Mutter habe von ihrem Leben „rein gar nichts“ gehabt: „Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe den Eindruck, dass Mamas gesamtes Leben, abgesehen von den zwei drei Jahren mit Onkel Karl, unerfüllt und sinnlos war.“ 

Die Autorin schreibt mit viel Anteilnahme für das Schicksal ihrer Protagonistin und damit letztlich für das Schicksal aller damals betroffenen Deutschen. Sie schildert die Gräuel des Todesmarsches und die ebenso grausamen Tötungen deutscher Gefangener, geht auf die Deutschfeindlichkeit in der Bevölkerung ein, führt manche Tschechen an, die auf die Verbrechen des NS-Regimes verweisen, was Rache- und Vergütungsverlangen erkläre, bringt dann aber auch Zeichen großer Menschlichkeit sowohl von Tschechen als auch von verbliebenen Deutschen, allen voran einer Frau Zipfelová vom Gutshof, die ihren deutschen Namen tschechisiert hat und die Gerta wie eine zweite Mutter wird. Über viele Verbrechen können und wollen die Menschen noch lange nach Kriegsende nicht sprechen. Anders als einige ihrer Leidensgenossinnen ist Gerta keine Kämpferin, sie fügt sich resignierend in ihr Schicksal. Soviel Stolz allerdings hat sie, dreisten Anwerbungsversuchen der Staatssicherheit zu widerstehen. 

Tuckovás Roman ist konventionell erzählt, und vielleicht gerade deshalb gut lesbar. In seiner Intensität, in seiner genauen Milieu- und Zeitschilderung ist er ein großer Wurf. Der Leser geht mit wachsender Anteilnahme durch all die Jahre, die bis zur Wende 1989 reichen. Am Ende erlebt er eine von Gertas Enkelin angeregte Petition, die Stadt Brünn möge sich für die damaligen Verbrechen bei den deutschen Bürgern entschuldigen. Diese steht beispielhaft für die Haltung der Autorin, – ob für die heutigen Menschen in Brünn insgesamt, mag man nicht beurteilen. 

Dass ausgerechnet ein Prager Ministerium die deutsche Übersetzung finanziert hat, kann man als hoffnungsvolles Zeichen für Verständigung sehen. Von der Qualität her hätte dieses Buch eigentlich einen großen deutschen Verlag verdient. Nun hat der kleine Berliner Klak Verlag das Risiko auf sich genommen. Man möchte ihm wünschen, dass es sich gelohnt hat.

Katerina Tucková: „Gerta. Das deutsche Mädchen. Roman“, aus dem Tschechischen von Iris Milde, Klak Verlag, Berlin 2019, gebunden, 548 Seiten, 19,90 Euro