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19.07.19 / Erfahrungen aus erster Hand / Allensteiner zweisprachige Publikation »Einsame fremde Kinder« beleuchtet das Schicksal deutscher und polnischer Kriegswaisen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-19 vom 19. Juli 2019

Erfahrungen aus erster Hand
Allensteiner zweisprachige Publikation »Einsame fremde Kinder« beleuchtet das Schicksal deutscher und polnischer Kriegswaisen
Dawid Kazanski

Nach dem Erfolg des Buches „Einsame fremde Kinder” von Joanna Wankowska-Sobiesiak, das von der Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit herausgegeben wurde, sollen bis zum Jahresende 500 Exemplare nachgedruckt werden. 

Das Buch enthält Interviews mit mehreren Personen deutscher und polnischer Abstammung, die während oder nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden und einige Jahre in Kinderheimen in Ostpreußen verbrachten. Damit sowohl deutsch- als auch polnischsprachige Leser mit der Veröffentlichung in Berührung kommen können, sind die Reportagen zweisprachig verfasst. 

Die Rolle der Kinder, die während oder nach dem Zweiten Weltkrieg als Waisen zurückgelassen wurden, ist sehr bedeutsam, weil diese Kinder die letzten Augenzeugen der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs sind und des dramatischen Jahres 1945 im von der Roten Armee eroberten Ostpreußen. Die Welt, in der sich ihre Kindheit abspielte, stellt sich als schrecklich, voller Gewalt und Rücksichtslosigkeit dar. Die Geschehnisse, die sich damals zutrugen, wurden tabuisiert, als Familiengeheimnisse bewahrt oder sogar mit ins Grab genommen. 

Es geht unter anderem um brutale Vergewaltigungen an deutschen Frauen oder um Morde an der zivilen Bevölkerung Ostpreußens. Schätzungsweise sind in Preußen nach dem Zweiten Weltkrieg über 25000 Waisen zurückgeblieben. Im Buch geht es sowohl um die elternlosen Kinder aus dem südlichen Ostpreußen, als auch um die aus dem heutigen Königsberger Gebiet. 

Das Hauptanliegen der Autorin war es, zu erfahren, was ihre Gesprächspartner während und nach dem Krieg erlebt hatten. Dies bezieht sich sowohl auf die Kinder, deren Eltern noch lebten, als auch auf Waisen, die in ein Kinderheim kamen. Wankowska-Sobiesiak konzentriert sich auf den Zeitraum 1945 bis 1949. 

In der Einführung zum Buch sind bis zu dieser Zeit unpublizierte Archivdokumente über Kinderheime sowie über die allgemeine Situation von Schützlingen enthalten, zu denen die Autorin anhand selbstständiger Recherche gelangte. Der weitere Teil der Veröffentlichung besteht aus drei Kapiteln mit 17 Erlebnisberichten. Das erste Kapitel „Fremde Kinder” widmet sich Minderjährigen, die nach den Kriegswirren in Kinderheimen erzogen wurden. Im zweiten Kapitel werden die Schicksale von nach Sibirien verschleppten Waisen dargestellt, die 1946 in die Pflegeheime im südlichen Ostpreußen kamen. Ge-genstand des letzten Buchteils „Schöne Orte, unschöne Zeit” sind die Geschichten derer, die von ihren Müttern, Großeltern oder älteren Geschwistern großgezogen wurden. 

Der Autorin ist es gelungen, zu Personen durchzudringen, die in Kinderheimen in Grieslienen, Bartenstein, Sensburg, Worienen, Neuhof bei Mohrungen, Simonetti, Hohenstein, Osterode und Marienwerder waren. Sie sahen die Pflegeeinrichtungen mit Kinderaugen und gewöhnten sich an die dort herrschenden Verhältnisse. Für sie zählte die Herzlichkeit der Erzieher, Geschwister und Beziehungen zu anderen Kindern. Die Autorin stellte die Frage, inwieweit sich die in Heimen erlebte Kindheit auf das spätere Erwachsenenleben der Betroffenen ausgewirkt hat. Wanskowska-Sobiesiak fragte auch danach, wie die Tatsache, als Waise zurückgelassen worden zu sein, künftige lebenswichtige Entscheidungen mitbestimmte und spätere Kontakte zu anderen Menschen mitprägte. Einige der Interviews sind sehr berührend, schockierend und hinterlassen bei den Lesern einen bleibenden Eindruck. So erzählen Edeltraut Sidwa, Monika Gunia oder Otto Tuschinski über ihre Flucht vor den Russen und über drastische Verbrechen, denen sie als Kinder beiwohnten. 

Janina Malecka berichtet von ihrer mehrwöchigen Fahrt in Viehwaggons in den Ural, der schweren, Menschen auszehrenden Arbeit beim Holzfällen, der dürftigen Ernährung, dem Erschöpfungstod ihrer Schicksalsgefährten in Sibirien. Eines fällt auf: Obwohl die Kontrollprotokolle nicht selten Informationen über unzureichende medizinische Versorgung, fehlende Elektrizität oder warmes Leitungswasser sowie über Schwierigkeiten, Kinderkleidung zu bekommen, angeben, ging es den meisten Schützlingen von Pflegeanstalten gut, sodass sie die Kinderheime in positiver Erinnerung behielten. 

Zweifelsohne ist „Einsame fremde Kinder” ein empfehlenswertes Buch, das jeder, dem die schwere Geschichte Ostpreußens am Herzen liegt, lesen muss, zumal über die historischen Ereignisse aus einer persönlichen Perspektive erzählt wird.